Europäische Mission Volare vor dem Start
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
28. Mai 2013 (mit Update von 22.35 Uhr MESZ und vom 29. Mai 2013, 9 Uhr MESZ)
Heute Abend sollen von Baikonur aus drei neue
Besatzungsmitglieder zur Internationalen Raumstation ISS starten. Mit an Bord
wird auch der europäische Astronaut Luca Parmitano sein, der bis November im All
bleiben soll. Er wird zahlreiche Experimente im Forschungslabor Columbus
durchführen und ist dabei teilweise selbst Versuchsobjekt.

Ziel ISS: Die Sojus-Trägerrakete soll
am Abend drei neue Besatzungsmitglieder zur
Raumstation bringen.
Foto: NASA/Bill Ingalls

Start der Sojus-Kapsel am Abend.
Bild: NASA TV |
Seine Muskeln sind für die Wissenschaftler von Interesse, seine innere Uhr
und auch die Strahlendosis, der er bei seiner Arbeit im Forschungslabor
Columbus ausgesetzt sein wird - heute um 22.31 Uhr MESZ soll der
europäische Astronaut Luca Parmitano vom Weltraumbahnhof Baikonur aus zur
Internationalen Raumstation ISS starten - der Beginn der europäischen
ISS-Mission "Volare".
Für die Wissenschaftler fliegt damit sowohl ein Untersuchungsobjekt als auch
ein Experimentbetreuer ins All, der ihnen wichtige Daten liefern soll. 14
Experimente werden dabei vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und
dem DLR-Raumfahrtmanagement betreut. Den Kontakt zur Erde wird Parmitano während
seiner Arbeit vor allem zum Columbus-Kontrollraum beim DLR in
Oberpfaffenhofen halten.
Gerade einmal sechs Stunden dauert der Flug, der Luca Parmitano gemeinsam mit
US-Astronautin Karen Nyberg und dem russischen Kosmonauten Fjodor Jurtschichin
zu seinem Arbeitsplatz im Weltraum bringen wird. Nach vier Erdumrundungen soll
das Sojus-Raumschiff an der Internationalen Raumstation andocken - und
für Parmitano werden sechs arbeitsreiche Monate in der Schwerelosigkeit
beginnen.
Die ersten Experimente hat der Astronaut allerdings schon auf der Erde
absolviert: Dazu gehörte, sich eine Gewebeprobe aus einem Muskel entnehmen zu
lassen. "Mit dem Experiment Sarcolab wollen wir herausfinden, warum die
Muskelkraft in Schwerelosigkeit so extrem nachlässt", erläutert Projektleiter
Prof. Jörn Rittweger vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Im Weltall
verlieren die Muskeln nicht nur Volumen, sondern vor allem überproportional ihre
Kraft - trotz regelmäßigem Training. "Entweder wird jede einzelne Muskelfaser
schwächer oder der gesamte Muskel verändert seinen Aufbau - dies sind mögliche
Erklärungsansätze für Muskelschwund sowohl im All als auch auf der Erde." Mit
umfangreichen Vergleichsmessungen vor und nach dem sechsmonatigen Aufenthalt des
Astronauten im All will das Team herausfinden, warum die Kraft der Muskeln so
schnell nachlässt.
Wie sich die Schwerelosigkeit auf den Aufbau und die Anatomie des
Kniegelenkknorpels auswirkt, ist Thema eines weiteren deutschen Experiments, für
das Luca Parmitano vor und nach dem Flug als Testperson dient. Das vom
DLR-Raumfahrtmanagement geförderte und betreute Experiment "Cartilage" will mit
den Untersuchungen neue Erkenntnisse über den Knochenstoffwechsel erhalten.
Während auf der Erde die Schwerkraft das menschliche Bewegungssystem angemessen
beansprucht, kann eine geringere Belastung - wie im Weltall oder bei einem
längeren Krankenhausaufenthalt - sogar dieses Stützgewebe schädigen.
