Rasen Planeten durch die Milchstraße?
von Stefan Deiters astronews.com
23. März 2012
Gibt es einzelne Planeten ohne Sonnen, die mit einer
Geschwindigkeit von rund zehn Millionen Kilometer pro Stunde durch die Galaxie
rasen? Was sich wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film anhört, könnte
nach Ansicht von drei Astronomen wissenschaftliche Realität sein. Die Planeten
müssten mit ihrer Sonne zuvor dem zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße nur
zu nahe gekommen sein.
Könnten einzelne
Planeten mit hoher Geschwindigkeit durch die
Milchstraße rasen? Astronomen halten dies für
möglich.
Bild: David A. Aguilar (CfA) |
Vor sieben Jahren entdeckten Astronomen einen Stern, der sich mit einer
Geschwindigkeit von über zwei Millionen Kilometer pro Stunde aus unserer Galaxie
herausbewegt (astronews.com berichtete). Er stammt, so die Vermutung der
Wissenschaftler, aus dem Zentrum der Milchstraße, und war ursprünglich Teil
eines Doppelsternsystems, das dem dortigen supermassereichen Schwarzen Loch zu
nahe gekommen war. Durch die enorme Gravitationskraft der Schwerkraftfalle wurde
das System getrennt: Der eine Partner wurde in einen Orbit um das Schwarze Loch
eingefangen, während der andere mit hoher Geschwindigkeit aus dem Zentrum
herauskatapultiert wurde.
Doch könnte, was einem Stern passiert, auch mit einem einzelnen Planeten oder
mit einem ganzen Sonnensystem geschehen? Ja, meinen der Astrophysiker Ari Loeb
vom Harvard-Smithsonian-Center for Astrophysics und seine Kollegen. Die
Planeten könnten sogar noch schneller sein als der 2005 entdeckte
Hochgeschwindigkeits-Stern und einige Prozent der Lichtgeschwindigkeit
erreichen. Die Wissenschaftler halten Geschwindigkeiten von bis zu 48 Millionen
Kilometer pro Stunde für realistisch.
"Diese Planeten würden zu den schnellsten Objekten in unserer Galaxie
gehören", so Loeb. "Wer auf einem solchen Planeten wohnen würde, müsste sich auf
einen wilden Ritt vom Zentrum der Galaxie in die Weiten des Universums
einstellen." Und sein Kollege Idan Ginsburg vom Dartmouth College
ergänzt: "Abgesehen von subatomaren Partikeln, fällt mir nichts ein, was
schneller unsere Galaxie verlässt als diese Hochgeschwindigkeits-Planeten."
Die Hochgeschwindigkeits-Planeten sollten auf die gleiche Weise entstehen wie
Hochgeschwindigkeits-Sterne. Für ihre Untersuchung haben die Astronomen die
Vorgänge im Zentrum der Milchstraße in einer Simulation nachvollzogen. Dabei
betrachteten sie ein Doppelsternsystem, um dessen beide Partner jeweils ein oder
zwei Planeten kreisen. Sie stellten fest, dass der aus dem Zentrum geschleuderte
Stern seine Planeten mitnehmen kann, wenn sich diese auf einer engen Umlaufbahn
um ihre Sonne bewegen.
Der zweite Stern, der vom Schwarzen Loch eingefangen wird, könnte dabei seine
Planeten verlieren und diese würden dann allein mit hoher Geschwindigkeit aus
dem Zentrum geschleudert. Die typische Geschwindigkeit eines solchen Planeten
sollte zwischen elf und 16 Millionen Kilometer pro Stunde liegen, unter sehr
günstigen Bedingungen könnten allerdings auch deutlich höhere Geschwindigkeiten
erreicht werden.
Einzelne Hochgeschwindigkeits-Planeten sind äußerst lichtschwach und ließen
sich mit heutigen Instrumenten kaum entdecken. Allerdings könnte es gelingen,
potentielle Planeten um einen Hochgeschwindigkeits-Stern aufzuspüren, wenn diese
- von der Erde aus betrachtet - genau vor ihrer Sonne vorüberziehen, es sich
also um Transitplaneten handelt. Da Planeten um Hochgeschwindigkeits-Sterne auf
sehr engen Bahnen um ihre Sonnen kreisen müssen, schätzen die Astronomen die
Chance einer Transitbeobachtung bei einem vorhandenen Planeten auf rund 50
Prozent. "Damit würde es sich schon lohnen, danach zu suchen", so Ginsburg.
Die Planeten dürften irgendwann unsere Milchstraße für immer verlassen.
"Reisebüros, die Reisen auf solchen Planeten anbieten, sollten ihr Angebot also
auf sehr abenteuerlustige Kunden ausrichten", scherzt Loeb. Die Wissenschaftler
berichten über ihre Untersuchung in der Fachzeitschrift Monthly Notices of
the Royal Astronomical Society.
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