Detaillierter Blick in planetare Kinderstube
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
17. September 2021
Mit Radiodaten des ALMA-Observatoriums und einem Modell für
Scheiben aus Gas und Staub um junge Sterne konnte jetzt die Masse einer solchen
protoplanetaren Scheibe um den Stern GM Aurigae bestimmt werden. Die Daten
deuten darauf hin, dass es in der Scheibe eine instabile Region gibt, in der ein
riesiger Gasplanet entstehen könnte.

Künstlerische Darstellung einer
protoplanetaren Scheibe ähnlich der rund um GM
Aurigae.
Bild: M.Weiss/Center for Astrophysics |
Harvard & Smithsonian [Großansicht] |
Planeten wie unsere Erde entstehen in sogenannten protoplanetaren Scheiben:
riesigen Scheiben aus Gas und Staub rund um junge Sterne. In den letzten
Jahrzehnten konnte die Astronomie solche Scheiben immer detaillierter
erforschen. Aber es bleibt eine Herausforderung, herauszufinden, ob in einer
solchen Scheibe bereits Planeten entstehen oder nicht.
Nun ist einer Gruppe von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung von
Kamber Schwarz vom Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität
Arizona ein detaillierter Blick in eine solche planetare Kinderstube gelungen: Aus
Beobachtungen der Scheibe um den jungen Stern GM Aurigae mit dem
ALMA-Observatorium, kombiniert mit Daten des ESA-Weltraumobservatoriums
Herschel, fanden die Forschenden Hinweise darauf, dass der Kollaps in einer Region innerhalb
der Scheibe bereits begonnen hat, und dass dort gerade ein riesiger Gasplaneten
entstehen dürfte. Bei GM Aurigae handelt es sich um einen sogenannten T-Tauri-Stern.
Scheibe und Stern sind etwas mehr als 500 Lichtjahre von uns entfernt. In der
Astronomie zählt das als unsere engere galaktische Nachbarschaft. Die
Untersuchung ist Teil des größeren Forschungsvorhabens "Molecules with ALMA at
Planet-forming Scales" (MAPS).
Das ALMA-Observatorium arbeitet bei Millimeter- und
Submillimeter-Wellenlängen und kann dabei nicht nur allgemein Moleküle
aufspüren, sondern deren räumliche Verteilung in einer protoplanetaren Scheibe
untersuchen. Diese Informationen zur Struktur waren für das, was Schwarz und
ihre Kolleginnen und Kollegen vorhatten, entscheidend. Will man wissen, ob eine
protoplanetare Masse instabil ist und sich entsprechend gerade Planeten bilden
dürften, ist es wichtig, die Masse der Scheibe zu kennen.
Der größte Teil der Masse der Scheibe besteht allerdings aus
Wasserstoffmolekülen, H2. Solche Moleküle sind schwierig
nachzuweisen, denn bei den vergleichsweise niedrigen Temperaturen einer
protoplanetaren Scheibe geben sie so gut wie keine Strahlung ab. In solchen
Situationen versuchen die Astronomen, "Tracer-Moleküle" zu finden, also
Moleküle, die einerseits charakteristische Strahlung aussenden und entsprechend
einfach beobachtet werden können, und die man andererseits typischerweise gerade
dort findet, wo auch molekularer Wasserstoff ist. Kann man Vorhandensein und
Menge der Tracer-Moleküle aus den Beobachtungen ermitteln, kann daraus auf das
Vorhandensein und die Menge des molekularen Wasserstoffs geschlossen werden.
Für eine protoplanetare Scheibe, wie in diesem Fall, ist ein eher
ungewöhnliches Molekül mit der Bezeichnung HD, Wasserstoffdeuterid, ein
besonders nützliches Tracer-Molekül. HD ist ein Molekül, das aus einem
gewöhnlichen Wasserstoffatom (dessen Kern ein einzelnes Proton ist) und einem
schweren Wasserstoffatom besteht – Deuterium mit einem Proton und einem Neutron
im Atomkern. HD ist chemisch identisch mit gewöhnlichem H2. Daher sollte man
erwarten, dass HD und H2 immer in ungefähr demselben Verhältnis
vorkommen, auch in einer protoplanetaren Scheibe.
Im Gegensatz zu gewöhnlichem H2 kann HD aber durch Beobachtungen
gut nachgewiesen werden, nämlich mithilfe der Ferninfrarot-Strahlung, die das
Molekül beim Übergang zwischen zwei verschiedenen Rotationszuständen aussendet.
Für die Scheibe um GM Aurigae hatte das auf Ferninfrarot- und
Submillimeter-Beobachtungen spezialisierte Weltraumobservatorium Herschel
der ESA diese charakteristische HD-Strahlung bereits beobachtet. Die
Strahlungsmenge hängt in solch einem Fall allerdings von zwei Faktoren ab: von
der Menge der vorhandenen HD-Moleküle, aber auch von der Temperatur. Um die
Menge an HD zu ermitteln und daraus die Masse von H2 in der Scheibe
abzuschätzen, mussten Schwarz und ihr Team deswegen zunächst die Temperatur in
den verschiedenen Regionen der Scheibe rekonstruieren. Hier kam das
MAPS-Programm mit seiner gründlichen Untersuchung einer Vielfalt von
Moleküllinien ins Spiel.
