Übersteht ISON die Sonnenpassage?
von Stefan Deiters astronews.com
18. Oktober 2013
Das Space Telescope Science Institute hat gestern
eine neue Aufnahme des Kometen ISON veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass der
Kometenkern noch immer intakt ist. Ein spektakuläres Himmelsschauspiel Ende des
Jahres wird damit wahrscheinlicher. Auch eine theoretische Studie kommt jetzt zu
dem Schluss, dass der Komet die Sonnenpassage vermutlich überstehen wird.
Hubbles Blick auf den Kometen ISON am 9.
Oktober
2013. Bild:
NASA, ESA und das Hubble Heritage Team (STScI/AURA) [Großansicht] |
Das gestern vom Space Telescope Science Institute (STScI)
veröffentlichte Bild zeigt den Kometen C/2012 S1 (ISON) am 9. Oktober 2013. Der
Komet befand sich zum Zeitpunkt der Aufnahme innerhalb des Marsorbits und war
etwa 283 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Der Kern des Kometen lässt
sich auf der Aufnahme nicht erkennen, da er dafür zu klein ist. Wäre er aber
auseinandergebrochen, hätte man vermutlich ein anderes Bild gesehen.
Der Befund deckt sich mit einer Studie, die Wissenschaftler des Lowell
Observatory und des Southwest Research Institute kürzlich
vorstellten. Sie haben versucht, mithilfe nummerischer Simulationen das
Schicksal des Kometen vorherzusagen. ISON wird sich der Sonne in den kommenden
Wochen immer weiter nähern und unseren Zentralstern am 28. November in einem
Abstand von 1,1 Millionen Kilometern passieren. Auf seiner Oberfläche dürften
dann Temperaturen von bis zu 2.700 Grad Celsius herrschen.
Die Frage ist daher, ob ISON seine Sonnenumrundung unbeschadet überstehen
wird. Die Studie der Astronomen berücksichtigte dazu Daten von früheren Kometen,
die der Sonne - mit ganz unterschiedlichem Schicksal - sehr nahe gekommen waren.
Einige überstanden die Passage intakt, andere brachen auseinander, einige lösten
sich vollkommen auf.
Astronomen vermuten, dass ein Komet, dessen Kern ein Durchmesser von weniger
als 200 Metern hat, bei einer so dichten Sonnenpassage zerbrechen oder sich ganz
auflösen wird. Obwohl über ISON bislang noch wenig bekannt ist, geht man davon
aus, dass diese Grenze kein Problem für den Kometen darstellen wird.
Zusätzlich muss der Komet aber auch die Gezeitenkräfte aushalten können, die
durch die gewaltige Anziehungskraft in Sonnennähe auf ihn wirken. Ein wichtiger
Faktor, der entscheidet, ob ein Komet dies übersteht, ist seine Dichte. Sollte
ISON nicht über eine sehr ungewöhnliche Dichte verfügen, dürfte auch hier eine
unversehrte Passage der Sonne gelingen. Ein weiterer Faktor, der noch eine Rolle
spielt, ist dabei allerdings die Rotation des Kometenkerns.
Unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten kommen die Astronomen in ihrer
in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters veröffentlichten
Studie zu dem Schluss, dass ISON die Passage um die Sonne überstehen sollte,
wenn nicht unerwartete Komplikationen auftreten. Dazu könnten beispielsweise
jetartige Ausbrüche von Gas von der Kometenoberfläche gehören, die die Rotation
des Kerns verstärken und seine Stabilität beeinflussen.
Seit seiner Entdeckung vor über einem Jahr verfolgen Astronomen den Kometen ISON
mit besonderem Interesse, weil viele davon ausgehen, dass der Komet zum
Jahresende für ein spektakuläres Schauspiel am Himmel sorgen und sogar zu einem
"Jahrhundertkometen" werden könnte - wenn er denn nicht vorher zerbricht.
ISON steht für das International Scientific Optical Network. Mit einem
der Teleskope dieses Netzwerks wurde der Komet im September 2012 von zwei
russischen Astronomen entdeckt und trägt daher diesen Namen. Erste Berechnungen der Bahn von ISON hatten bald
gezeigt, dass der Komet sehr wahrscheinlich das erste Mal ins Innere des
Sonnensystems kommt.
Dies macht den Kometen besonders interessant: So wird ISON vermutlich noch
eine reine Oberfläche besitzen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit flüchtige
Stoffe enthält, die bei einer Annäherung an die Sonne verdampfen können. ISON
dürfte aus der Oortschen Wolke stammen, einem vermuteten Reservoir von eisigen
Brocken, das unser Sonnensystem in großer Entfernung umgibt. Durch Störungen
oder Kollisionen in diesem Bereich können Brocken immer wieder ins innere
Sonnensystem abgelenkt werden, wo sie dann als langperiodische Kometen
erscheinen.
Sollte ISON den sonnennächsten Punkt seiner Bahn tatsächlich unbeschadet
durchlaufen, dürfte er anschließend noch einige Wochen am Nachthimmel auch mit
bloßem Auge zu sehen sein. Den erdnächsten Punkt erreicht der Komet am zweiten Weihnachtstag.
Sein Abstand zur Erde beträgt dann aber noch immer über 60 Millionen Kilometer.
Mit bloßem Auge sollte der Komet ab etwa Mitte November sichtbar werden. Derzeit
benötigt man für Beobachtungen noch immer ein gutes Fernglas oder kleines
Teleskop.
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