Ein Pulsar in exotischem Doppelsternsystem
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik astronews.com
8. Februar 2021
Mithilfe der Rechenleistung von zahlreichen privaten Computern
wurde nun das Geheimnis um eine bislang rätselhafte Gammastrahlenquelle gelüftet:
Durch neuartige Analysemethoden gelang es, in Daten des NASA-Weltraumteleskops Fermi das
schwache Pulsieren der Gammastrahlung eines Neutronensterns aufzuspüren.

Künstlerische Darstellung von PSR J2039–5617
und seinem Begleiter. Das System besteht aus
einem schnell rotierenden Neutronenstern (rechts)
und einem Begleitstern (links), der etwa ein
Sechstel der Masse unserer Sonne hat.
Bild: Knispel /Clark / Max-Planck-Institut
für Gravitationsphysik / NASA GSFC [Großansicht] |
Ein internationales Forschungsteam hat gezeigt, dass ein schnell rotierender
Neutronenstern im Zentrum eines Himmelsobjekts steht, das heute als PSR
J2039-5617 bekannt ist. Beteiligt sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts
für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover. Sie nutzten
neuartige Datenanalyse-Methoden und die enorme Rechenleistung des Citizen-Science-Projekts
Einstein@Home, um in Daten des NASA-Weltraumteleskops Fermi das
schwache Pulsieren der Gammastrahlung des Neutronensterns aufzuspüren.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich der Pulsar in einer Umlaufbahn mit einem
Stern befindet, der etwa ein Sechstel der Masse unserer Sonne hat. Der Pulsar
verdampft diesen Stern langsam aber sicher. Das Team fand außerdem heraus, dass
die Umlaufbahn des Begleiters im Laufe der Zeit leicht und unvorhersehbar
variiert. Sie erwarten mit ihrer Suchmethode in Zukunft noch weitere solcher
Systeme mit Einstein@Home zu finden.
"Es wurde schon seit Jahren vermutet, dass sich im Herzen der Quelle, die wir
heute als PSR J2039-5617 kennen, ein Pulsar, also ein schnell rotierender
Neutronenstern, befindet", sagt Lars Nieder, Doktorand am Max-Planck-Institut
für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover und Mitautor
der Studie. "Aber nur mit der Rechenleistung, die Zehntausende von Freiwilligen
für Einstein@Home zur Verfügung gestellt haben, war es möglich, den Schleier zu
lüften und das Pulsieren der Gammastrahlung zu entdecken."
Das
Himmelsobjekt ist seit 2014 als Quelle von Röntgen- und Gammastrahlung sowie
normalem Licht bekannt. Alle bisher gewonnenen Erkenntnisse deuteten auf eine
Erklärung hin: es handelt sich um einen schnell rotierenden Neutronenstern und
einen massearmen Stern im gegenseitigen Umlauf. Aber es fehlten klare Beweise. Der erste Schritt zur Lösung
dieses Rätsels waren neue Beobachtungen des Begleitsterns mit optischen
Teleskopen. Sie lieferten genaue Informationen über das Doppelsternsystem, ohne
die eine Suche nach dem Gammapulsar – selbst mit der enormen Rechenleistung von Einstein@Home – nicht durchführbar wäre. Die Helligkeit des Systems variiert
während eines Umlaufs, je nachdem, welche Seite des Neutronensternbegleiters der
Erde zugewandt ist.
"Bei J2039-5617 tragen zwei Prozesse zur Helligkeitsänderung
bei", erklärt Dr. Colin Clark vom Jodrell Bank Centre for Astrophysics,
Hauptautor der Studie und ehemaliger Doktorand am AEI Hannover. "Der Pulsar
erwärmt eine Seite des leichtgewichtigen Begleitsterns, die dadurch heller und
bläulicher leuchtet. Zusätzlich wird der Begleiter durch die Anziehungskraft des
Pulsars verformt, wodurch die scheinbare Größe des Sterns während des Umlaufs
schwankt." Diese Beobachtungen ermöglichten es dem Team, die 5,5-stündige
Umlaufdauer des Doppelsterns sowie andere Eigenschaften des Systems so genau wie
möglich zu messen.