Sowohl Atome als auch Moleküle senden charakteristische Strahlung in
zahlreichen sehr schmalen Wellenlängenbereichen aus, die als "Spektrallinien"
bezeichnet werden – konkret als "Emissionslinien", wenn Moleküle in diesen
Bereichen Licht aussenden, beispielsweise weil sie durch Zusammenstöße mit
anderen Molekülen angeregt werden. Bei Molekülen liegen solche Spektrallinien
typischerweise im Infrarot- oder Submillimeter- bzw. Millimeterbereich des
elektromagnetischen Spektrums.
Moleküllinien im Submillimeter- bzw. Millimeterwellenbereich sind das
Hauptziel der MAPS-Beobachtungen. Wie viel Strahlung bei welcher
charakteristischen Frequenz emittiert wird, hängt von der verfügbaren Energie
ab, insbesondere von der Temperatur des betreffenden Molekülgases – mit
steigender Temperatur werden neue Quantenzustände zugänglich, und die
Hauptstrahlungsleistung verschiebt sich zu anderen Frequenzen. So nimmt zum
Beispiel die Energie bestimmter Strahlungsarten von Kohlenmonoxidmolekülen mit
der Temperatur ab und lässt sich daher wie ein natürliches "kosmisches
Thermometer" nutzen.
Das Team um Schwarz fügte nun all diese Informationen zusammen und erstellte
ein (achsensymmetrisches) physikalisches Modell für die protoplanetare Scheibe.
Das Modell war detailliert genug, um die Verteilung von Gas und Staub sowie die
unterschiedlichen Temperaturen zu reproduzieren. Die Forschenden passten ihre
Modellparameter an, bis sie die bestmögliche Übereinstimmung mit den diversen
Beobachtungen erreicht hatten – insbesondere mit der CO-Verteilung, der
Temperaturverteilung, wie sie aus einem "kosmischen Thermometer" aus elf
Emissionslinien von Kohlenstoffmonoxid hervorgeht, und die Daten des
Weltraumobservatoriums Herschel für HD.
Das ergab die bisher beste Massenschätzung für eine protoplanetare Scheibe
dieser Art, nämlich dass die Scheibe Material im Wert von 0,2 Sonnenmassen
enthält – ein überraschend großer Wert. Die Scheibe ist vergleichsweise kalt,
denn 32 % der Masse sind kälter als 20 Grad Celsius über dem absoluten
Nullpunkt. Mithilfe eines Parameters, dessen Wert die Stabilität oder
Instabilität bestimmter Regionen einer solchen Scheibe angibt (der sogenannte "Toomre-Q-Parameter"),
konnte die Gruppe außerdem zeigen, dass die meisten Regionen der Scheibe zwar
stabil sind und nicht zu kollabieren drohen, es aber eine Ausnahme gibt:
Innerhalb eines bestimmten Abstands vom Zentralstern – zwischen dem 70- und
100-fachen des Abstands Erde-Sonne – scheint das Scheibenmaterial an der Grenze
zur Instabilität zu stehen.
Die betreffende Region ist in Beobachtungen, die Strahlungsemissionen von
Staub zeigen, als heller Ring sichtbar. Das Vorhandensein erheblicher
Staubmengen schirmt diese Region von der Strahlung des Sterns ab, was wiederum
zu niedrigeren Temperaturen führt, die den Gravitationskollaps begünstigen.
Alles in allem deutet dies darauf hin, dass die Planetenproduktion dort bereits
begonnen haben dürfte, wobei das wahrscheinlichste Produkt ein zukünftiger
riesiger Gasplanet ist.
Um sicher zu sein, dass dort tatsächlich ein neuer Planet entsteht, sind
jedoch weitere Beobachtungen erforderlich. Insbesondere würde man bei der
Planetenbildung erwarten, dass eine bestimmte Teilregion des Rings kollabiert.
Das physikalische Modell, auf dem die vorliegenden Schlussfolgerungen beruhen,
ist jedoch achsensymmetrisch und modelliert die Scheibe lediglich als eine
Ansammlung von Ringen. Damit lässt das derzeitige Modell insbesondere keine
Bewegung des Gases innerhalb eines solchen Ringes zu – was aber wichtig zu
wissen wäre, um entscheiden zu können, ob die richtigen Bedingungen für einen
lokalen Kollaps und die anschließende Planetenbildung vorliegen.
Schwarz und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen als nächstes die
Beschaffenheit der potenziell instabilen Region mithilfe eines anderen Teils der
MAPS-Daten zu untersuchen: Bestimmte Eigenschaften der Spektrallinien,
insbesondere die Breite des Wellenlängenbereichs einer gegebenen Linie,
ermöglichen es den Forschenden, die Geschwindigkeiten zu rekonstruieren, mit
denen sich das Gas in der beobachteten Scheibenregion bewegt. Nimmt man diese
Daten hinzu, sollte sich mit deutlich größerer Sicherheit beurteilen lassen, ob
die Scheibe einen gerade neu entstehenden Planeten enthält oder nicht.
Die Ergebnisse werden jetzt als einer von 20 Artikeln mit MAPS-Ergebnissen in
einer Sonderausgabe der Astrophysical Journal Supplement Series
veröffentlicht.
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