Keine Dunkelmaterie in Umgebung der Sonne
von Stefan Deiters astronews.com
18. April 2012
Astronomen haben die bislang genauste Untersuchung der
Bewegung von Sternen in der näheren Umgebung der Sonne durchgeführt. Zu ihrer
Überraschung fanden sie dabei keinerlei Hinweis auf Dunkle Materie, die
eigentlich einen Großteil der Masse unserer Heimatgalaxie ausmachen sollte. Dies
widerspricht klar dem allgemein akzeptierten Modell.
So stellt man sich den Halo aus Dunkler
Materie (blau) vor, in den unsere Milchstraße
eingebettet ist.
Bild: ESO / L. Calçada [Großansicht] |
Dunkle Materie ist eine bislang rätselhafte Substanz, die nach Ansicht der
meisten Astronomen rund 80 Prozent des Materiegehalts des Universums ausmacht.
Auf ihre Existenz hatten die Wissenschaftler ursprünglich aus dem
Rotationsverhalten von Galaxien geschlossen, das sich nur mit dem Vorhandensein
einer deutlich größeren, aber eben nicht sichtbaren Masse erklären lässt.
Inzwischen spielt Dunkelmaterie auch in den meisten gängigen Theorien über die
Entstehung und Entwicklung von Galaxien eine entscheidende Rolle. Um was es sich
bei Dunkler Materie aber handelt, wissen Astronomen bis heute nicht. Einige
Wissenschaftler zweifeln auch noch immer an ihrer Existenz.
Eine jetzt vorgestellte Untersuchung scheint diesen Zweiflern nun recht zu
geben. Mit dem MPG/ESO-2,2-Meter-Teleskop der europäischen Südsternwarte ESO in
La Silla und anderen Teleskopen hat ein Astronomenteam die Bewegung von über 400
Sternen bis in eine Entfernung von rund 13.000 Lichtjahren von der Sonne sehr
genau kartiert und daraus die Masse des Materials in der Umgebung der Sonne
berechnet. Diese Masse nämlich beeinflusst das Bewegungsverhalten der Sterne.
Die Forscher berücksichtigten dabei ein viermal größeres Volumen als bei
früheren Untersuchungen.
"Die Menge an Masse, die wir errechnet haben, stimmt sehr gut mit dem überein,
was wir in der Region rund um die Sonne sehen - Sterne, Gas und Staub",
erläutert Teamleiter Christian Moni Bidin vom Departamento de Astronomía
der Universidad de Concepción in Chile. "Das lässt aber keinen
Raum für anderes Material, also Dunkle Materie, die wir dort erwartet hatten.
Unsere Berechnungen zeigen, dass sie eigentlich eindeutig messbar hätte sein
müssen. Aber sie ist einfach nicht da gewesen."
Nach den Standardmodellen der Astronomen über die Entstehung und Entwicklung
von Galaxien sollte die Milchstraße eigentlich in einen Halo aus Dunkler Materie
eingebettet sein. Welche Form dieser Halo genau hat, wissen sie nicht, doch
sprach bislang alles dafür, dass sich auch in der Umgebung der Sonne
signifikante Mengen von Dunkler Materie finden lassen müssten. Nur ein
Dunkelmaterie-Halo mit einer sehr ungewöhnlichen - beispielsweise extrem
langgezogenen - Form wäre mit den Ergebnissen der jetzt vorgestellten Studie
vereinbar.
Die Dunkelmaterie-Modelle sagen für die galaktische Region, in der sich unsere
Sonne befindet, in einem Volumen von der Größe der Erde etwa 0,4 bis ein
Kilogramm Dunkelmaterie voraus. In der neuen Studie wurde praktisch nichts
gefunden. Das Ergebnis bedeutet auch, dass Versuche, auf der Erde äußerst
seltene Wechselwirkungen zwischen "normaler" Materie und Dunkelmaterie zu
beobachten, kaum Aussicht auf Erfolg haben dürften.
"Trotz der neuen Ergebnisse rotiert die Milchstraße aber deutlich schneller
als sich mit der vorhandenen sichtbaren Materie erklären lässt", so Bidin. "Wenn
sich die Dunkle Materie also nicht dort befindet, wo wir sie erwarten, brauchen
wir eine neue Lösung für das Problem der fehlenden Masse. Unsere Ergebnisse
widersprechen klar dem gegenwärtig akzeptierten Modell. Die mysteriöse Dunkle
Materie ist noch ein wenig mysteriöser geworden."
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