Astronautenmuskeln und Magnetfelder
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
26. Juni 2018
Für den deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst und seine
Kollegen hat inzwischen der Arbeitsalltag auf der Internationalen
Raumstation ISS begonnen: So wurden bereits in der vergangenen Woche die Muskeln
von Gerst mit einem neuen Instrument vermessen und ein Experiment vorbereitet,
mit dem der Einfluss des Erdmagnetfelds auf Gesteine untersucht werden soll.

ESA-Astronaut Alexander Gerst und seine
NASA-Kollegin Serena Auñón-Chancellor während der
Überwachung eines Außenbordeinsatzes auf der ISS.
Foto: ESA/NASA [Großansicht] |
Am 19. Juni 2018 untersuchte die amerikanische Astronautin Serena
Auñón-Chancellor die Muskeln von Alexander Gerst. Dazu setzte sie das etwa
smartphone-große Gerät MyotonesPRO auf Gersts Arme und Beine. Das Gerät sendet
einen kleinen mechanischen Impuls auf die Haut und die darunter liegenden
Muskeln aus und misst, wie der darunterliegende Muskel darauf reagiert (d.h.
über mechanische Oszillationssignale des entspannten Muskels in Ruhe). Daraus
lassen sich Daten zu Tonus, Elastizität und Steifheit ableiten.
Prof. Dieter Blottner von der Charité Berlin, der das ISS-Experiment leitet,
freut sich, dass die ersten Messungen im All erfolgreich verlaufen sind: "Jetzt
haben wir die nötigen Vergleichsdaten, wenn wir Alexander Gersts Muskeln in der
Mitte und am Ende der Mission untersuchen." Hintergrund der Studie ist die
Veränderung von Muskeln und Knochenbau in der Schwerelosigkeit, eine
Fragestellung, die schon immer bei Langzeitmissionen erforscht wurde.
Im Projekt "Myotones" (myo/muscle tone in space) können nun erstmals
nicht-invasiv die grundlegenden biomechanischen Eigenschaften der Skelettmuskeln
schnell und objektiv bestimmt werden. Humanphysiologen der Charité
Universitätsmedizin Berlin und der Universität Southampton sowie des Herstellers
Myoton AS können so die Veränderungen von Gersts Muskulatur nach drei und sechs
Monaten in der Schwerelosigkeit sehr genau erfassen. Mit dem Experiment kann
unter anderem der Erfolg seiner Trainingsprogramme auf der ISS gemessen und
bewertet werden.
Auf der Erde dienen die Erkenntnisse zur Verbesserung von Rehabilitations-
und Trainingsprogrammen. Erkrankungen der Muskeln, der Knochen oder des
Bindegewebes sind ein häufiger Grund für Arbeitsunfähigkeiten. Vor diesem
Hintergrund sind optimierte Therapien, Trainingsprogramme und eine objektive
Bewertung des Muskelstatus sowie der Effektivität wichtig.
Ein ganze anderes Thematik behandelt das Experiment MagVector/MFX-2: Welchen
Einfluss hat ein Magnetfeld auf Gesteine und damit auch auf die frühe
Entwicklung eines Planeten und wie können Raumschiffe in Zukunft besser vor
Schwankungen des die Erde umgebenden Magnetfeldes geschützt werden? Grundlage
des Experiments ist das Magnetfeld der Erde, das uns vor dem permanenten
Beschuss durch hochenergetische Teilchen unserer Sonne – dem sogenannten
Sonnenwind – und der Strahlung aus dem Kosmos schützt.
Bei dem Experiment machen sich die Forscher die Tatsache zu Nutze, dass die
ISS mit 28.000 Stundenkilometer um die Erde kreist und deshalb täglich 16 Mal
durch das Magnetfeld der Erde fliegt. In der vergangenen Woche hat die ISS-Crew
die Instrumente des Experiments im Columbus-Labor aufgebaut, in den
kommenden Tagen werden Alexander Gerst und die anderen Crewmitglieder
unterschiedliche Gesteinsproben sowie eine Referenzprobe für jeweils 24 Stunden
einlegen und untersuchen. Mit Magnetfeldsensoren werden dabei entlang der
Flugbahn der ISS geringfügige Schwankungen der Magnetfeldlinien der Erde in der
Nähe der Gesteinsproben exakt erfasst.
"Es ist der gegenseitige Einfluss, den Erdmagnetfeld und Proben aufeinander
haben, der uns dabei vor allem interessiert", sagt Dr. Frank Sohl vom
DLR-Institut für Planetenforschung, das die Kampagne wissenschaftlich begleitet.
"Damit können wir gewissermaßen im Kleinen beobachten, was sich in einer viel
größeren Dimension abspielt, wenn sich beispielsweise ein metallreicher Asteroid
durch das interplanetare Magnetfeld der Sonne bewegt."
Zur Untersuchung haben Sohl und sein Team für unser Sonnensystem sehr
typische Gesteine zur ISS geschickt, darunter eine Basaltprobe aus Spitzbergen.
Basalte sind an den Oberflächen der erdähnlichen Planeten und Kleinkörper des
Sonnensystems weit verbreitet. Untersucht werden auch zwei Meteoriten aus der
Frühphase des Sonnensystems, ein Eisen-Nickel-Meteorit und ein Chondrit-Meteorit,
der sich aus Materialien in der Frühphase des Sonnensystems vor viereinhalb
Milliarden Jahren gebildet hat und damit eines der ältesten Gesteine des
Sonnensystems repräsentiert. Die Proben wurden vom Museum für Naturkunde Berlin
zur Verfügung gestellt.
Die Experimente ermöglichen einen neuen, einmaligen Blick auf das
Zusammenspiel von elektrischen Leitern und Magnetfeldern, indem die Proben mit
hoher Geschwindigkeit durch das Magnetfeld eines Planeten bewegt werden: "Das
ist so nur auf der ISS möglich und wurde noch nie durchgeführt", erklärt Sohl.
"Wir sind deshalb sehr gespannt auf die Ergebnisse." In der vergangenen Woche
wurde das Upgrade des Experiments eingebaut, der erste Testlauf der 32 neuen
Magnetfeldsensoren verlief dabei auf Anhieb erfolgreich. Die beschriebenen
Versuche mit den Gesteinsproben laufen voraussichtlich noch bis zum 13. Juli
2018. Neben der Planetenforschung können die Erkenntnisse von MagVector/MFX auch
zur Entwicklung von Magnetschutzschilden gegen geladene Partikel beitragen, die
für astronautische Missionen im Sonnensystem notwendig sind.
Alexander Gerst war am 6. Juni 2018 zu seiner Mission "horizons – Wissen für
morgen" zur Internationalen Raumstation ISS aufgebrochen. Auf dem Programm: 151
Experimente, davon 41 mit deutscher Beteiligung.
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