Das Universum in einem Kristall
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Festkörper- und
Werkstoffforschung Dresden astronews.com
16. August 2017
Forscher haben einen unerwarteten experimentellen Zugang zu
einem Problem der Allgemeinen Relativitätstheorie gefunden: Sie entdeckten, dass es
in neuartigen Materialien und mithilfe von thermoelektrischen Messungen möglich
ist, den Effekt der Schwerkraft-Quantenanomalie nachzuweisen. Erstmals konnten
diese somit in simulierten Schwerefeldern an einem realen Kristall untersucht
werden.
Forschern ist es gelungen, ein ausreichend
starkes Schwerefeld, welches eigentlich nur weit
draußen im Universum existiert, in einem Kristall
nachzuempfinden.
Bild: Robert Strasser, Kees Scherer, Michael
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In der Physik spielen Messgrößen wie Energie, Impuls oder elektrische Ladung,
welche ihre Erscheinungsform zwar ändern können, aber niemals verloren gehen
oder niemals aus dem Nichts entstehen, eine zentrale Rolle. Diese Messgrößen
bestimmen, welche physikalischen Prozesse in unserem Universum möglich sind. In
bestimmten Situationen jedoch, nämlich genau dann, wenn man von der klassischen
Physik zu einer nicht-klassischen Betrachtung, also der Quantenmechanik
übergeht, sind diese Größen nicht mehr zwangsläufig erhalten. Man spricht dann
von Quantenanomalien.
Eine dieser Quantenanomalien, die beispielsweise zur Beschreibung von
Neutronensternen von theoretischen Physikern angedacht wurde, aber noch nie
experimentell nachgewiesen werden konnte, ist die Schwerkraft-Quantenanomalie:
der Zusammenbruch eigentlich stets erhaltener Messgrößen – in diesem Fall der
Energie und des Impulses – in gleichzeitig angelegten und parallel verlaufenden
Magnet- und Schwerefeldern.
Forschern ist es nun erstmals gelungen, diese Quantenanomalie experimentell
in Kristallen nachzuweisen. Dabei konnten sie eine große experimentelle
Schwierigkeit umgehen: Ausreichend starke Schwerefelder zur Beobachtung der
Schwerkraft-Quantenanomalie, und die damit einhergehende, von Einstein
vorausgesagte Krümmung der Raumzeit, liegen zwar bei Neutronensternen oder in
der Nähe Schwarzer Löchern vor, können aber nicht im Labor auf der Erde
realisiert werden. Somit war die Messung der theoretisch vorausgesagten
Schwerkraft-Quantenanomalie bisher unmöglich.
Die Wissenschaftler haben nun einen unerwarteten Ausweg aus diesem
experimentellen Dilemma gefunden: In ihrem Experiment nutzten die Forscher
erstmals die Erkenntnis, dass sich unter bestimmten Umständen in Kristallen ein
Schwerefeld durch einen Temperaturunterschied nachahmen lässt. So können
Messungen in Gravitationsfeldern nachgestellt werden, ohne dass dafür eine
Krümmung der Raumzeit im Labor erzeugen werden müsste.
Neuartige Materialien – sogenannte Weyl-Halbmetalle - stellen für die
Forscher eine ideale Messplattform dar. In diesen Materialien gibt es bestimmte
Elektronen (Weyl-Fermionen), die aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften für das
Forscherteam beim Nachweis der Schwerkraft-Quantenanomalie von besonderem
Interesse waren. Diese Elektronen haben zwei verschiedene Drehrichtungen (Chiralitäten)
– so gibt es sowohl links- wie auch rechtsdrehende Elektronen. Eine Besonderheit
dieser Materialien besteht darin, dass die Energie und der Impuls der Elektronen
eines Drehsinns jeweils eine stets erhaltene Messgröße darstellt. So kann weder
im linksdrehenden noch im rechtsdrehenden Elektronenreservoir Energie oder
Impuls verloren oder hinzugewonnen werden – es sei denn es liegt eine
Quantenanomalie vor.
Ein solches, neuartiges Material setzten die Forscher im Experiment einem
Temperaturunterschied aus, der in gewöhnlichen elektrischen Leitern einen
Stromfluss verursacht. In dem untersuchten speziellen Halbmetall-Material darf
nun allerdings gerade kein Stromfluss zustande kommen, da dies Ausdruck der
stets erhaltenen Energie und des stets erhaltenen Impulses der beiden
Elektronenreservoirs ist. Als die Forscher zusätzlich noch einen
Temperaturunterschied über den Kristall erzeugten und in gleicher Richtung ein
Magnetfeld anlegten, beobachten sie jedoch einen Stromfluss, der mit
ansteigendem Magnetfeld weiter zunahm.
Dieser resultiert daraus, dass die eigentlich stets bewahrte Energie und der
stets bewahrte Impuls der Elektronen eines Drehsinn nun nicht mehr erhalten ist
und linksdrehende Elektronen beispielweise mehr Energie und einen größeren
Impuls haben als rechtdrehende Elektronen. Dieses werten die Forscher als ersten
experimentellen Nachweis der Schwerkraft-Quantenanomalie. Den Forschern ist es
somit erstmals im Experiment gelungen, eine Quantenanomalie unter Beteiligung
eines simulierten Schwerefeldes zu beobachten.
"Extrem spannend ist, dass wir mithilfe dieses Experiments aus dem Bereich
der Festkörperphysik eine physikalische Fragestellung beantworten konnten, die
auch in vielen anderen Bereichen der Physik außerhalb der Materialforschung eine
wichtige Rolle spielt", freut sich Anna Niemann, Doktorandin am
Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden. So seien
die Ergebnisse dieser Studie etwa relevant für Astrophysiker, um Prozesse
im frühen Universum aufzuklären oder auch für Teilchenphysiker, um mögliche
Teilchenzerfälle zu verifizieren.
Über ihre Ergebnisse berichteten die Wissenschaftler im vergangenen Monat in
der Zeitschrift Nature.
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