Einstein-Test mit Atomfontäne
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Hannover astronews.com
17. Oktober 2019
Albert Einsteins allgemeine und spezielle
Relativitätstheorie und seine grundlegenden Beiträge zur Quantenmechanik
beschäftigen die Physik bis heute. Anhand des berühmten Zwillingsparadoxons
wollen Physikerinnen und Physiker nun die Schnittstellen
beider Theorien untersuchen - mithilfe einer zehn Meter hohen Atomfontäne, wie
sie gerade in Hannover entsteht.
Das entstehende Atominterferometer an der
Universität Hannover: Installation des
Haltegerüsts für die die Versuchskammer des Very
Large Baseline Atom Interferometer.
Foto: Leibniz Universität Hannover [Großansicht] |
Eine der fundamentalen Herausforderungen der Physik ist die Vereinigung von
Einsteins Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Die Notwendigkeit, diese
beiden Säulen der modernen Physik kritisch zu hinterfragen, ergibt sich zum
Beispiel aus extrem energiereichen Ereignissen im Kosmos, die sich bisher nur
durch jeweils eine, nicht aber beide Theorien im Einklang erklären lassen. Daher
fahnden Forschende weltweit nach Abweichungen von den Gesetzen der
Quantenmechanik und der Relativitätstheorie, die Einblick in eine neue Physik
eröffnen könnten.
Für ihre aktuelle Studie haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
der Leibniz Universität Hannover und der Universität Ulm das aus Einsteins
spezieller Relativitätstheorie bekannte Zwillingsparadoxon vorgenommen. Dieses
Gedankenexperiment dreht sich um ein Zwillingspaar: Während ein Bruder ins
Weltall reist, bleibt der andere auf der Erde zurück. Für eine gewisse Zeit
bewegen sich die Zwillinge also auf unterschiedlichen Bahnen im Raum. Treffen
sich die beiden wieder, ist die Überraschung groß: Der Zwilling, der durchs All
gereist ist, ist deutlich weniger gealtert als sein daheim gebliebener Bruder.
Dieses Phänomen erklärt sich durch die von Einstein beschriebene
Zeitdilation: Abhängig davon, mit welcher Geschwindigkeit und wo im Schwerefeld
sich zwei Uhren relativ zueinander bewegen, ticken sie unterschiedlich schnell.
Für ihre Studie sind die Forschenden von einer quantenmechanischen Version des
Zwillingsparadoxons mit nur einem "Zwilling" ausgegangen. Dank des
Überlagerungsprinzips der Quantenmechanik kann sich dieser zeitgleich auf zwei
Pfaden bewegen. Im Gedankenexperiment wird der Zwilling durch eine Atomuhr
repräsentiert.
"Solche Uhren nutzen die Quanteneigenschaften von Atomen, um Zeit hochgenau
zu messen. Die Atomuhr ist also selbst ein quantenmechanisches Objekt, und kann
sich aufgrund des Überlagerungsprinzips auf zwei Wegen gleichzeitig durch die
Raumzeit bewegen. Gemeinsam mit Kollegen aus Hannover haben wir untersucht, wie
sich diese Situation im Experiment umsetzen lässt", erläutert Dr. Enno Giese,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ulmer Institut für Quantenphysik.
Hierzu haben die Forschenden auf Basis eines quantenphysikalischen Modells
erstmals einen experimentellen Aufbau für dieses Szenario entwickelt. Eine
wesentliche Rolle spielt hierbei eine zehn Meter hohe "Atomfontäne", die derzeit
an der Leibniz Universität Hannover entsteht. Anhand von Quantenobjekten wie der
Atomuhr können die Forschenden in diesem Atominterferometer relativistische
Effekte überprüfen – so auch die im Zwillingsparadoxon beschriebene
Zeitdilation.
"In einem Experiment würden wir eine Atomuhr in das Interferometer schicken.
Die entscheidende Frage lautet dann: Unter welchen Umständen lässt sich nach dem
Versuch, bei dem sich die Uhr ja auf zwei Bahnen gleichzeitig befindet, ein
Zeitunterschied feststellen?", erläutert Sina Loriani vom Institut für
Quantenoptik der Leibniz Universität Hannover.
Die theoretischen Vorarbeiten der Physikerinnen und Physiker sind
vielversprechend: Sie haben ein quantenphysikalisches Modell für das
Atominterferometer entwickelt, das die Wechselwirkung zwischen Lasern und Atomen
ebenso berücksichtigt wie die Bewegung der Atome – selbstverständlich unter
Beachtung relativistischer Korrekturen. "Mithilfe dieses Modells können wir eine
'tickende' Atomuhr, die sich in einer räumlichen Überlagerung gleichzeitig
entlang zweier Wege bewegt, beschreiben. Darüber hinaus weisen wir nach, dass
ein Atominterferometer wie es in Hannover entsteht, den Effekt der speziell
relativistischen Zeitdilation auf eine Atomuhr messen kann", resümiert Alexander
Friedrich, Doktorand am Ulmer Institut für Quantenphysik.
Aufgrund ihrer theoretischen Überlegungen können die Forschenden schon jetzt
annehmen, dass sich eine einzelne Atomuhr wie im Zwillingsparadoxon vorhergesagt
verhält: Relativitätstheorie und Quantenmechanik sind hier also gut miteinander
vereinbar. Der von anderen Gruppen angenommene Einfluss der Gravitation lässt
sich in einem experimentellen Vorschlag dieser Art aber wohl nicht nachweisen.
In wenigen Jahren kann das in der Theorie beschriebene Experiment
voraussichtlich im neuen Atominterferometer in Hannover umgesetzt werden.
Ganz praktisch könnten die Ergebnisse der Forschenden dabei helfen, auf
Atominterferometern beruhende Anwendungen wie Navigation oder Beschleunigungs-
und Rotationsmessungen zu verbessern. Die Forschung der Ulmer und Hannoveraner
Physikerinnen und Physiker ist im Zuge des Sonderforschungsbereichs DQ-mat und
des Projekts QUANTUS entstanden und soll in Zusammenarbeit der neuen Institute
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Ulm und Hannover
weitergeführt werden.
Die theoretische Vorarbeit zu diesem Experiment wurde jetzt in der
Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
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