Lösung des Neutrinoproblems ausgezeichnet
von Stefan Deiters astronews.com
6. Oktober 2015
Der Japaner Takaaki Kajita und der Kanadier Arthur B.
McDonald erhalten den diesjährigen Nobelpreis für Physik. Das gab die Königlich
Schwedische Akademie der Wissenschaften heute in Stockholm bekannt. Die beiden
Teilchenphysiker werden für die Lösung des sogenannten Neutrinoproblems geehrt
und für die damit verbundene Erkenntnis, dass Neutrinos eine Masse besitzen
müssen.
Der Japaner Takaaki Kajita (links) und der
Kanadier Arthur B. McDonald erhalten den
Nobelpreis für Physik 2015.
Bild: T. Kajita / K. MacFarlane, Queen's
University / SNOLAB / Nobelprize.org |
Neutrinos sind überall. Doch von ihrer Existenz weiß man erst seit 1956.
Postuliert wurden sie erstmals vom österreichischen Physiker Wolfgang Pauli im
Jahr 1930, der
damit versuchte, die Energiebilanz beim radioaktiven Beta-Zerfall zu retten. Er
schrieb damals an seine Kollegen ("Sehr geehrte radioaktive Damen und Herren"):
"Ich habe etwas Furchtbares getan. Ich habe ein Teilchen postuliert, das niemals
beobachtet werden kann."
Tatsächlich haben diese Neutrinos faszinierende Eigenschaften: Sie bewegen sich
praktisch mit Lichtgeschwindigkeit, wechselwirken dabei jedoch so gut wie gar
nicht mit
Materie. Sie nachzuweisen ist also in der Tat eine sehr schwierige Aufgabe. In
den 1950er Jahren entstanden überall Atomkraftwerke, die gleichzeitig auch eine starke Neutrinoquelle
waren. Und tatsächlich gelang es damals, die
gesuchten Teilchen hier mithilfe eines Detektors aufzuspüren. Einer der daran
beteiligten Wissenschaftler, Frederick Reines, erhielt 1995 den
Physik-Nobelpreis.
Doch mit dem Nachweis der Existenz von Neutrinos hörte das Rätsel um die kaum
fassbaren Teilchen nicht auf: Die Physiker berechneten nämlich auf Grundlage
ihrer theoretischen Modelle, wie viele Neutrinos bei den Kernfusionsprozessen in
der Sonne entstehen müssten. Das Problem: Etwa zwei Drittel der vorhergesagten
Neutrinos ließen sich in den Detektoren auf der Erde nicht nachweisen. Waren
also die Modelle der Astrophysiker falsch?
Es gab noch eine andere Erklärung: Neutrinos kommen, so das Standardmodell der
Teilchenphysiker, in drei verschiedenen Arten vor - als Elektron-Neutrino,
Tau-Neutrino und Myon-Neutrino. In der Sonne entstehen Elektron-Neutrinos und diese
hat
man auch versucht, auf der Erde nachzuweisen. Doch könnte es nicht sein,
dass die Neutrinos auf dem Weg von der Sonne zur Erde ihre Art wechseln, was das
beobachtete Defizit auf der Erde erklären würde?
Um diesen von den Experten als "Neutrino-Oszillation" bezeichneten Prozess
nachzuweisen, bedurfte es gewaltiger Detektoren. Einer davon ging 1996 in einer
Zink-Mine in Japan in Betrieb, der Super-Kamiokande. Drei Jahre später folgte in
einer Nickel-Mine im kanadischen Ontario das Sudbury Neutrino Observatory.
Super-Kamiokande detektierte in den ersten zwei Betriebsjahren 5.000 Signale von
Neutrinos. Darunter waren auch Myon-Neutrinos, die aus der Atmosphäre der Erde
stammten. Hier waren sie durch Kollisionen von Partikeln der kosmischen
Strahlung mit dort vorhandenen Molekülen entstanden.
Obwohl die Erde für Neutrinos keine signifikante Hürde darstellt, konnten die
Wissenschaftler einen Unterschied in der Anzahl der Myon-Neutrinos feststellen,
abhängig davon, ob sie direkt von oberhalb des Detektors stammten oder auf dem
Weg zum Detektor erst die Erde durchlaufen mussten. Aus dieser Richtung
schafften es etwas weniger Myon-Neutrinos in den Detektor. Bei den Elektron-Neutrinos stellte man keine
richtungsabhängigen Abweichungen fest. Offenbar hatten sich von den Myon-Neutrinos, die
etwas länger unterwegs waren, einige bereits in Tau-Neutrinos verwandelt. Die
Myon-Neutrinos, die direkt über dem Detektor entstanden waren, hatten dazu viel
weniger Zeit.
Auch am Sudbury Neutrino Observatory in Kanada war man damals den eigentümlichen
Partikeln auf der Spur: Von den 60 Milliarden Elektronen-Neutrinos, die pro
Sekunde und Quadratzentimeter die Erde von der Sonne erreichen sollten, konnte
man in den ersten zwei Jahren nur drei pro Tag detektieren - das war ein Drittel
des erwarteten Wertes. Allerdings konnte man in Kanada auch die Gesamtanzahl
aller Neutrinos bestimmen, dabei allerdings nicht ihren Typ unterscheiden. Und
diese Gesamtzahl entsprach dem erwarteten Wert, was bedeuten musste, dass die
Elektronen-Neutrinos auf dem Weg zur Erde ihre Identität geändert hatten.
Beide Experimente zusammen hatten somit gezeigt, dass sich Neutrinos tatsächlich
von einer Art in eine andere Art verwandeln. Das kann aber nur gelingen, wenn
Neutrinos nicht masselos sind, sondern eine kleine Masse aufweisen. Das ist
jedoch
ein Problem für das eigentlich sehr erfolgreiche Standardmodell der
Teilchenphysiker, in dem Neutrinos als masselose Partikel betrachtet werden.
Und so geht die Forschung über Neutrinos und ihre Eigenschaften weiter und
könnte irgendwann zu einem ganz neuen Standardmodell führen. Den Grundstein
dafür legte aber der heute mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnete Nachweis
der Neutrinooszillationen und der damit verbundenen Feststellung, dass Neutrinos
eine Masse besitzen müssen.
Takaaki Kajita von der Universität in Tokyo leitete die entscheidenden
Forschungen der Super-Kamiokande Collaboration und Arthur B. McDonald von der
Queen’s University im kanadischen Kingston das Team am Sudbury Neutrino
Observatory. Kajita wurde 1959 im japanischen Higashimatsuyama geboren,
machte 1986 seine
Doktorarbeit an der Universität in Tokyo und ist Direktor des Institute for
Cosmic Ray Research und Professor an der Universität von Tokyo. McDonald wurde
1943 im kanadischen Sydney geboren, machte 1969 seine Doktorarbeit am Californa
Institute of Technology und ist emeritierter Professor der Queen’s University.
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