Rekordverdächtiges Pulsarsystem entdeckt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
9. Dezember 2016
Dank der Rechenleistung zahlreicher Heimcomputer, die durch
das Projekt Einstein@Home zusammengeschlossen sind, ist es nun
gelungen, das bisher massereichste Doppelneutronensternsystem aufzuspüren.
Ausgewertet wurden dazu Daten des Arecibo-Radioteleskops. Der Fund
eignet sich ideal zum Test von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie.

Der Pulsar PSR J1913+1102 wurde im Rahmen des
Einstein@Home-Projekts auf den Computern von zwei
der Teilnehmer an diesem Projekt gefunden, Uwe
Tittmar aus Deutschland und Gerald Schrader aus
den Vereinigten Staaten.
Bild: Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik / B. Knispel (Foto), NASA (Pulsardarstellung). [Großansicht] |
Etwa 25.000 Lichtjahre von der Erde entfernt kreisen zwei tote Sterne
umeinander. Auf einem Durchmesser von lediglich 20 Kilometern vereint jeder von
ihnen mehr Masse als unsere Sonne und sie benötigen nur fünf Stunden für eine
Umkreisung. Dieses ungewöhnliche Paar sogenannter Neutronensterne wurde von
einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern vom
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und vom Max-Planck-Institut für
Radioastronomie sowie von Teilnehmern am Computerprojekt Einstein@Home
aufgespürt.
Ihre Entdeckung ist die bisher letzte auf einer sehr kurzen Liste von nur 14
bekannten Doppelneutronensternsystemen und dazu auch diejenige mit der größten
Gesamtmasse für beide Komponenten. Diese Systeme aus zwei umeinander rotierenden
Neutronensternen stellen wichtige kosmische Laboratorien dar, mit denen einige
der genauesten Tests von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie möglich
werden. Sie spielen darüber hinaus eine große Rolle als potentielle Quellen für
den Nachweis von Gravitationswellen mit den LIGO-Detektoren.
Neutronensterne sind Überreste von Supernova-Explosionen mit extrem hoher Dichte
und extrem starken Magnetfeldern. Vergleichbar mit einem schnell rotierenden
kosmischen Leuchtfeuer senden sie zwei stark gebündelte Radiostrahlen in
entgegengesetzte Richtungen aus. Liegt die Erde im Bereich eines solchen
Strahls, kann der Neutronenstern mit Hilfe großer Radioteleskope als pulsierende
Radioquelle am Himmel – als sogenannter Pulsar - aufgespürt werden.
Die meisten der bisher 2500 bekannten Radiopulsare am Himmel stehen isoliert und
rotieren als Einzelsterne im Weltraum. Nur 255 von ihnen befinden sich in
Doppelsternsystemen und davon wiederum nur jeder Zwanzigste im Umlauf mit einem
weiteren Neutronenstern. "Diese seltenen Doppelneutronensternsysteme sind
einzigartige Laboratorien für Fundamentalphysik; sie ermöglichen Messungen, die
in keinem irdischen Laboratorium durchgeführt werden können", sagt Bruce Allen,
Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, Leiter des
Einstein@Home-Projekts. "Deshalb brauchen wir große Teleskope wie das
Arecibo-Observatoriums und empfindliche 'Datenanalyse-Maschinen' wie
Einstein@Home, um so viele wie möglich von diesen aufregenden Objekten
zu entdecken."
Die neue Pulsarentdeckung gelang in den Daten des Arecibo-Radioteleskops.
Im Rahmen von PALFA ("Pulsar Surveys with the Arecibo L-Feed Array") führt ein
internationales Forscherteam Beobachtungen mit dem Teleskop durch, um neue
Radiopulsare zu identifizieren. Mit der PALFA-Durchmusterung konnten bisher 171
Pulsare entdeckt werden. Die Daten werden auch im Rahmen des
Einstein@Home-Projekts auf einer Vielzahl vernetzter Computer analysiert; allein
damit konnten bisher 31 neue Pulsare identifiziert werden.
Einstein@Home vereint die Computerleistung von mehr als 40.000 Nutzern
weltweit, die sich mit rund 50.000 Laptops, PCs und Smartphones an dem Projekt
beteiligen. Das Projekt ist eines der größten überhaupt im verteilten Rechnen
auf freiwilliger Basis und seine gesamte Computerleistung von 1,7 Petaflops pro
Sekunde macht es zu einem der 60 leistungsfähigsten Supercomputer weltweit.
Nach der ursprünglichen Entdeckung des Doppelsternsystems mit Einstein@Home
im Februar 2012 führten die PALFA-Wissenschaftler regelmäßige Beobachtungen
mit dem Arecibo-Teleskop durch, um die Umlaufbahn des Radiopulsars, der
sich in jeweils 27,2 Millisekunden einmal um seine Achse dreht (das entspricht
37 Umdrehungen pro Sekunde) möglichst präzise zu vermessen. Mit diesen
Beobachtungen lässt sich zeigen, dass dieses inzwischen als PSR J1913+1102
bezeichnete Objekt (im Namen stecken die Koordinaten der Position am Himmel) aus
zwei Sternen besteht, die einander in etwas weniger als fünf Stunden in einem
leicht elliptischen Orbit umkreisen.
