Vorbereitungen für Erstflug des
ESA-Raumfrachters
Redaktion
astronews.com
15. März 2005
Mit
der Ankunft eines Progress-Raumfrachters Anfang März bei der
Internationalen Raumstation ISS ist der - zur Zeit für Anfang 2006
geplante - Erstflug des europäischen Versorgungsraumschiffes Jules Verne
ein gutes Stück näher gerückt. Auch für die nächste ESA-Mission im April wurden
Experimente geliefert.
Der ESA-Raumfrachter Jules Vernes soll Anfang 2006 erstmals zur
ISS fliegen. Bild:
ESA / D. Ducros |
Die Vorbereitungen für die Ankunft des ersten europäischen Automatischen
Transferfahrzeugs - des ATV "Jules Verne" - sowie die Mission des
ESA-Astronauten Roberto Vittori schreiten weiter voran: Anfang März dockte das
unbemannte russische Progress-Versorgungsfahrzeug M-52 an der Internationalen
Raumstation (ISS) an. Das am 28. Februar um 20.09 MEZ vom Kosmodrom Baikonur in
Kasachstan mit einer Sojus zur ISS-Mission 17P gestartete
Versorgungsfahrzeug hatte unter anderem ein in Europa hergestelltes
Kommunikationssystem an Bord, das 2006 beim Andocken des ATV an die Raumstation
eingesetzt werden soll.
Das Kommunikationssystem für Nahbereichsmanöver mit dem Kürzel PCE (für "Proximity
Communication Equipment") wird auf den letzten 30 Kilometern vor dem Andocken
die Datenübertragung zwischen ATV und ISS im S-Band gewährleisten. Es besteht
aus zwei vollkommen redundant arbeitenden Übertragungsgeräten. Entwickelt und
integriert wurde das System vom Industrieunternehmen EADS Astrium (Toulouse,
Frankreich) im Auftrag der ESA. Vor der Integration in das
Progress-Versorgungsfahrzeug wurde das gesamte PCE vom 7. bis zum 11. Februar
gemeinsam von russischen sowie aus der ESA und der Industrie stammenden
Fachleuten im Startkomplex geprüft.
Den Einbau der Einrichtungen übernehmen die beiden Astronauten, die zur Zeit im
russischen Labor- und Wohnmodul Swesda, an dem das ATV auch andocken
soll, leben und arbeiten. Eine Borderprobung des gesamten Systems ist für Anfang
April vorgesehen. Das PCE wird dem ATV die von dem GPS-Gerät an Bord der ISS
erhaltenen Daten übermitteln, so dass das ATV während der Anflugphase bis zu
einer Entfernung von 500 Metern seine Position in Bezug zur ISS bestimmen kann.
Anschließend schaltet das ATV vom GPS- auf einen Lasernavigationsmodus um, wobei
während der Endphase ein so genannter Telegoniometer und ein Videometer
eingesetzt werden, bis das ATV an den russischen Vorrichtungen andockt.
"Das ATV ist das bisher komplexeste und innovativste in Europa entwickelte und
gebaute Raumfahrzeug", versichert der ATV-Projektleiter der ESA, John Ellwood.
"Das nach dem Vater der Science Fiction, dem französischen Schriftsteller Jules
Verne, benannte erste ATV-Flugmodell durchläuft zur Zeit in den Einrichtungen
der ESA im Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum, ESTEC, im
niederländischen Noordwijk eine umfangreiche Testphase.
Unter der Leitung des
industriellen Hauptauftragnehmers, des Unternehmens EADS Space Transportation
(Les Mureaux, France), wird es dort hinsichtlich seiner Kompatibilität mit dem
elektromagnetischen, akustischen und thermischen Umfeld und den im Weltraum
herrschenden Vakuumbedingungen, denen es bei seinem späteren Einsatz ausgesetzt
sein wird, auf Herz und Nieren geprüft. Diese Phase wird auch zur Überprüfung
und Durchführung bestimmter Betriebsabläufe genutzt, wie etwa der Zugang zur
Fracht. Nach Abschluss der Testreihe wird das ATV nach Kourou in
Französisch-Guayana verschifft, von wo aus es Anfang 2006 an Bord einer
Ariane-5 gestartet werden soll."
