Teleskop im Eis misst Oszillationen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) astronews.com
27. März 2015
Mithilfe des Neutrino-Observatoriums IceCube in der
Antarktis konnten jetzt sogenannte Neutrino-Oszillationen nachgewiesen werden.
Dabei wandelt sich ein Neutrino von einem Typ in einen anderen Typ um, während es
die Erde und ihre Atmosphäre durchfliegt. Eigentlich war IceCube für
solche fundamentalen Messungen gar nicht gedacht gewesen.

In der IceCube-Zentrale an der
Scott-Amundsen-Station am Südpol laufen die
Detektordaten zusammen. Bild:
Felipe Pedreros, IceCube/NSF [Großansicht] |
Das IceCube-Observatorium am Südpol hat vermessen, auf welche Art
und Weise Neutrinos, eine Sorte geisterhafter Elementarteilchen, ihre Identität
verändern, wenn sie durch den Erdball und die irdische Atmosphäre fliegen. Die
Messung dieser sogenannten Neutrino-Oszillationen, die erstmals 1998 vom
Kamiokande-Experiment in Japan beobachtet wurden, eröffnet neue Perspektiven für
die Teilchenphysik - und dies mit einem Detektor, der ursprünglich für ganz
andere Zwecke gebaut wurde, nämlich zur Entdeckung von Neutrinos aus weit
entfernten kosmischen Quellen.
"Wir freuen uns sehr, dass wir mit IceCube und dem integrierten
DeepCore-Detektor Neutrino-Oszillationen mit hoher Präzision bestimmen
können", meint Olga Botner, Sprecherin des IceCube-Experiments. "DeepCore
wurde auf Initiative des erst kürzlich verstorbenen Per Olof Hulth entwickelt,
um die Energieschwelle von IceCube deutlich herabzusetzen. Die
Ergebnisse zeigen, dass IceCube dazu beitragen kann, die
Oszillationsparameter sehr genau zu bestimmen; ein guter Grund, die Pläne für
PINGU voranzutreiben, die IceCube-Erweiterung zur Messung von
Neutrinoeigenschaften."
"IceCube registriert jedes Jahr mehr als hunderttausend atmosphärische
Neutrinos. Die meisten davon sind Myon-Neutrinos, die durch die Wechselwirkung
von schnellen kosmischen Teilchen mit der Atmosphäre entstehen",erklärt Rolf
Nahnhauer, Physiker am Deutschen Elektonen-Synchrotron (DESY). Mit dem
DeepCore-Detektor im Zentrum von IceCube können Neutrinos mit
Energien bis hinunter zu 10 Gigaelektronenvolt (GeV) nachgewiesen werden.
"Aufgrund unseres Wissens über Neutrino-Oszillationen müsste IceCube
weniger Myon-Neutrinos mit Energien um 25 GeV registrieren, wenn sie nach
Durchqueren des Erdballs IceCube erreichen", erklärt Nahnhauer weiter. "Der
Grund für das Fehlen der Myon-Neutrinos liegt in deren Umwandlung in andere
Neutrino-Sorten."
IceCube-Forscher nutzten Daten von Myon-Neutrinos von der
Nordhalbkugel, in einem Energiebereich von wenigen GeV bis rund 50 GeV, die im
Zeitraum Mai 2011 bis April 2014 genommen wurden. Es wurden etwa 5.200
Ereignisse gefunden, wesentlich weniger als die 7.000, die man unter Annahme von
nicht stattfindenden Oszillationen erwartet hätte.
Noch heute gehören Neutrinos zu den rätselhaftesten Elementarteilchen. 1930
vom österreichischen Physiker Wolfgang Pauli vorhergesagt, gelang deren
experimenteller Nachweis erst 25 Jahre später. "Neutrinos sind geisterhafte
Teilchen", so Botner, "sie fliegen durch Materie aller Art und durch den
gesamten Erdball, ohne mit irgendetwas zu reagieren."
Die Physiker haben jedoch immer feinere Messinstrumente gebaut, um die Rätsel
der extrem leichten Teilchen zu entschlüsseln. Eines der überraschenden
Ergebnisse war, dass die drei Neutrinosorten Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino
ihre Identität ändern können, indem sie von einer zur anderen Neutrinosorte
wechseln. Dieses Phänomen bezeichnet man als Neutrino-Oszillation.
