Eine magische Insel in Ligeia Mare
von Stefan Deiters astronews.com
25. Juni 2014
Auf Radarbildern der Saturnsonde Cassini haben
Astronomen eine verblüffende Entdeckung gemacht: Im zweitgrößten See des
Monds Titan scheint eine neue Struktur aufgetaucht zu sein. Um was es sich dabei
genau handelt, wissen die Forscher nicht. Sie nennen die Struktur "Magische
Insel", obwohl es sich wohl nicht um eine Insel handeln dürfte.

Zwei Bilder der
Küstenlinie des zweitgrößten Titansees Ligeia
Mare. Auf der unteren, neueren Aufnahme ist
plötzlich eine weitere Struktur zu erkennen
(Mitte oben).
Bild: NASA / JPL-Caltech / Cornell
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Im zweitgrößten See des Saturnmonds Titan ist auf neuen Radarbildern der
Saturnsonde Cassini plötzlich eine bislang unbekannte Struktur aufgetaucht. Der Saturnmond
Titan ist - abgesehen von der Erde - das einzige bekannte Objekt im Sonnensystem, auf dem
es einen Flüssigkeitskreislauf gibt. Aufgrund der niedrigen Temperaturen basiert
dieser hier allerdings nicht auf Wasser, sondern auf flüssigen Kohlenwasserstoffen
wie Methan und Ethan.
Die neue Struktur, die die Forscher auf den Radarbildern entdeckt
haben, ist wissenschaftlich zunächst einmal nichts weiter als ein Merkmal, das
auf früheren Bildern nicht zu sehen war und dann plötzlich aufgetaucht ist. Die
Astronomen haben der Struktur allerdings den Spitznamen "Magische Insel"
gegeben, obwohl es sich dabei kaum um eine Insel im eigentlichen Sinn handeln
dürfte.
Auf der Nordhalbkugel des Saturnmonds beginnt gerade die warme Jahreszeit. Die
Wissenschaftler verfolgen daher gespannt, wie sich die damit verbundenen höheren
Temperaturen auf die Geschehnisse in dieser Region auswirken. Das Auftauchen der
"Magischen Insel" ist nun der erste Hinweis auf dynamische geologische Prozesse
auf der Nordhalbkugel.
"Diese Entdeckung verrät uns, dass die Flüssigkeiten auf der Nordhalbkugel des
Titan nicht einfach starr und unveränderlich sind, sondern dass es
tatsächlich zu Änderungen kommt", erklärt Jason Hofgartner, der an der Cornell
University gerade an seiner Doktorarbeit im Bereich der Planetenwissenschaften
arbeitet. "Wir wissen noch nicht genau, wieso diese 'magische Insel' aufgetaucht
ist, doch wollen wir das weiter erforschen."
Die Entdeckung der neuen Struktur gelang den Forschern mit einem alten
Verfahren, mit dem auch schon Asteroiden, Kometen und andere Objekte entdeckt
wurden: Man vergleicht dabei Aufnahmen, die in einem gewissen zeitlichen Abstand
voneinander aufgenommen wurden, durch schnelles Hin- und Herschalten zwischen den
einzelnen Bildern. Dem menschlichen Auge fallen dann eventuelle Veränderungen
leicht auf.
So war es auch im Fall der "Magischen Insel": Auf Bildern, die vor Juli 2013
entstanden, waren im Bereich Ligeia Mare praktisch keine Strukturen zu sehen,
noch nicht einmal Wellen. Das hat sich nun offenbar geändert und der Grund
dürfte der beginnende Sommer auf der Nordhalbkugel des Titan sein. Die
Jahreszeiten auf dem Saturnmond dauern deutlich länger als auf der Erde:
Frühlingsanfang war auf der Nordhalbkugel im August 2009, Sommeranfang wird im
Mai 2017 sein.
Für das Erscheinen der "Magischen Insel" haben die Wissenschaftler
verschiedene Erklärungsmodelle: So
könnten Winde für die Entstehung von Wellen gesorgt haben, die auf den
Radarbildern wie eine Geisterinsel erscheinen. Eine andere Möglichkeit wären
aufsteigende Gase, die als Blasen an der Oberfläche zu sehen sind. Oder es
könnten feste Stoffe, die sich bislang auf dem Boden des Sees befanden, durch
die höhere Temperaturen aufgeschwommen sein. Eine letzte Möglichkeit wäre, dass es
in Ligeia Mare Schwebeteilchen gibt, die einen ähnlichen Effekt haben wie
Schlicksand in einem irdischen Flussdelta.
"Es ist wahrscheinlich, dass verschiedene Prozesse, wie etwa Wind, Regen oder
auch Gezeiten, die Methan- und Ethanseen auf Titan beeinflussen", so Hofgartner.
"Wir möchten dabei die Unterschiede zwischen geologischen Prozessen auf Titan
und auf der Erde herausarbeiten. Das könnte uns letztlich auch dabei helfen, den
Flüssigkeitskreislauf auf unserer Heimatwelt besser zu verstehen."
Über ihre Ergebnisse berichteten die Forscher in der vergangenen Woche in einem
Artikel in der Fachzeitschrift Nature Geoscience.
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