Gewaltige Hohlräume im Rosetta-Kometen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
2. Juli 2015
Eine Auswertung von Bildern des wissenschaftlichen Kamerasystems OSIRIS an Bord
der ESA-Raumsonde Rosetta hat ergeben, dass es unter der Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko
riesige Hohlräume geben muss. Wenn diese einstürzen, entstehen schachtartige
Vertiefungen. Und genau solche sind auf den Bildern zu sehen.

Aus einigen der Vertiefungen strömen Fontänen
aus Staub ins All. Das wissenschaftliche
Kamerasystem OSIRIS hat diese Aufnahme im Oktober
2014 aus einer Entfernung von sieben Kilometern
eingefangen.
Bild: ESA / Rosetta / MPS for OSIRIS Team
(MPS / UPD / LAM / IAA / SSO / INTA / UPM / DASP
/ IDA) [Großansicht] |
Unter der Oberfläche des Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko
erstrecken sich bis zu einige hundert Meter große Hohlräume, die nach und nach
einstürzen. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler unter Leitung des
Göttinger Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung, die Aufnahmen der
Kometenoberfläche ausgewertet haben. Darin finden sich sonderbare, schachtartige
Vertiefungen, die gewöhnlichen Kratern völlig unähnlich sind und aus denen Staub
und Gas ins All entweichen. Offenbar entstehen diese Strukturen, wenn Hohlräume
unter der Oberfläche des Kometen einsacken.
18 sonderbar schachtartige Vertiefungen, die alle auf der Nordhalbkugel des
Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko auftreten, haben die Forscher unter Leitung
von Jean-Baptiste Vincent untersucht. Sie werteten dazu Aufnahmen des Kometen
aus, die das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS an Bord der ESA-Raumsonde
Rosetta in der Zeit von Juli bis Dezember vergangenen Jahres aufgenommen
hatte.
Die schachtartigen Vertiefungen treten in verschiedenen Größen auf: Ihre
Durchmesser liegen zwischen zehn und einigen hundert Metern. Zudem haben sie
nahezu vertikale Seitenwände und sind außergewöhnlich tief. Die größeren von
ihnen reichen bis zu zweihundert Meter ins Innere des Kometen. An ihren
Innenseiten zeigen die Aufnahmen Schichtungen und Terrassierungen; der Boden ist
meist eben. Ähnliche Strukturen kennen Forscher bereits von den Kometen
9P/Tempel 1 und 81P/Wild 2, die Ziel der NASA-Missionen Deep Impact und
Stardust waren.
"Wegen ihrer ungewöhnlichen Form unterscheiden sich diese Schächte deutlich
von Einschlagskratern", erläutert Vincent vom Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung. "Es scheint sich um ein typisches Merkmal von Kometen zu
handeln." Einige der Vertiefungen sind zudem aktiv: Die Analysen der Forscher
ergaben, dass feine Staubfontänen von den Innenseiten ausgehen.
Dafür werteten die Wissenschaftler Aufnahmen ein und derselben Staubfontäne
unter verschiedenen Blickwinkeln aus. "Auf diese Weise erhalten wir
Informationen über die dreidimensionale Struktur der Fontänen und können ihren
Ausgangspunkt auf der Kometenoberfläche bestimmen", beschreibt Vincent die
Vorgehensweise. Allerdings kann dieses "Staubspucken" allein die ungewöhnlichen
Strukturen nicht erschaffen haben.
Gefrorene Gase, die unter dem Einfluss der Sonne aus dem Kometenboden
verdampfen, können nicht genug Staub mit sich reißen, um Löcher dieser Größe zu
erzeugen. Dafür wären zum Teil Tausende von Jahren nötig. 67P/Churyumov-Gerasimenko
dringt auf seiner Umlaufbahn jedoch erst seit 1959 ins innere Planetensystem und
somit in die Nähe der Sonne vor.
Und auch ein plötzlicher Aktivitätsausbruch, wie ihn Rosetta etwa in
der Anflugphase Ende April 2014 beobachtete, ist nicht in der Lage, genügend
Material zu bewegen. Stattdessen spricht alles dafür, dass es sich bei den
Löchern um eingestürzte Hohlräume handelt. "Offenbar werden diese unterirdischen
Hohlräume mit der Zeit immer größer, bis die Deckschicht instabil wird und
einbricht", vermutet Max-Planck-Forscher Holger Sierks, der Leiter des
OSIRIS-Teams. Als Folge tritt an den Rändern der Vertiefung frisches Material zu
Tage, aus dem Gase verdampfen und so die beobachteten Fontänen speist.
Doch wie sind die Hohlräume entstanden? Die Forscher sehen mehrere
Möglichkeiten. So ist es etwa denkbar, dass das löchrige Innenleben des Kometen
noch aus seiner Geburtsstunde stammt. Wenn sich kleinere Brocken, sogenannte
Planetesimale, mit niedriger Geschwindigkeit zusammenballen, können Lücken
zurückbleiben.
Ebenso denkbar ist es, dass gefrorenes Kohlendioxid und -monoxid aus der
Tiefe verdampft und Hohlräume erzeugt. Gefrorenes Wasser hingegen verdampft bei
deutlich höheren Temperaturen. Diese lassen sich unter der gut
wärmeisolierenden, oberflächlichen Staubschicht des Kometen nur schwer durch
Sonneneinstrahlung erreichen.
Stattdessen haben die Forscher eine andere Wärmequelle im Blick. Wenn im
Kometenboden amorphes Eis - bei dem die Wassermoleküle unregelmäßig angeordnet
sind -, kristallisiert, wird Wärme frei. Diese könnte ausreichen, um Wasser in
genügender Menge zu verdampfen. "Noch bevorzugen wir keine dieser drei
Möglichkeiten. Vielleicht spielen auch alle Effekte zusammen", sagt Sierks. "Wir
hoffen aber sehr, dass die Mission in ihrem weiteren Verlauf Klarheit bringt."
Schon jetzt erweisen sich die staubspuckenden Vertiefungen als hilfreiches
Mittel der Altersbestimmung. "Da die Vertiefungen aktiv sind, verändern sie sich
mit der Zeit", so Vincent. Nach und nach dehnen sie sich aus; die Ränder ziehen
sich zurück, so dass mancherorts terrassenartige Ebenen entstehen. Eine
Kometenoberfläche, die noch tiefe Löcher aufweist, ist somit eher jung. Ältere
Flächen zeigen sich als glatte Plateaus.
Über die Ergebnisse ihrer Studie berichten die Wissenschaftler heute in der
Zeitschrift Nature.
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