Das Ende eines alten Weltbilds
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik astronews.com
21. August 2017
In der Welt der Quantenmechanik ist manches anders als in
unserer lokalen alltäglichen Umgebung. Das könnte ein Grund dafür sein, warum
diese Theorie immer wieder angezweifelt wurde, obwohl sich ihre Vorhersagen
bislang immer bestätigt haben. Mit einem neuen Test glauben Wissenschaftler nun
das sogenannte lokal-realistische Weltbild eindeutig widerlegt zu haben.
Künstlerische Darstellung des Experiments,
in dem zwei eingefangene Atome über eine
Entfernung von 400 Metern verschränkt werden.
Bild: Wenjamin Rosenfeld [Großansicht] |
"Die Natur ist anders, als wir sie mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen." So
bringt Prof. Harald Weinfurter von der Ludwig-Maximilians-Universität München
und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching die Ergebnisse der
jüngsten Messungen auf den Punkt, die sein Team zum Test der Bell’schen
Ungleichung durchführte. In dem betreffenden Experiment verschränkten die
Physiker zwei Rubidium-Atome über eine Entfernung von 400 Metern und bestimmten
danach deren Zustand mit hoher Effizienz.
Dabei widerlegten sie eindeutig das sogenannte lokal-realistische Weltbild,
das der klassischen Physik zugrunde liegt. In diesem Weltbild sind die
Eigenschaften eines Objekts völlig unabhängig von seiner Beobachtung
(Realismus), und keine Information oder Wirkung kann sich schneller als mit
Lichtgeschwindigkeit ausbreiten (Lokalität).
Mag der lokale Realismus auch unsere Alltagswelt treffend beschreiben, im
Reich der Quanten gelten ganz andere Gesetze: hier können zwei Teilchen über
weite Strecken eine Fernbeziehung unterhalten, und ihre Eigenschaften werden
erst durch die Messung festgelegt. Auf diese Inkonsistenz der Quantenmechanik
mit dem lokal-realistischen Weltbild wiesen schon 1935 Albert Einstein, Boris
Podolsky und Nathan Rosen in einer mittlerweile berühmten grundsätzlichen
theoretischen Arbeit hin.
1964 entwickelte der irische Physiker John Bell ein Verfahren, um die
Gültigkeit der unterschiedlichen Weltbilder zu testen. Der Test erfordert die
Verschränkung von zwei Quantenteilchen und die anschließende Bestimmung ihrer
Eigenschaften. Zwar haben alle derartigen Versuche bislang die Vorhersagen der
Quantenmechanik bestätigt. Skeptiker fanden jedoch stets noch ein Schlupfloch,
die Ergebnisse auch klassisch zu interpretieren.
Das Schlupfloch "Lokalität" betrifft die strikte raumzeitliche Trennung der
Beobachter. Diese wird im Münchner Experiment dadurch garantiert, dass sich ein
Labor im Keller der Fakultät für Physik in der Schellingstraße befindet, ein
weiteres in der Schackstraße im Keller der Fakultät für Volkswirtschaft der LMU.
In jedem Labor wird ein Rubidium-Atom gefangen und zur Aussendung eines
einzelnen Photons angeregt. Der Spin-Zustand des Atoms und die Polarisation des
Photons werden dadurch verschränkt. Die beiden Photonen werden über ein
Glasfaserkabel zu einem weiteren Messaufbau geführt, ebenfalls im Keller der
Fakultät für Physik, und dort zur Interferenz gebracht.
"Wir haben also zwei Beobachter-Stationen mit völlig unabhängig arbeitenden
experimentellen Anordnungen, eigenen Kontroll- und Laser-Systemen", betont Dr.
Wenjamin Rosenfeld, der das Projekt geleitet hat. "Die Entfernung von 400 Metern
bedeutet, dass die Verständigung zwischen den Beobachtern 1328 Nanosekunden
dauern würde, erheblich länger als der Messprozess. Damit kann keine Information
über die Messung in einem Labor bei der Messung im anderen Labor genutzt werden.
Auf diese Weise schließen wir das Schlupfloch Lokalität."
"Die gleichzeitige Messung der interferierten Photonen signalisiert uns, dass
die beiden Atome verschränkt sind“, erklärt Weinfurter. Verschränkung von zwei
Teilchen impliziert, dass ihre Eigenschaften eng korreliert sind. Abhängig von
der Art der Verschränkung heißt das für die beiden gespeicherten Rubidium-Atome,
dass ihre Spins entweder in die gleiche oder in die entgegengesetzte Richtung
zeigen. In einer 8-tägigen Messreihe sammelten die Wissenschaftler die Daten von
rund 10 000 Ereignissen. Die Auswertung ergab, dass wesentlich mehr Atome im
gleichen (bzw. ungleichen) Zustand waren, als es durch klassische Statistik
beschreibbar wäre. Die Resultate weichen mit 6 Standardabweichungen weit
deutlicher vom klassischen Limit ab als in vergleichbaren Experimenten einer
holländischen Gruppe.
"Die Bestimmung des Spin-Zustands der beiden Atome erfolgt bei uns sehr
schnell und effizient, und so schließen wir ein zweites potentielles
Schlupfloch: die Annahme, die beobachtete Verletzung der Bell’schen Ungleichung
sei auf unvollständige Detektion zurückzuführen", so Rosenfeld aus. Die
Messergebnisse sind zum einen von grundsätzlicher Bedeutung für unser
Verständnis der Naturgesetze. Die Wissenschaftler sehen in der Methode aber auch
eine Möglichkeit, Nachrichten abhörsicher zu verschlüsseln. Für Anwendungen in
der Quantenkryptographie aber müsse, so Weinfurter, die Qualität der Messungen
noch gesteigert werden. Darüber hinaus könnte das System auch als Bauelement die
effiziente Übermittlung von Quanteninformation und damit auch die sichere
Kommunikation über große Entfernungen ermöglichen.
Über ihre Ergebnisse berichteten die Wissenschaftler im vergangenen Monat in
der Zeitschrift Physical Review Letters.
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