Diese
Informationen und die genaue Himmelsposition aus den Daten der Mission Gaia
verwendete das Team, um mit der Rechenleistung des freiwilligen verteilten
Rechenprojekts Einstein@Home eine neue Suche in etwa elf Jahren
Archivbeobachtungen des Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA durchzuführen.
Sie verbesserten frühere Methoden, die sie zu diesem Zweck entwickelt hatten,
und nahmen die Hilfe von zehntausenden Freiwilligen in Anspruch, um die
Fermi-Daten nach periodischen Pulsationen der Gammastrahlung zu durchsuchen, die
vom Large Area Telescope an Bord des Weltraumteleskops registriert wurden. Die
Freiwilligen spendeten ungenutzte Rechenzeit auf den CPUs und GPUs ihrer
Computer an Einstein@Home.
Diese Suche erforderte ein sehr feines Durchkämmen
der Daten, um kein mögliches Signal zu übersehen. Die dafür benötigte
Rechenleistung ist enorm: Die Suche hätte auf einem einzigen CPU-Kern 500 Jahre
gedauert. Unter Verwendung eines Teils der Einstein@Home-Ressourcen ließ sie
sich sie in zwei Monaten durchführen. Mit der von den Einstein@Home-Freiwilligen
gespendeten Rechenleistung entdeckte das Team das Pulsieren der Gammastrahlung
des schnell rotierenden Neutronensterns. Dieser Gammapulsar, der jetzt als
J2039-5617 bekannt ist, rotiert rund 377 Mal pro Sekunde.
"Wir stellten fest, dass die Bahnperiode des
Begleiters über die elf Jahre leicht und unvorhersehbar variiert. Sie ändert sich
nur um bis zu etwa zehn Millisekunden, aber da wir die Ankunftszeit jedes
einzelnen Gammaphotons vom Pulsar bis auf die Mikrosekunde genau kennen, ist
selbst dieses kleine Bisschen schon sehr viel", sagt Nieder.
Diese Schwankungen
der Bahnperiode könnten mit kleinen Änderungen der Form des Begleitsterns
zusammenhängen, die durch seine magnetische Aktivität verursacht werden. Ähnlich
wie unsere Sonne könnte der Begleiter Aktivitätszyklen durchlaufen. Das sich
ändernde Magnetfeld wechselwirkt mit dem Plasma im Inneren des Sterns und
verformt es. Wenn sich die Form des Sterns ändert, ändert sich auch sein
Gravitationsfeld, was sich wiederum auf die Bahn des Pulsars auswirkt. Dieser
Prozess könnte die beobachteten Schwankungen der Bahnperiode erklären.
Während der leichtgewichtige
Begleitstern den Pulsar umkreist, verdampfen dessen starke Strahlung und der
Teilchenwind allmählich den Begleiter. "Aus diesem Grund nennen wir Systeme wie
dieses 'Redbacks' in Anlehnung an die australischen Rotrücken-Spinnen, deren
Weibchen die Männchen nach der Paarung verspeisen", erklärt Nieder. Im Fall von
J2039-5617 bildet die vom Stern abgetragene Materie im Doppelsternsystem Wolken
aus geladenen Teilchen, die Radiowellen absorbieren. Dies ist einer der Gründe
dafür, dass frühere Suchen nach der pulsierenden Radiostrahlung des
Neutronensterns fehlgeschlagen sind. Mit der präzisen Bestimmung der Umlaufbahn
aus den Gammastrahlendaten ließen sich auch Radiopulsationen aufspüren.
"Wir kennen Dutzende von
ähnlichen Gammastrahlenquellen, die das Fermi-Weltraumteleskop gefunden hat und
deren wahre Identität noch immer unklar ist", sagt Prof. Dr. Bruce Allen,
Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Direktor
und Gründer von Einstein@Home. "Viele könnten Pulsare sein, die in
Doppelsystemen versteckt sind, und wir werden mit Einstein@Home weiter nach
ihnen suchen", fügt er hinzu.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in zwei Fachartikeln, die in der
Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
erschienen sind.
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