Rekordburst stellt Theorien infrage
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Innsbruck astronews.com
22. November 2013
Ein Gammastrahlenblitz der Superlative, den Astronomen Ende
April beobachten konnten, erweist sich als Glücksfall für die Wissenschaft. Der
Gamma-ray Burst, dessen Verlauf von zahlreichen Teleskopen verfolgt wurde, wirft
allerdings auch neue Fragen auf: So passen die Beobachtungen nicht immer zu den
Vorstellungen, die die Forscher über die Entstehung solcher Bursts hatten.

Blick an den Himmel mit dem Large Area Telescope
(LAT) von Fermi nach dem
GRB 130427A.
Bild: NASA / DOE / Fermi LAT Collaboration |
Am 27. April 2013 registrierten die Detektoren des Fermi-Weltraumteleskops
im Sternbild Löwe eine außergewöhnliche Eruption von hochenergetischer
Gammastrahlung (astronews.com berichtete). Schnell
wurde klar, dass sich diese Beobachtung zu einem Glücksmoment in der Erforschung
derartiger Gammastrahlungsblitze entwickeln wird: "Wir Wissenschaftler warteten
schon lange auf einen derartig eindeutigen Rekordbrecher", bestätigt der
Innsbrucker Astroteilchenphysiker Olaf Reimer. "GRB130427A, so die offizielle
Bezeichnung dieses Gammastrahlungsausbruches, war nicht nur der bisher hellste
Gamma-ray Burst (GRB), sondern auch der mit dem am längsten andauernden
Nachleuchten im Gammastrahlenbereich."
Doch damit nicht genug: "Seit dem Start des Fermi-Weltraumteleskops
im Juni 2008 war dieser Blitz auch derjenige mit der bisher höchsten Energie
vermessene und mit den meisten Teleskopen und Satelliten nachbeobachtete
Gammastrahlungsausbruch", so Reimer.
Obwohl Gammastrahlenblitze schon seit mehreren Jahrzehnten bekannt sind,
geben diese Explosionen der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Die Blitze
wurden zufällig bei einem Programm zur Überwachung von Nukleartests auf der Erde
in der Zeit des Kalten Krieges entdeckt. "Seit Jahrzehnten schon kennt man
derartige Gammastrahlungsausbrüche als die energiereichsten, beobachtbaren
Phänomene in unserem Universum", erzählt Reimer. Wie allerdings diese Ausbrüche
entstehen, darüber diskutieren Astrophysiker seit mehr als 40 Jahren.
Tausende von diesen jeweils einmalig auftretenden Blitzen wurden seitdem
beobachtet, ausgewertet und modelliert. "Wir gehen davon aus, dass der
wesentliche Teil der Energie einer stellaren Katastrophe in einem nur wenige
Sekunden andauernden Zeitfenster freigesetzt wird. Vermutlich gelingt das nur,
wenn ein hochgradig fokussierter Materiestrahl die Hülle eines kollabierenden,
massereichen Sterns durchstößt und dann auf nahezu Lichtgeschwindigkeit
beschleunigt wird", beschreibt Reimer die dramatischen Ereignisse.
Doch verstanden ist bislang vergleichsweise wenig, insbesondere nach den
Beobachtungen des Rekord-Bursts vom April: "Wie genau die prompte Gammastrahlung
in diesem fokussierten Materiestrahl erzeugt wird, und wie der Materiestrahl mit
seiner Umgebung wechselwirkt und das Nachleuchten erzeugt, ist nun wieder
rätselhafter denn je," so Dr. Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik in Garching, der verantwortliche Wissenschaftler für
den Gamma-Ray Burst Monitor an Bord von Fermi.
Nicht nur die Eigenschaften von GRB130427A, sondern auch die Vielzahl der
davon motivierten Folgebeobachtungen setzen Rekorde: Bis zum September 2013
haben 58 internationale Observatorien und Teleskope das Nachleuchten von
GRB130427A in anderen Wellenlängenbereichen beobachten können.
Aber zunächst verbindet man Gammastrahlenausbrüche natürlich mit
hochenergetischer Gammastrahlung. Hier hat GRB 130427A den ersten Rekord zu
verzeichnen: Das höchstenergetische Photon wurde mit 95 GeV (etwa das Hundert
Milliardenfache der Energie eines Photons im sichtbaren Licht) vermessen, ein
Wert, der bisher noch nie von Gammablitzen verzeichnet wurde.
Die relative "Nähe" des Explosionsorts und die damit überdurchschnittliche
Helligkeit erlaubte es, das Abklingen der Gammastrahlung auch ungewöhnlich lange
aufzunehmen. Aus diesem Grund konnte auch eine Großzahl von anderen Satelliten
und bodengebundenen Teleskopen in anderen, niederen Wellenlängenbereichen dem
Nachleuchten folgen. Die Vielzahl der nun verfügbaren spektralen und temporalen
Messungen wird diesen Gammablitz zum vermutlich bestbeobachteten und
meistdiskutierten Objekt dieser Klasse machen.
Neben den Superlativen, die den Gammastrahlenausbruch GRB 130427A begleiten,
haben die exquisiten Daten des Fermi-Weltraumteleskopes auch die
bisherigen Theorien gehörig infrage gestellt und erfordern nun eine kritische
Sicht auf Modellvorstellungen aller Gammastrahlenblitze.
Insbesondere das bislang allgemein akzeptierte Modell zur Erklärung des
Nachleuchtens durch Synchrotronstrahlung energiereicher Elektronen, die ihre
Energie aus der Stoßwelle beim Beschleunigen auf Lichtgeschwindigkeit beziehen
sollten, wirft Probleme auf. "Vermutlich müssen nun andere, extreme
Strahlungsmechanismen herangezogen werden, um das langdauernde Nachleuchten im
Lichte höchstenergetischer Photonen überzeugend erklären zu können", glaubt
Reimer.
Noch dramatischer ist die Lage bei der Erklärung der prompten Gammaemission.
"Das seit rund 15 Jahren favorisierte Modell der 'internen Schocks', bei denen
später emittierte, schnellere Schalen mit früher emittierten langsameren Schalen
kollidieren, ist nun eindeutig widerlegt", so Greiner. "Wir erleben hier gerade
einen Fall, bei dem außergewöhnliche Beobachtungen eines spektakulären
astrophysikalischen Phänomens, gepaart mit einer guten Portion Glück, lang
etablierte Interpretationen revidieren werden."
Über ihre Resultate berichtet das Team in der heute erscheinenden Ausgabe der
Wissenschaftszeitschrift Science.
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