Die Wandlungsfähigkeit von Neutrinos
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der RWTH Aachen astronews.com
16. Juni 2011
Mit Hilfe des Teilchendetektors Super-Kamiokande im Westen
Japans könnte Teilchenphysikern eine bedeutende Entdeckung gelungen sein: Sie
fanden bei einem Experiment Hinweise darauf, dass sich Myon-Neutrinos in
Elektron-Neutrinos umwandeln können. Diese Art von Neutrino-Oszillation war
bislang noch nicht beobachtet worden und dürfte einiges über diese kaum
fassbaren Partikel verraten.

Blick in den
Tank von Super-Kamiokande.
Foto: Kamioka Observatory, ICRR
(Institute for Cosmic Ray Research), The
University of Tokyo |
Vor 80 Jahren postulierte der Physiker Wolfgang Pauli die Existenz eines neuen
Elementarteilchens, des Neutrinos. Er schrieb, er sei "auf einen verzweifelten
Ausweg verfallen … nämlich die Möglichkeit, es könnten elektrisch neutrale
Teilchen … in den Kernen existieren". Nach seiner Emigration in die USA begann
Pauli diese Hypothese zu bereuen. Doch inzwischen kann die moderne Physik Pauli
beruhigen: Mit immer größeren Teilchendetektoren ist es gelungen, die scheinbar
nicht nachweisbaren Teilchen zu identifizieren.
Einer dieser Teilchendetektoren
ist Super-Kamiokande im Westen Japans. Super-Kamiokande ist ein Wassertank mit
einem Durchmesser von 39 Metern und einer Höhe von 41 Metern. Er steht in einer
Zink-Mine, tief unter einem Berg. Wird ein Neutrino im Wassertank eingefangen,
strahlt dieses in charakteristischer Weise Licht ab, das von rund 11.000
Fotosensoren an den Wänden des Tanks nachgewiesen wird.
Forscher aus Japan und
elf weiteren Ländern - darunter auch Wissenschaftler vom III. Physikalischen Institut
der RWTH Aachen - richteten nun einen künstlichen Neutrinostrahl auf den Detektor.
Dieser begann seine 295 Kilometer langen "Reise" durch die Erde an der Ostküste Japans.
Von den Ergebnissen dieses Experimentes erhofften sich die beteiligten Forscher
ganz neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie.
Die ersten Resultate der Messungen, die jetzt veröffentlicht wurden, sehen
vielversprechend aus: Ein
kleiner Teil der Neutrinos änderte nämlich auf dem Weg von der Erzeugung
bis zur Messung ihren Typ. Physiker unterscheiden drei Arten von Neutrinos: Elektron-, Myon- und Tauon-Neutrinos.
Erzeugt wurde ein Strahl aus Myon-Neutrinos. Neben vielen Myon-Neutrinos konnten
aber nun erstmals auch Elektron-Neutrinos im Detektor nachgewiesen werden - und
zwar signifikant mehr, als man statistisch erwartet hätte.
Die Umwandlung von einem Neutrino-Typ in einen anderen bezeichnet man als
Neutrino-Oszillation. Sie wurde im Jahr 1962 theoretisch vorhergesagt und in
einigen Fällen auch experimentell beobachtet. So ließ sich etwa das solare
Neutrino-Problem, nach dem auf der Erde weniger solare Neutrinos ankommen als
bei den Fusionsprozessen in der Sonne eigentlich entstehen sollten, durch die
Neutrino-Oszillationen lösen. Die jetzt gefundene Neutrino-Oszillation war zuvor
noch nicht beobachtet worden. Die Forscher hoffen daher, dass ihre Entdeckung
das Bild der Teilchenphysiker von den Neutrinos vervollständigt.
Der Betrieb des Neutrinostrahls begann 2010 und wurde am 11. März 2011 durch die
Naturkatastrophen in Japan jäh unterbrochen. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis
basiert auf Messungen vor der Katastrophe. Durch das Erdbeben wurde unter
anderem die Stromversorgung beschädigt. Die Forscher hoffen auf eine zügige
Reparatur und eine Wiederinbetriebnahme gegen Ende des Jahres. Sie wollen die
beobachtete Umwandlung von Myon-Neutrinos in Elektron-Neutrinos im Detail
untersuchen. Vielleicht, so hoffen sie, liegt hier die Erklärung, warum bei
Vernichtung der Antimaterie im Universum Bruchteile von Sekunden nach dem
Urknall nicht auch die Materie, aus der wir heute bestehen, vollständig
ausgelöscht wurde.
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