Dunkle Materie gibt neue Rätsel auf
von Stefan Deiters astronews.com
5. März 2012
Beobachtungen von Abell 520 mit dem Weltraumteleskop
Hubble haben einen schon länger gehegten Verdacht bestätigt: Die Dunkle
Materie in diesem Überrest einer gewaltigen Kollision zweier Galaxienhaufen
scheint sich nicht so zu verhalten, wie die Astronomen es eigentlich erwartet
hatten. Der Fund könnte damit die bisherige Theorie über Dunkle Materie infrage
stellen.
Ein Bild des Galaxienhaufens Abell 520.
Überlagert ist das Ergebnis der Kartierung des
Haufens dargestellt: Orange zeigt die
Konzentration des Sternenlichts aus Galaxien,
grün die des heißen Gases und blau die der
Dunklen Materie.
Bild: NASA, ESA, CFHT, CXO, M.J. Jee
(University of California, Davis) und A. Mahdavi
(San Francisco State University) [Großansicht] |
Bei Abell 520 handelt es sich um den Rest einer gewaltigen Kollision von zwei
Galaxienhaufen. Solche Ansammlungen von Galaxien bestehen zu einem großen Teil
aus Dunkler Materie, also jener geheimnisvollen Substanz, die auch einen
Großteil der Masse des Universums ausmacht. Sie verrät sich ausschließlich durch
ihre Gravitationswirkung. Ohne diese Dunkle Materie ließen sich aber die
Bewegungen etwa von Galaxien nicht erklären.
Die Gravitationswirkung der Masse der Dunklen Materie sorgt aber auch dafür,
dass Licht noch entfernterer Galaxien und Galaxienhaufen abgelenkt wird. Dieses
Phänomen ist als Gravitationslinseneffekt bekannt. Aus der Analyse der dadurch
entstandenen Verzerrungen der Bilder von entfernten Objekte können Astronomen
auf das Vorhandensein von Dunkler Materie und ihre Verteilung schließen.
Im Falle von Abell 520 lieferte eine solche Analyse nun ein unerwartetes
Ergebnis: Offenbar hat sich die Dunkle Materie in der 2,4 Milliarden Lichtjahre
entfernten Haufenkollision in einem "dunklen Kern" gesammelt, in dem es
vergleichsweise wenig Galaxien gibt. Die meisten Galaxien haben den zentralen
Ort der Kollision bereits wieder verlassen.
"Dieses Ergebnis ist schon recht verblüffend", urteilt James Jee von der
University of California in Davis, der auch Hauptautor eines Fachartikels
über die Studie in der Zeitschrift Astrophysical Journal ist. "Die
Dunkle Materie verhält sich nicht wie wir vorhergesagt haben und es ist nicht
klar, was dort eigentlich passiert. Es ist sehr schwierig diese Hubble-Beobachtungen
mit den aktuellen Theorien über Galaxienentstehung und Dunkle Materie in
Einklang zu bringen."
Einen ersten Verdacht, dass mit Abell 520 irgendetwas nicht stimmen könnte,
hatte es bereits 2007 gegeben. Damals war das Datenmaterial allerdings noch
vergleichsweise schlecht, so dass sich der Befund auch als Messfehler
interpretieren ließ. Nach der Analyse der Hubble-Beobachtungen ist dies
aber nicht mehr möglich: In Abell 520 hat sich offenbar die Dunkle Materie von
den Galaxien getrennt.
Galaxienhaufen, also gewaltige Ansammlungen von Galaxien, sind die größten
durch ihre Anziehungskraft aneinander gebundenen Strukturen im Universum. Um
etwas über die Eigenschaften Dunkler Materie zu lernen, untersuchen Astronomen
schon seit einigen Jahren Kollisionen dieser riesigen Gebilde. Bei einer
Kollision sollten sich nämlich prinzipiell die Galaxien zusammen mit der Dunklen
Materie der Haufen bewegen, während das heiße intergalaktische Gas in den Haufen
regelrecht zusammenstößt, abgebremst wird und zurückbleibt. Dieses Bild wurde
eindrucksvoll durch die Beobachtung der inzwischen als "Bullet-Cluster"
bekannten Galaxienhaufen-Kollision bestätigt (astronews.com berichtete).
Die jetzt vorgestellten Beobachtungen von Abell 520 deuten aber nun darauf
hin, dass die Sache ein wenig komplizierter ist: Nach Auswertung von Daten
verschiedener Teleskope spricht alles dafür, dass sich im Zentrum des Systems
sehr viel Dunkle Materie und heißes Gas befinden, aber nur relativ wenige helle
Galaxien, die sich aber normalerweise dort aufhalten sollten, wo auch die Dunkle
Materie ist.
"Wir kennen vielleicht sechs Beispiele für Kollisionen von Galaxienhaufen mit
großer Geschwindigkeit, bei denen die Verteilung der Dunklen Materie bestimmt
wurde", so Jee. "Der Bullet-Cluster und Abell 520 sind die beiden mit den
deutlichsten Anzeichen für eine Verschmelzung vor relativ kurzer Zeit. Und diese
beiden Beispiele widersprechen sich. Keine einzelne Theorie kann das
unterschiedliche Verhalten der Dunklen Materie in diesen beiden Kollisionen
erklären. Wir brauchen einfach mehr Beispiele."
So bleibt die Ursache für die überraschende Verteilung der Dunklen Materie in
Abell 520 zunächst Spekulation. Doch es gibt Erklärungsversuche: So könnte es
sich bei Abell 520 um eine komplexere Kollision handeln als beim Bullet-Cluster
und hier beispielsweise drei Galaxienhaufen beteiligt gewesen sein. Es wäre auch
möglich, dass es im Zentrum des Systems mehr Galaxien gibt als Hubble
beobachten konnte, weil sie einfach zu lichtschwach sind. Diese Galaxien müssten
dann aber deutlich weniger Sterne enthalten als normale Galaxien.
Eine weitere Möglichkeit besteht zudem darin, dass es Dunkle Materie gibt,
die in gewisser Weise "klebrig" ist. Während normale Materie bei Kollisionen
abgebremst wird, sollte dies bei Dunkler Materie eigentlich nicht der Fall sein
- es sei denn, dass es auch Dunkle Materie gibt, die mit sich selbst
wechselwirken kann und deswegen bei einer Kollision zurückbleibt.
Die Astronomen wollen mit den neuen Daten als Grundlage nun versuchen, die
Kollision mit Hilfe von Computersimulationen nachzustellen, um so hinter die
Ursache für das ungewöhnliche Verhalten der Dunklen Materie in Abell 520 zu
kommen.
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