Ein wenig Captain Future auf der ISS
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
9. März 2018
Mit CIMON soll im Sommer der weltweit erste fliegende und
autonom agierende Astronauten-Assistent mit einer Künstlichen Intelligenz zur
Internationalen Raumstation ISS aufbrechen und dort unter anderem dem ESA-Astronaut Alexander Gerst
im Columbus-Weltraumlabor assistieren. Heute ist während eines
Parabelflugs schon einmal ein Test in Schwerelosigkeit geplant.

Fotomontage von CIMON schwebend im Columbus
Public Relation Modul am ESA European Astronaut
Centre (EAC) in Köln-Porz.
Bild: DLR / T. Bourry / ESA [Großansicht] |
CIMON kann sehen, hören, verstehen, sprechen - und fliegen. Er ist rund, hat
einen Durchmesser von 32 Zentimetern und wiegt fünf Kilogramm. Sein robotisches
Vorbild war in den 1980er Jahren in der Zeichentrickserie "Captain Future"
Professor Simon Wright, das "fliegende Gehirn" mit Sensoren, Kameras und einem
Sprachprozessor. Fast 40 Jahre später könnte jetzt mit CIMON (Crew Interactive
MObile companioN), einem astronautischen Flugbegleiter und Assistenzsystem, aus
Science Fiction tatsächlich "Science Fact" werden. CIMON soll ab Sommer 2018 der
neue Mitbewohner der Internationalen Raumstation ISS werden, um als
Technologie-Experiment die Zusammenarbeit von Menschen und intelligenten
Maschinen an Bord der ISS zu demonstrieren.
Entwicklung und Bau des interaktiven Astronauten-Assistenten wurden vom
Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit
Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Auftrag
gegeben und von Airbus in Friedrichshafen und Bremen umgesetzt. Als
sprachgesteuerte Künstliche Intelligenz dient die Watson KI-Technologie aus der
IBM Cloud. Die menschlichen Aspekte des Assistenzsystems wurden von
Wissenschaftlern des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
mitentwickelt und betreut.
Ein rund 50-köpfiges Projektteam von DLR, Airbus, IBM und der LMU arbeitet
seit August 2016 an der Realisierung von CIMON. "CIMON ist in dieser Form
weltweit einzigartig", fasst Dr. Christian Karrasch, CIMON-Projektleiter im DLR
Raumfahrtmanagement in Bonn, zusammen. "Dieses Experiment haben wir in sehr
kurzer Zeit realisiert und es soll zeigen, inwieweit es möglich ist, die
Astronauten im europäischen Columbus-Modul der ISS bei ihren Arbeiten
zu unterstützen und sie vor allem bei Routineaufgaben zu entlasten. Im Idealfall
könnten die Astronauten dadurch ihre Zeit noch besser und effektiver nutzen. Wir
betreten hier Neuland und bewegen uns mit CIMON an der Schwelle des
technologisch Machbaren."
Schwerelos wird CIMON bereits heute bei der 31. DLR-Parabelflugkampagne in
Bordeaux. Dabei sollen insbesondere Orientierung, Navigation und Lenkung
getestet werden, um für den Einsatz auf der ISS - in permanenter
Schwerelosigkeit - optimal vorbereitet zu sein. Im Juni soll CIMON dann an Bord
des amerikanischen SpaceX-15-Raumtransporters zur ISS reisen. Dort wird
er vom deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst in Empfang genommen. Nach einem
Funktionstest soll der deutsche Astronaut dreimal mit seinem künstlichen
Crew-Kollegen arbeiten - auf der Agenda stehen Versuche mit Kristallen, mit dem
Rubik-Zauberwürfel und ein medizinisches Experiment, bei dem CIMON als fliegende
Kamera genutzt wird.
CIMON ermöglicht es dem Astronauten, beide Hände frei zu haben, er muss zum
Beispiel keinen Computer manuell bedienen. Durch den vollständig
sprachgesteuerten Zugriff auf Dokumente und Medien kann der Astronaut "bequem"
durch Bedienungs-, Reparaturanleitungen und Prozeduren für Experimente und
Anlagen navigieren. CIMON dient somit als komplexe Datenbank mit allen
notwendigen Informationen für Arbeiten auf der ISS und kann zeitgleich als
mobile Kamera für Dokumentationszwecke genutzt werden.
Dabei verfügt der intelligente künstliche Assistent bei seiner Premiere im
All noch nicht über alle denkbaren und von seinen Entwicklern angedachten
Fähigkeiten: "Mittelfristig wollen wir uns auch Gruppen-Effekten widmen, die
sich bei kleinen Teams über lange Zeit hinweg entwickeln und bei
Langzeitmissionen zu Mond und Mars auftreten können. Denn die soziale
Interaktion zwischen Mensch und Maschine, zwischen Astronaut und mit emotionaler
Intelligenz ausgestattetem Flugbegleiter, könnte eine wichtige Rolle für den
Erfolg dieser Missionen spielen", verdeutlicht Till Eisenberg,
CIMON-Projektleiter bei Airbus.
