Überraschendes Wachstum entfernter Galaxien
von Stefan Deiters astronews.com
4. Juli 2011
Mithilfe des Infrarot-Weltraumteleskops Spitzer
haben Astronomen eine verblüffende Entdeckung gemacht: In vielen entfernten
Galaxien im jungen Universum scheint es über einen längeren Zeitraum intensive
Sternentstehung gegeben zu haben, bei der sehr massereiche Sonnen entstanden
sind. Der Fund steht im Gegensatz zu bisherigen Annahmen über die Entwicklung
von Galaxien.
Dieser Vergleich zeigt, wie eine normale
Galaxie in unserem lokalen Universum (links)
einmal im entfernten Universum ausgesehen haben
könnte (rechts).
Bild: NASA/JPL-Caltech/STScI [Großansicht] |
"Unsere Untersuchung zeigt, dass das Verschmelzen von Galaxien
nicht der dominierende Prozess für das Wachstum von Galaxien im entfernten
Universum war", erläutert Ranga-Ram Chary vom Spitzer Science Center
der NASA am California Institute of Technology im kalifornischen
Pasadena. "Nach unseren Beobachtungen war diese Form des galaktischen
Kannibalismus selten. Stattdessen haben wir Hinweise darauf gefunden, dass eine
typische Galaxie durch einen kontinuierlichen Strom von Gas von selbst gewachsen
ist und Sterne in ihr mit sehr viel höherer Rate entstanden sind als bislang
angenommen."
Chary ist leitender Wissenschaftler einer Studie, deren Ergebnisse Anfang
August in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal erscheinen. Die
Forscher beschreiben darin ein Szenario, in dem die Galaxien über viele
Hundertmillionen Jahre beständig wachsen und dabei eine ungewöhnlich hohe Zahl
massereicher Sterne produzieren, die Massen von bis zur 100-fachen Masse unserer
Sonne haben. "Es ist das erste Mal, dass wir Galaxien entdeckt haben, die auf diese Weise
durch allmähliches Wachstum so deutlich größer geworden sind", erläutert Hyunjin
Shim vom Spitzer Science Center und Erstautor des Fachartikels. "Es gibt in
ihnen sehr viel mehr extrem massereiche Sterne als in unserer Milchstraße."
Galaxien sind enorme Ansammlungen von Sternen, Gas und
Staub. Sie wachsen, indem sie Gas in neue Sterne verwandeln. Seit langem
beschäftigt Astronomen daher die Frage, woher entfernte Galaxien, die also vor
vielen Milliarden Jahren entstanden sein müssen, das notwendige Material zur
Produktion von Sternen bekommen. Die bislang vielversprechendste Erklärung
lieferten Kollisionen und Verschmelzungen von Galaxien, durch die dem System plötzlich wieder große Mengen an neuem Gas zur Verfühung
standen.
Chary hat sich mit seinem Team dieser Frage angenommen und dazu mit Hilfe des
Infrarot-Weltraumteleskops Spitzer mehr als 70 entfernte Galaxien untersucht,
die etwa ein bis zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall existierten. Zu ihrer
Überraschung leuchteten diese Galaxien in einem Wellenlängenbereich, den die
Astronomen als "H-alpha" bezeichnen. Diese Strahlung wird von Wasserstoffgas
abgegeben, das von intensiver ultravioletter Strahlung von Sternen angeregt
wird. Eine hoher Anteil von H-alpha-Strahlung deutet somit auf eine hohe
Sternentstehungsaktivität hin. In unserem lokalen Universum trifft dies nur auf
0,1 Prozent der Galaxien zu.
Bisherige Studien mit im Ultraviolett beobachtenden Teleskopen hatten eine
sechsmal geringere Sternentstehungsrate festgestellt als Spitzer. Eine Ursache
dafür könnte Staub sein, der die Beobachtungen bisher behindert hat, den Infrarotstrahlung
aber durchdringen kann. Eine weitere
Analyse der Daten ergab, dass in den entfernten Galaxien Sterne mit
einer 100-fach höheren Rate entstehen als gegenwärtig in der Milchstraße und es
sich dabei nicht nur um einen kurzen intensiven Ausbruch, sondern um eine
mehrere Hundertmillionen Jahre dauernde Periode handelt.
Das spricht dafür, dass Galaxien damals nicht durch Kollisionen und
Verschmelzungen gewachsen sind. Diese ereignen sich nämlich auf deutlich kürzeren Zeitskalen.
Zwar kommt es im Universum häufig zu solchen Kollisionen, doch dürften sie -
nach Ansicht der Astronomen - nicht der Hauptgrund für das Wachstum von Galaxien
sein. Stattdessen wuchsen die entfernten Systeme durch einen ständigen Strom aus
Gas, der eventuell entlang von Filamenten aus Dunkler Materie in die Galaxien
geleitet wurde. "Wenn man einen Planeten in einen dieser Galaxien besuchen
könnte", so Chary, "würde der Nachthimmel verrückt aussehen. Es gäbe unzählige extrem
helle Sterne und regelmäßige Supernova-Explosionen."
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