Die früheste Phase im Leben eines Sterns
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
24. November 2023
Warum liefern zwei unabhängige Methoden zur Bestimmung des
Sternalters unterschiedliche Werte? Der Grund ist offenbar, dass damit
verschiedene Dinge gemessen werden: Während mit der einen Methode das
Geburtsdatum von Sternen bestimmt wird, verrät die anderen Methode wann die
Sterne "ihr Nest verlassen" haben. Der Unterschied beträgt rund 5,5 Millionen
Jahre.
Das Sternentstehungsgebiet Rho Ophiuchi in
einer Aufnahme des James Webb Space Telescope. In einer neuen
Studie wurde gezeigt, dass die neu entstandenen Sterne in Rho
Ophiuchi noch nicht auseinanderdriften und dass die
Vorläuferwolke sie noch zusammenhält.
Bild: NASA, ESA,
CSA, STScI, K. Pontoppidan (STScI), A. Pagan (STScI) [Großansicht] |
Das Alter von Sternen ist in der Astrophysik ein grundlegender Parameter,
aber dennoch relativ schwierig zu messen. Die besten Annäherungen gab es bisher
für Sternhaufen, also für Gruppen gleichaltriger Sterne mit einem gemeinsamen
Ursprung. Sechs relativ nahe und junge Sternenhaufen wurden nun im Rahmen einer
Studie am Institut für Astrophysik der Universität Wien hinsichtlich ihres
Alters untersucht. Dabei zeigte sich, dass zwei der verlässlichsten Methoden zur
Bestimmung des Sternalters - die sogenannte "isochrone Messung" und die
"dynamische Rückverfolgung" - systematisch und beständig auseinanderlagen;
konkret waren die Sterne laut der Methode der dynamischen Rückverfolgung jeweils
rund 5,5 Millionen Jahre jünger als mit der isochronen Messung.
"Dies deutet darauf hin, dass die beiden Messmethoden unterschiedliche Dinge
messen", erklärt Núria Miret-Roig von der Universität Wien. Demnach beginnt die
isochrone "Uhr" ab dem Zeitpunkt der Sternentstehung zu ticken, die "Uhr" der
dynamischen Rückverfolgung jedoch erst dann, wenn ein Sternhaufen nach dem
Verlassen seiner Mutterwolke zu expandieren beginnt. "Diese Erkenntnis hat
erhebliche Auswirkungen auf unser Verständnis der Sternentstehung und der
stellaren Entwicklung, einschließlich der Planetenbildung und der Entstehung von
Galaxien, und eröffnet eine neue Perspektive auf die Chronologie der
Sternentstehung. So kann die Länge der sogenannten 'eingebetteten Phase',
während derer Babysterne innerhalb der elterlichen Gaswolke bleiben, abgeschätzt
werden", erklärt João Alves, Professor an der Universität Wien.
"Dieser Altersunterschied zwischen den beiden Methoden stellt ein neues und
dringend benötigtes Werkzeug dar, um die frühesten Stadien im Leben eines Sterns
zu quantifizieren", so Alves. "Konkret können wir damit messen, wie lange die
Baby-Sterne brauchen, bevor sie ihr Nest verlassen". Möglich wurden die
Messungen durch die hochauflösenden Daten der Gaia-Mission in Verbindung mit
bodengestützten Radialgeschwindigkeitsmessungen (z. B. aus dem APOGEE-Katalog).
"Diese Kombination erlaubt es uns, die Positionen der Sterne mit der Genauigkeit
der 3D-Geschwindigkeiten bis zu ihrem Geburtsort zurückzuverfolgen," erklärt
Miret-Roig. Neue und kommende spektroskopische Durchmusterungen wie WEAVE, 4MOST
und SDSS-V werden diese Untersuchung für die gesamte Sonnenumgebung ermöglichen.
"Astronominnen und Astronomen verwenden isochrone Altersangaben, seit wir
wissen, wie Sterne funktionieren, aber diese Altersangaben hängen von dem
jeweiligen Sternmodell ab, das wir verwenden", sagt Miret-Roig. "Die
hochwertigen Daten des Gaia-Satelliten haben es uns nun ermöglicht, das Alter
dynamisch, also unabhängig von den Sternmodellen, zu messen und wir waren
begeistert, die beiden Uhren zu synchronisieren."
Während der Berechnungen trat jedoch ein beständiger und rätselhafter
Unterschied zwischen den beiden Altersbestimmungs-Methoden auf. "Und irgendwann
kamen wir an einen Punkt, an dem wir die Diskrepanz nicht mehr auf
Beobachtungsfehler schieben konnten – da wurde uns klar, dass die beiden Uhren
höchstwahrscheinlich zwei verschiedene Dinge messen," so die Astrophysikerin.
Das Forschungsteam analysierte für die Studie sechs nahe gelegene und junge
Sternenhaufen (bis zu 490 Lichtjahre entfernt und 50 Millionen Jahre alt). Dabei
zeigte sich, dass die Zeitskala der eingebetteten Phase rund 5,5 Millionen Jahre
beträgt (plus/minus 1,1 Millionen Jahre) und von der Masse des Sternenhaufens
und der Menge der stellaren Rückkopplung abhängen könnte.
Die Anwendung dieser neuen Technik auf andere junge und nahe der Sonne
gelegenen Sternenhaufen verspricht neue Einblicke in die Sternentstehung und das
Auseinanderdriften der Sterne, hofft Miret-Roig: "Unsere Arbeit ebnet den Weg
für die zukünftige Forschung im Bereich der Sternentstehung und bietet ein
klareres Bild davon, wie sich Sterne und Sternhaufen entwickeln. Das ist ein
wichtiger Schritt in unserem Bestreben, die Entstehung der Milchstraße und
anderer Galaxien zu verstehen."
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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