Zudem interessieren die Ingenieure auch die Verarbeitung großer Datenmengen
(Big Data) und ihre systematische Verarbeitung (Data Mining). "Wir wollen mit
dem Projekt CIMON die aktuellen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz in
einem komplexen Umfeld wie der Internationalen Raumstation untersuchen, um die
Menschen in solchen Umgebungen bestmöglich zu unterstützen”, erläutert Matthias
Biniok, Projektleiter bei IBM, das Interesse an dem Projekt. So nutze CIMON die
Watson KI für Text-, Sprach- und Bildverarbeitung, für das Auffinden
spezifischer Informationen und Erkenntnisse, wie etwa Informationen zum Ablauf
von Experimenten sowie die Interpretation von Stimmungen und Gefühlen. "Diese
Fähigkeiten können im Kontext ihres jeweiligen Einsatzes individuell trainiert
und vertieft werden. Die Künstliche Intelligenz nutzt dabei insbesondere auch
künstliche neuronale Netze," so Biniok.
CIMON hat auch einen wissenschaftlichen Hintergrund: Berater sind Dr.
Judith-Irina Buchheim und Prof. Dr. Alexander Choukèr von der Klinik für
Anästhesiologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im
Rahmen verschiedener Forschungsprojekte beschäftigen sich Buchheim und Choukèr
mit den Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem des Menschen. "Dabei
untersuchen wir nicht nur Patienten auf Intensivstationen, sondern auch
Menschen, die durch ihr Umfeld einer außergewöhnlichen Stress- und
Arbeitsbelastung ausgesetzt sind wie beispielsweise Polarforscher in der
Antarktis oder Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS", berichtet
Judith Buchheim und ergänzt: "Unsere Studien zeigen, dass ein Aufenthalt in
Schwerelosigkeit die Funktion des Immunsystems der Astronauten signifikant
beeinträchtigen kann. Stress ist dabei ein wesentlicher Einflussfaktor."
So würden anstrengende Aufgaben, die man mit einem Kollegen erledigt, bei
guter Zusammenarbeit meist als weniger anstrengend empfunden. "CIMON könnte als
Partner und Begleiter Astronauten bei ihrem hohen Pensum an Experimenten,
Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten unterstützen und dadurch deren
Stressexposition reduzieren. Denkbare Anwendungsmöglichkeiten auf der Erde sind
laut Buchheim die Unterstützung von Ingenieuren, Forschern und Ärzten, das
KI-basierte Erfragen von Symptomen oder das Begleiten von älteren,
alleinlebenden Personen im Alltag.
CIMONs Struktur wurde komplett in einem 3D-Verfahren gedruckt und besteht aus
Metall und Kunststoff. Sein "Gesicht" ist ein Display und soll sich schwebend
etwa in Augenhöhe der Astronauten bewegen. Er kann Informationen, Anleitungen zu
wissenschaftlichen Experimenten und Reparaturen darstellen und erklären. Seine
"Augen" sind zwei Kameras und zur Gesichtserkennung ist eine weitere Kamera
eingebaut. Zwei Seitenkameras dienen der Videodokumentation und könnten auch für
weitere computergenerierte Zusatzfunktionen (Augmented Reality) genutzt werden.
Ultraschall-Sensoren messen Abstände zur Kollisions-Erkennung.
Als "Ohren" fungieren sieben Mikrofone zur Richtungserkennung plus ein
Richt-Mikrofon für eine gute Spracherkennung. Sein "Mund" ist ein Lautsprecher,
über den er sprechen und Musik abspielen kann. Kernstück der KI für das
Sprachverständnis ist das System IBM Watson. Selbstständiges Lernen von CIMON
wurde ausgeschlossen, er muss aktiv durch einen Menschen trainiert werden. Die
KI zur autonomen Navigation stammt von Airbus und dient der Bewegungsplanung und
Objekterkennung. Durch 14 interne Ventilatoren kann sich CIMON frei in alle
Raumrichtungen bewegen und rotieren. Somit kann er sich dem Astronauten
zuwenden, wenn er angesprochen wird, Kopfnicken, Kopfschütteln und räumlich
selbstständig oder auf Kommando folgen. In Schwerelosigkeit auf der ISS ist ein
Einsatz von zwei Stunden möglich.
Die Dimensionen des Gesichtes von CIMON sind den Proportionen eines Menschen
nachempfunden. Gestik und Mimik sind ebenso möglich, wie ein weibliches,
männliches oder neutrales Aussehen und Stimme. Das Produkt-Design von CIMON
wurde in Zusammenarbeit mit Reichert Design, einer Firma aus Stetten am
Bodensee, realisiert.
Weitere Partner des Projekts sind die europäische Weltraumagentur ESA,
besonders das Europäische Weltraumforschungs- und Technologiezentrum ESTEC in
Noordwijk zur technischen Integration, BioTESC in Hergiswil in der Schweiz zur
operationellen Experiment-Vorbereitung und Durchführung des Experimentes in der
Infrastruktur der ISS, das Columbus-Kontrollzentrum beim DLR in
Oberpfaffenhofen zur operationellen Missionsplanung und das Europäische
Astronauten Trainingszentrum EAC in Köln.
|