Die innere Uhr ist Untersuchungsgegenstand des deutschen Experiments
"Circadian Rhythm": Während und nach seinem ISS-Aufenthalt wird mit dem
Wärmesensor THERMOLAB die periodischen Veränderung der Körperkerntemperatur
untersucht. Diese hat nämlich Einfluss auf die verschiedenen Systeme unseres
Körpers, zum Beispiel den Schlaf, und beeinflusst Aufmerksamkeit und mentale
Arbeitsleistung.
Für die Materialphysiker wird Parmitano die Öfen der Raumstation bedienen.
Gleich für mehrere Experimente sollen verschiedene Aluminiumlegierungen in der
Schwerelosigkeit aufgeschmolzen werden und anschließend wieder kristallisieren.
Zurück auf dem Boden werden die erstarrten Proben dann vom DLR-Institut für
Materialphysik im Weltraum untersucht. Für das Experiment MICAST beispielsweise
analysieren DLR-Wissenschaftler Prof. Lorenz Ratke und ein internationales Team
Aluminiumlegierungen mit einem kleinen Anteil Eisen. "Gerade Eisen sorgt dafür,
dass Aluminium bruchanfällig wird, weil es im Inneren eine Art hauchdünne
Platten bildet." Versteht man solche Prozesse besser, könnte dies industrielle
Gießprozesse zum Beispiel in der Autoindustrie optimieren.
Während Parmitano im europäischen Forschungsmodul die verschiedenen
Experimente bedient, werden 13 Detektorpakete die Strahlungsbelastung seiner
Umgebung messen. Bereits seit einem Jahr analysieren die Geräte des Experiments
DOSIS 3D des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, wie hoch die
Strahlenexposition im fliegenden Labor ist. Ziel ist es, aus den Daten eine
dreidimensionale Karte der Strahlenbelastung in der ISS zu erzeugen. Wichtig
sind die Ergebnisse vor allem für spätere bemannte Raumfahrtmissionen, um eine
gute Abschirmung zu ermöglichen.
Die Ansprechpartner für Parmitano bei seiner Arbeit im und am Forschungsmodul
Columbus sitzen dabei im DLR Oberpfaffenhofen - rund um die Uhr, sieben
Tage die Woche. Jeden Morgen und jeden Abend spricht das Team des Deutschen
Raumfahrtkontrollzentrums dann mit der Besatzung der Raumstation. "Wir
diskutieren die anstehenden Aufgaben für den Tag, Änderungen, auf die sich Luca
Parmitano bei seiner Arbeit einstellen muss, und am Abend dann vielleicht noch
offene Fragen, die wir an die Astronauten haben - wir sind regelmäßig in
Kontakt", sagt Thomas Uhlig, einer der Flugdirektoren im Columbus-Kontrollzentrum.
Sobald der europäische Astronaut zum Arbeitsalltag ins Forschungslabor
schwebt, arbeiten das Team am Boden und der Mann im All zusammen. Als
Flugingenieur ist Parmitano zum einen für die Experimente, zum anderen für
Wartungs- und Reparaturarbeiten im Labor zuständig. "Dafür erhält er die
Anweisungen aus unserem Kontrollraum."
Am 10. November 2013 soll der europäische Astronaut dann wieder nach 166
Tagen Forschung im Weltall und mehreren "Weltraumspaziergängen" zur Erde
zurückkehren. "Ich bin sicher: Ich werde mit einer Erinnerung an etwas
zurückkehren, die mich für das Leben verändert", sagt Parmitano. Den
Wissenschaftlern wird er etwas anderes mitbringen: Jede Menge Daten, die in den
nächsten Monaten ausgewertet werden.
Update (28. Mai 2013, 22.35 Uhr MESZ): Die Sojus-Raumkapsel
ist um 22.31 Uhr MESZ planmäßig zur Internationalen Raumstation ISS gestartet.
Update (29. Mai 2013, 9.00 Uhr MESZ): Nach dem planmäßigen
Andocken der Sojus an der ISS um 4.10 Uhr MESZ konnte um 6.14 Uhr MESZ
die Luke zur ISS geöffnet werden, woraufhin die neuen Mannschaftsmitglieder vom
Stationskommandanten Pawel Winogradow, dem Kosmonauten Alexander Missurkin und
dem NASA-Astronauten Chris Cassidy an Bord begrüßt wurden.
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