Astronaut steuert Roboterarm auf der Erde
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
20. August 2015
Erstmals hat ein Astronaut aus dem Erdorbit einen Roboterarm
auf der Erde gesteuert und dabei über einen Joystick auch eine Rückmeldung über
die auftretenden Kontaktkräfte erhalten. Das Experiment Kontur-2 ist
für die Forscher ein wichtiger Schritt, um ferngesteuerte Arbeiten mit Robotern
auch auf anderen Planeten oder dem Mond zu ermöglichen.

Das Kontur-2-Missionsteam im Einsatz: Während
Kosmonaut Oleg Kononenko in der Internationalen
Raumstation ISS den Kontur-2-Joysticks bedient
und damit Roboter ROKVISS am Boden steuert,
überwachen und betreuen die Wissenschaftler des
DLR
den Kontakt und geben Anweisungen.
Foto: DLR [Großansicht] |
Es liegen zwar nur rund 400 Kilometer zwischen dem Kontur-2-Joystick
und dem Roboter ROKVISS im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), und
doch ist die Fernsteuerung am 18. August 2015 etwas Besonderes: Kosmonaut Oleg
Kononenko fliegt nämlich an Bord der Internationalen Raumstation ISS mit 28.000
Kilometern in der Stunde über die Erde hinweg und steuert den Roboter am Boden
aus der Schwerelosigkeit.
Dabei bleibt die Verbindung zwischen Himmel und Erde nicht einseitig: Roboter
ROKVISS (Robotik-Komponenten-Verifikation auf der ISS) meldet über den Joystick
zurück, welche Kontaktkräfte am Boden auftreten. Um 16.37 Uhr MEZ (ISS-Orbit
3775) bewegt sich zum ersten Mal der Metallfinger des Roboterarms -
ferngesteuert aus dem All.
"In dem Augenblick hat auch Oleg Kononenko nicht nur über eine Kamera
gesehen, sondern auch über den Joystick genau gespürt, was in unserem Labor mit
dem Roboter geschieht", erklärt Dr. Jordi Artigas vom DLR-Institut für Robotik
und Mechatronik. Im Herbst 2015 soll mit dieser Technologie auch der erste
"Tele-Handshake" zwischen ISS und Erde durchgeführt werden: Dann soll der
humanoide DLR-Roboter Space-Justin ferngesteuert aus dem All jemandem auf der
Erde die Hand schütteln - und das auch mit Kraftrückkopplung.
Für die Zukunft der Raumfahrt bedeutet diese Technologie der Telepräsenz,
dass ein Kosmonaut von einer Raumstation aus seinen robotischen Helfer bedienen
könnte, der auf der Oberfläche beispielsweise des Mars feinmotorische Arbeiten
ausführt - und dabei würde er durch die Kraftrückmeldung das Gefühl haben,
selbst vor Ort zu arbeiten. Beim ersten Test am 18. August 2015 war die Aufgabe
zunächst jedoch deutlich einfacher: ISS-Kommandant Oleg Kononenko bewegte den
Metallfinger von Roboter ROKVISS in alle Richtungen und berührte zunächst leicht
eine Kontur, während Dr. Jordi Artigas ihm die entsprechenden Anweisungen vom
Boden aus erteilte.
Spezielle Sensoren am Roboter erfassen dabei die Kontaktkräfte beispielsweise
bei Kollisionen, diese werden dann über Motoren im kraftreflektierenden Joystick
an den Kosmonauten weitergegeben. Insgesamt nur vier Minuten standen für die
Teamarbeit zwischen ISS und DLR zur Verfügung, um die Fernsteuerung aus dem All
zu testen - unerwartet hatte zu Beginn des Überflugs wahrscheinlich ein
Bauelement der Raumstation die Antenne abgeschattet, und die direkte
Funkverbindung ließ auf sich warten.
"Wir waren alle sehr angespannt, als der Kontakt nicht unverzüglich zustande
kam", berichtet DLR-Wissenschaftlerin Cornelia Riecke. Das gesamte Missionsteam
im DLR-Labor saß konzentriert an den Konsolen, um den ersten Einsatz des
Kontur-2-Joysticks zu begleiten. Dann - nach fast fünf ewig langen Minuten
- stand die Verbindung zwischen Weltraum und Erde und die Experimente konnten
wie geplant durchgeführt werden. "Die Generalprobe hat reibungslos geklappt, die
Technik funktioniert."
Um 16.42 Uhr verschwand die ISS dann samt Kosmonaut und Joystick wieder
hinter dem Horizont und so aus dem Empfangsgebiet der DLR-Antenne in Weilheim,
die zuvor Steuerbefehle und Kraftrückmeldungen aus dem russischen Segment der
ISS über das German Space Operations Center (GSOC) des DLR an den
Roboter und wieder zurück geleitet hatte.
Um durchschnittlich 30 Millisekunden verzögerte sich die Übertragung der
Daten. "Eine Zeitverzögerung von etwa 100 Millisekunden entspricht in etwa der
menschlichen Reaktionszeit und macht dem Kosmonauten keine Probleme - für die
Roboterregelung sind bereits 30 Millisekunden eine sehr große Herausforderung,
da der geschlossene Regelkreis zwischen Erde und ISS instabil werden kann",
erläutert Artigas.
Auch der Verlust von Datenpaketen bei der Übertragung erschwert die
reibungslose Kooperation von Kosmonaut und Roboter. Hier greift die vom DLR
entwickelte Methode "Time Domain Passivity Control" für Telepräsenzsysteme, die
eine stabile und hochperformante Operation unter allen möglichen
Kommunikationsbedingungen ermöglicht - bis zu Zeitverzögerungen von etwa einer
Sekunde.
Morgen, am 21. August 2015, sollen bei zwei Überflügen der ISS die
Experimente weitergeführt werden, bei denen der Kosmonaut verschiedene Aufgaben
mit dem Roboter ausführen wird. Dabei wird er den Metallfinger von ROKVISS in
alle Richtungen steuern und unter anderem Konturen auf dem Versuchsaufbau
abfahren. Auch dabei wird die Sichtbarkeit der ISS vorgeben, wie viel Zeit für
die verschiedenen Experimente zur Verfügung steht. "Wir werden jeweils sieben
bis acht Minuten Kontakt mit der ISS haben", erläutert DLR-Wissenschaftler Dr.
Bernhard Weber.
Das DLR-Institut für Robotik und Mechatronik forscht bereits seit den 1990er
Jahren im Bereich der Telerobotik: Auch in der Raumfahrt sollen Mensch und
Roboter als Team zusammenarbeiten. Mal steuerten die DLR-Wissenschaftler den
Roboterarm ROTEX im Inneren des Space Shuttles vom Boden aus, mal bedienten sie
das Flugmodell von Roboter ROKVISS an der Außenseite der ISS.
Nun wurde erstmals ein Roboter mit mehreren Freiheitsgraden von der ISS aus
mit Kraftrückkopplung gesteuert. "Mit Kontur-2 haben wir somit den
nächsten Meilenstein erreicht: Nun verwenden Kosmonauten unsere Technologie, um
mit Robotern am Boden zu arbeiten", sagt Prof. Alin Albu-Schäffer, Leiter des
DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik. Dabei könnte dieser in Zukunft nicht
auf der Erde, sondern auf Mars oder Mond stehen und beispielsweise Habitate
aufbauen - während er dafür aus einer Raumstation im Orbit ferngesteuert wird.
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