Aus der Verlangsamung der Rotationsperiode mit der Zeit konnten die
Wissenschaftler das Magnetfeld des Pulsars berechnen, das einige Milliarden mal
stärker ist als das unserer Erde. Für einen Neutronenstern ist dies ein relativ
schwacher Wert, der darauf hindeutet, dass in der Vergangenheit Materie vom
Begleitstern durch Akkretion aufgenommen wurde. Eine solche Akkretionsphase
würde aber auch zu einer kreisförmigen Umlaufbahn führen.
Die hingegen beobachtete Elliptizität des Orbits zeigt, dass auch der
Begleitstern bereits als Supernova explodiert ist und einen zweiten
Neutronenstern in diesem System erzeugt hat. Durch die Supernova-Explosion wurde
zwar nicht das gesamte System auseinandergerissen, aber die Umlaufbahnen beider
Komponenten wurden elliptischer.
Die Forscher haben eine direkte Auswirkung von Einsteins Allgemeiner
Relativitätstheorie in diesem Doppelsternsystem nachgewiesen. Wie die Umlaufbahn
des Planeten Merkur um die Sonne rotiert auch die elliptische Umlaufbahn des
Pulsars mit der Zeit. Während diese Rotation bei Merkur aber nur 0,0001 Grad pro
Jahr beträgt, ist sie beim Orbit von J1913+1102 47.000-mal schneller; das sind
volle 5,6 Grad pro Jahr. Das Ausmaß dieses Effekts, der relativistischen
Periastron-Verschiebung, hängt von der Gesamtmasse des Systems von Radiopulsar
und Begleiter ab und ermöglicht so die Berechnung dieser Masse.
"Mit insgesamt 2,88 Sonnenmassen haben wir einen neuen Rekord für die
Gesamtmasse eines Systems mit zwei Neutronensternen", sagt Dr. Paulo Freire,
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. "Wir würden
erwarten, dass der Pulsar mehr Masse aufweist als sein Begleiter, aber mit
unseren Beobachtungen konnten wir bislang die Einzelmassen von Pulsar und
Begleitstern noch nicht präzise bestimmen. Aber zukünftige Messungen sollten
auch das möglich machen."
Falls der Pulsar in der Tat wesentlich massereicher sein sollte als sein
Begleitstern, würde dieses System sich deutlich von allen bis jetzt bekannten
Doppelneutronensternsystemen unterscheiden. In diesem Fall könnte es sich sogar
als eines der besten bekannten Laboratorien zum Test von alternativen
Gravitationstheorien im Vergleich zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie
erweisen.
Da der Begleitstern ebenfalls ein Neutronenstern ist, könnte er im Prinzip auch
als Radiopulsar nachgewiesen werden, vorausgesetzt, dass die Geometrie stimmt
und der gebündelte Radiostrahl die Erde überstreicht. Das scheint allerdings für
J1913+1102 nicht der Fall zu sein. Die Forscher haben die gesamten Daten sehr
sorgfältig auf Radiopulse vom Begleiter hin untersucht, jedoch vergeblich. Es
wurde kein Anzeichen für Radiostrahlung vom Begleitstern gefunden.
Während die beiden Neutronensterne einander umkreisen, werden die Orbits kleiner
und beide nähern sich einander, da das Gesamtsystem Energie durch Abstrahlung
von Gravitationswellen verliert. Die Vermessung dieses Effekts sollte die
Bestimmung der Einzelmassen von Pulsar und Begleitstern möglich machen. Die
Forscher hoffen, dadurch auch mehr über die wenig bekannte stellare Entwicklung
in solchen Doppelsternsystemen und bisher unbekannte Eigenschaften von Materie
mit der Dichte eines Atomkerns zu erfahren.
Diese Entdeckungen gewinnen eine zusätzliche Bedeutung im Zeitalter der
Gravitationswellenastronomie, das im September 2015 mit dem erstmaligen direkten
Nachweis von Gravitationswellen mit den LIGO-Detektoren begonnen hat. "Das
Aufspüren von Doppelneutronensternsystemen ähnlich wie J1913+1102 ist wichtig
für die Forschung im Bereich der Gravitationswellen. Es hilft uns, besser zu
verstehen, in welchem Zeitrahmen solche Systeme miteinander verschmelzen und
damit herauszufinden, wie oft Signale von kollidierenden Neutronensternen in
Zukunft mit Advanced LIGO entdeckt werden können", so Prof. Michael Kramer,
Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie.
Über ihre Entdeckungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift The Astrophysical Journal
erschienen ist.
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