An Bord des russischen Progress-Fahrzeugs befand sich außerdem das
wissenschaftliche Gerät für sieben Experimente (Agrospace, ASIA, ETD,
Handhaltungsanalysen, LAZIO, Microspace und SPQR), die ESA-Astronaut Roberto
Vittori auf seiner Mission an Bord der ISS vom 15. bis 24. April durchführen
soll. Bei Agrospace handelt es sich streng genommen um zwei Experimente: Zum
einen wird das Keimen von Bohnen in der Schwerelosigkeit mit einer
gleichartigen, zur selben Zeit von Schülern auf der Erde durchgeführten
Versuchsreihe verglichen, zum anderen soll in einem zweiten Keimexperiment die
Möglichkeit eines Anbaus von Pflanzenschößlingen im Hinblick auf die
Nahrungsmittelversorgung von Bordmannschaften ausgewertet werden.
Das Experiment ASIA dient der Prüfung der Widerstandsfähigkeit einer
Hochleistungscomputerschaltung gegen die Weltraumstrahlung, um so deren mögliche
Verwendung an Bord künftiger Satelliten zu bewerten. Beim ETD wird mit Hilfe
eines Gerätes zur Messung der Augenbewegungen die so genannte Listingsche Ebene
erfasst, womit das Koordinatensystem zur Beschreibung der Augenbewegungen im
Kopf gemeint ist. Auf der Erde scheinen diese Bewegungen von den Meldungen des
Vestibularapparats im Innenohr abzuhängen, der Gleichgewicht, Ausrichtung und
Haltung des Körpers steuert. Das Verständnis der Funktionsweise des
Vestibularapparats unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit sowie des damit in
Zusammenhang stehenden Auftretens von Übelkeit ("Weltraumkrankheit") ist für
Wissenschaftler von großer Bedeutung.
Die Ergebnisse aus den Handhaltungsanalysen dürften zu neuen Wegen bei der
Bekämpfung von Erschöpfungszuständen beitragen, die sich in der Schwerelosigkeit
erheblich auf die Hände und Unterarme der Astronauten auswirken können. Auf der
Erde fließen solche Erkenntnisse dann auch in die Behandlung von Patienten mit
lokalen Traumata, Muskelschwund und Erkrankungen des Zentralnervensystems ein.
Das Kürzel des Experiments LAZIO steht - neben der italienischen Bezeichnung für
die um Rom gelegene Region Latium - für "Ionisierendes Observatorium in
niedrigen Höhenbereichen". Mit ihm sollen die Weltraumstrahlung und das
Magnetfeld in der Raumstation analysiert werden, insbesondere im Hinblick auf so
genannte "Lichtblitze". Geprüft wird ferner die strahlungsabschirmende Wirkung
verschiedener Werkstoffe. Darüber hinaus ist der erste Weltraumeinsatz eines
Sensors zur präzisen Überwachung der kurzfristigen Stabilität der
Van-Allen-Strahlungsgürtel geplant, um eventuell auf kurz bevorstehende Erdbeben
hinweisende Phänomene zu erfassen - ein bereits vor zwei Jahrzehnten von
russischen Wissenschaftlern formulierter Vorschlag.
Im Rahmen von Microspace werden verschiedene Mikrobenarten zur ISS gebracht, um
die Auswirkungen der Umweltbedingungen in einem Raumfahrzeug wie
Weltraumstrahlung und Schwerelosigkeit auf die Mikrobenkulturen zu analysieren.
Das Experiment könnte zu einem besseren Verständnis grundlegender biologischer
Vorgänge in Mikroorganismen beitragen.
SPQR, das seit mehr als 2000 Jahren den Senat und das Römische Volk bezeichnet
("Senatus Populusque Romanus"), erhält nun im Rahmen der Mission Eneide
eine neue Bedeutung, nämlich "Specular Point-like Quick Reference", zu deutsch
reflektorbasierte punktartige Schnell-Erfassung - ein Experiment, das die
Erprobung eines bodengestützten Abbildungssystems unter Verwendung spezieller
Optik und Bildverarbeitung vorsieht, um die Möglichkeit der Erkennung äußerer
Schäden an Raumfahrzeugen im All von der Erde aus zu bewerten. Grundlage des
Experiments ist ein kubischer Winkelspiegel, der in der Nähe eines Fensters der
Raumstation angebracht und einen von einer Bodenstation ausgesendeten
Laserstrahl reflektieren wird.
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