Das Wachstum junger Galaxien
von Stefan Deiters astronews.com
14. März 2012
Junge, heranwachsende Galaxien scheinen ihre
Ernährungsgewohnheiten im Laufe ihrer Jugend zu verändern. Dies ergab eine jetzt
vorgestellte umfangreiche Himmelsdurchmusterung mit dem Very Large Telescope
der ESO. Anfangs scheinen die Systeme durch einen beständigen Strom aus Gas zu
wachsen, später vor allem durch das Verschlingen kleinerer Galaxien.
Blick in die Himmelsregion im Sternbild
Walfisch und auf einige der untersuchten
Galaxien. Sie sind durch ein rotes Kreuz
markiert.
Bild: ESO/CFHT [Großansicht] |
Galaxien waren nicht immer so groß und majestätisch wie die eindrucksvollen
Spiralgalaxien oder die gewaltigen elliptischen Galaxien in unserer kosmischen
Umgebung. Die ersten Galaxien waren deutlich kleiner und sind erst im Laufe der
Zeit zu dem geworden, was sie heute sind. Wie genau die jungen Galaxien aber
heranwuchsen, womit sie sich also praktisch ernährt haben, war bislang unklar.
Von einer neuen, umfangreichen Himmelsdurchmusterung, bei der sich die
Astronomen auf Galaxien in ihrer Jugendzeit konzentrierten, erhoffte man sich
daher neue Informationen über das Wachstum dieser Systeme. Die ausgewählten
Galaxien sehen wir in einer Zeit, in der das Universum etwa drei bis fünf
Milliarden Jahre alt war.
Für ihre Untersuchung nutzten die Wissenschaftler das Very Large
Telescope (VLT) der europäischen Südsternwarte ESO. In mehr als 100 Stunden
Beobachtungszeit stellten sie dabei den bislang umfangreichsten Datensatz über
gasreiche Galaxien in dieser frühen Phase ihrer Entwicklung zusammen. "Es gibt
zwei konkurrierende Modelle, wie Galaxien wachsen können", erläutert Thierry
Contini vom Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie im
französischen Toulouse, der die Studie leitete. "Verschmelzungen, bei denen
größere Galaxien kleinere verschlucken oder aber ein ständiger, gleichmäßiger
Strom aus Gas, den die Galaxien aufnehmen. Beides kann zu heftiger
Sternentstehungsaktivität führen."
Die neuen Daten deuten darauf hin, dass es rund drei bis fünf Milliarden
Jahre nach dem Urknall eine bedeutende Veränderung beim Wachstum von Galaxien
gab: War zunächst ein gleichmäßiger Gasstrom der entscheidende Faktor für das
Größerwerden der Systeme, spielten später Kollisionen und Verschmelzungen eine
immer wichtigere Rolle.
"Um das Wachstum und die Entwicklung der Galaxien zu verstehen, mussten wir
sie so genau wie möglich beobachten", erklärt Contini. "Das Instrument SINFONI
am Very Large Telescope der ESO gehört zu den leistungsfähigsten
Werkzeugen, wenn es darum geht, junge und entfernte Galaxien zu untersuchen. Es
spielt in etwa die gleiche Rolle, wie ein Mikroskop für Biologen." SINFONI steht
für Spectrograph for INtegral Field Observations in the Near Infrared.
Es handelt sich um einen leistungsfähigen Spektrografen, bei dem mit Hilfe einer
adaptiven Optik die Bildqualität weiter verbessert werden kann.
Ein leistungsfähiges Instrument war für diese Studie auch nötig, da die
untersuchten Galaxien selbst für große Teleskope zunächst kaum mehr als ein
verschwommener Lichtfleck am nächtlichen Himmel sind. SINFONI erlaubte den
Astronomen aber faszinierende Einsichten in die entfernten Systeme. So konnten
sie beispielsweise die Bewegungen und die Zusammensetzung verschiedener Bereiche
der Galaxien untersuchen - mit teils unerwarteten Ergebnissen.
"Die größte Überraschung war für mich die Entdeckung, dass in vielen der
untersuchten jungen Galaxien das Gas nicht rotiert", erzählt Benoît Epinat
vom Laboratoire d'Astrophysique de Marseille. "Solche Galaxien kennen
wir aus unserer näheren Umgebung nicht und keine der bisherigen Theorien sagt
solche Objekte voraus." Und Contini ergänzt: "Wir haben auch nicht erwartet,
dass so viele junge Galaxien eine hohe Konzentration schwererer Elemente in
ihren Außenbereichen aufweisen - das ist nämlich das genaue Gegenteil von dem,
was wir in Galaxien heute beobachten können."
Das Team steht mit der Auswertung der umfangreichen Daten noch ganz am
Anfang. Zudem sind weitere Beobachtungen mit neuen Instrumenten am VLT und auch
mit dem Radioteleskop-Array ALMA geplant, mit dem das kalte Gas in den Galaxien
untersucht werden soll. Die MASSIV (für Mass Assembly Survey with SINFONI in
VVDS) genannte Studie wird in insgesamt vier Fachartikeln beschrieben, die
in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheinen.
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