"Neutrino-Oszillationen sind aber nur möglich, wenn Neutrinos eine Masse
haben", erklärt Nahnhauer. "Im Standardmodell der Teilchenphysik werden
Neutrinos jedoch als masselos angenommen." Die Oszillationsstärke und die
Strecke, auf der diese Oszillation stattfindet, wird von zwei Parametern
bestimmt: dem sogenannten Mischungswinkel und der Massendifferenz der einzelnen
Sorten. Die Werte dieser Parameter wurden eingegrenzt durch präzise Messungen
von Neutrinos aus der Sonne, der Atmosphäre, Kernkraftwerken und
Teilchenbeschleunigern.
Das Neutrino-Observatorium IceCube am Südpol, das das antarktische
Eisschild als Detektormaterial nutzt, hat bereits seine Leistungsfähigkeit als
Instrument zur Erforschung des Universums mit Hilfe von Neutrinos bewiesen. Mehr
als 5.000 optische Sensoren, auf einen Kubikkilometer Eis verteilt, registrieren
die äußerst seltenen Kollisionen von Neutrinos mit dem Eis.
Vor knapp zwei Jahren verkündeten die IceCube-Physiker die
Entdeckung der ersten hochenergetischen Neutrinos aus dem Kosmos. Diese
bahnbrechende Entdeckung wurde vom Wissenschaftsmagazin Physics World
zum "Durchbruch des Jahres" gekürt. Jetzt hat IceCube bewiesen, dass
nicht nur Spitzenergebnisse für die Astrophysik, sondern auch äußerst wichtige
Ergebnisse für die Teilchenphysik möglich sind.
Die neuen Messungen der IceCube-Kollaboration sollten eine
wesentlich verbesserte Bestimmung der Neutrino-Oszillationsparameter erlauben.
Die im Zeitraum von drei Jahren durch IceCube gelieferten Daten waren
ähnlich präzise wie diejenigen, die in 15 Jahren am Super-Kamiokande gemessen
wurden. Anders als Super-Kamiokande, mit seinem 50.000-Tonnen-Tank hochreinen
Wassers, nutzt IceCube das ewige Eis des Südpols als Detektormaterial. Das
500-mal größere Beobachtungsvolumen liefert höhere Ereignisstatistiken in
kürzerer Zeit.
"Sowohl Super-Kamiokande als auch IceCube nutzen den gleichen
'Teilchenstrahl' aus atmosphärischen Neutrinos, aber mit unterschiedlichen
Energien. Wir erreichen dabei eine vergleichbare Präzision der messbaren
Oszillationsparameter", sagt DESY-Postdoc Pablo Yanez. "Die Ergebnisse aus
IceCube-Daten haben zurzeit zwar noch größere Messfehler als die extrem
präzisen Neutrinostrahlexperimente MINOS und T2K; IceCube wird jedoch
weiterhin Daten nehmen, und mit Verbesserung der Analysen hoffen wir, bald
aufholen zu können."
Zurzeit ist eine Erweiterung des IceCube-Detektors namens PINGU
(Precision IceCube Next Generation Upgrade) in Planung. Eine wesentlich höhere
Dichte der optischen Module im gesamten zentralen Bereich soll die
Empfindlichkeit für die Erforschung verschiedener fundamentaler Fragen im
Zusammenhang mit Neutrinos erhöhen.
"In erster Linie wollen wir die sogenannte Neutrino-Massenhirarchie messen,
das heißt, ob es zwei schwerere und ein leichtes Neutrino gibt, oder ob es genau
umgekehrt ist", erklärt Nahnhauer. "Das ist wichtig, um zu verstehen, wie
Neutrinos Masse erhalten, es hat aber auch eine erhebliche Bedeutung bei der
Entwicklung des Kosmos. Die aktuellen Ergebnisse liefern eine wichtige
experimentelle Bestätigung dafür, dass unsere Ideen funktionieren."
Über ihre Resultate berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift
Physical Review D.
|