24 neue Pulsare in alten Radiodaten entdeckt
Redaktion
/ Pressemitteilung der MPI für Gravitationsphysik und Radioastronomie astronews.com
30. August 2013
Mithilfe eines neuen Analyseverfahrens und der Unterstützung
der Teilnehmer des Projekts Einstein@home ist es Astronomen gelungen, in schon
mehrfach durchsuchten Daten des Parkes-Radioteleskops 24 Pulsare zu
entdecken, die bislang übersehen worden waren. Unter den Neuentdeckungen
befinden sich auch einige relativ seltene Exemplare, die für die Astronomen von
besonderem Wert sind.

Mit Einstein@Home und einem neuen
Analyseverfahren entdeckten Astronomen nun 24
neue Pulsare.
Bild: NASA |
Neuer Erfolg für das Projekt Einstein@Home: Durch die geballte Rechenkraft
von 200.000 Privatrechnern konnte ein internationales Team um Forscher der
Max-Planck-Institute für Gravitationsphysik und für Radioastronomie in
Archivdaten des Parkes-Radioteleskops in Australien dank neuartigen
Analysemethoden 24 Pulsare aufspüren.
"Unsere Suche war nur dank der großen Rechenkraft möglich, die uns die
Einstein@Home-Freiwilligen zur Verfügung gestellt haben", so Benjamin Knispel,
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover und Erstautor der Veröffentlichung,
die jetzt in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal erschienen
ist. "Durch die Beteiligung der Öffentlichkeit haben wir in der Milchstraße 24
neue Pulsare entdeckt, die zuvor übersehen wurden, einige davon besonders
interessante Exemplare."
Pulsare sind die Überreste von Explosionen massereicher Sterne. Die stark
magnetisierten und extrem dichten Neutronensterne rotieren schnell um die eigene
Achse und strahlen entlang der Magnetfeldachse kegelförmig Radiowellen ab -
ähnlich dem Scheinwerfer eines Leuchtturms. Trifft dieser Radiowellenkegel die
Erde, lässt sich der Pulsar beobachten.
Um die schwachen Signale neuer Pulsare aufzuspüren, sind große Radioteleskope
notwendig. Knispel und seine Kollegen durchsuchten Daten der Parkes-Multibeam-Pulsar-Durchmusterung,
die in den Jahren 1997 bis 2001 mit der 64-Meter-Antenne des Parkes-Observatoriums
im Südosten Australiens aufgenommen und bereits mehrfach mit zunehmender
Empfindlichkeit durchsucht wurden. "Die Suche nach neuen Radiopulsaren ist sehr
rechenaufwendig. Um die a priori unbekannten Eigenschaften wie die Entfernung
und die Periode der Eigendrehung genau zu bestimmen, müssen wir große
Parameterbereiche sehr fein durchsuchen", erklärt Knispel.
Bei Einstein@Home "spenden" jede Woche im Durchschnitt rund 50.000
Freiwillige aus aller Welt brachliegende Rechenkraft auf ihren insgesamt rund
200.000 Computern. Zusammen werfen sie so eine Rechenkraft von rund 860 TeraFlop
pro Sekunde in die Waagschale und würden Einstein@Home so einen Platz unter den
schnellsten Rechnern der Welt sichern. Für die Suche in den Parkes-Daten
brauchten die vernetzten Rechner so nur acht Monate, während ein einzelner
CPU-Kern dafür 17.000 Jahre gebraucht hätte.
Entscheidend für die Entdeckung der zwei Dutzend Pulsare war aber nicht nur
die enorme Rechenleistung von Einstein@Home, sondern auch die Entwicklung neuer
Methoden, um die Ergebnisse nachzubereiten. In den Messdaten finden sich häufig
menschengemachte Störsignale, die Pulsaren ähneln. Mit ihren neuen Verfahren
gelang es den Astronomen, auch in Anwesenheit der Störsignale Pulsare zu
entdecken, die zuvor verdeckt worden wären.
Die Astronomen nutzten die Radioteleskope bei Parkes, am Jodrell-Bank-Observatorium
und bei Effelsberg zu Folgebeobachtungen, um ihre Entdeckungen genauer zu
charakterisieren. "Es gibt verschiedene Arten von Pulsaren, ganz ähnlich den
verschiedenen Tierarten in einem Zoo. Einige sind häufiger anzutreffen als
andere, von denen manchmal nur eine Handvoll bekannt ist", erklärt Ralph Eatough,
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR)
in Bonn und Zweitautor der Veröffentlichung.
Für die Astronomen besonders interessant sind Pulsare in Doppelsternsystemen.
Denn sie ermöglichen Einblicke in ihre Entstehungsgeschichte oder können als
Prüfstände für Einsteins Relativitätstheorie dienen. Doch sie aufzuspüren ist
noch schwieriger als die Suche nach einzelnen Pulsaren, die wegen der
unbekannten Eigenschaften der Himmelskörper schon aufwendig genug ist. Denn ein
Pulsar in einem Doppelsternsystem hinterlässt in den Daten komplexere Spuren,
sodass der Rechenaufwand wächst und die Kapazitäten der Computercluster an den
beiden beteiligten Max-Planck-Instituten übersteigt.
Unter den 24 nun mit Einstein@Home entdeckten Pulsaren befinden sich sechs
dieser ungewöhnlichen Exemplare, die in Doppelsternsystemen einen gemeinsamen
Massenschwerpunkt mit ihrem Partner umkreisen. Diese Objekte entstehen häufig
nur unter besonderen astrophysikalischen Umständen, die die Forscher so genauer
rekonstruieren können.
Einer der entdeckten Pulsare hat eine ungewöhnlich lange Umlaufperiode von
rund 940 Tagen - die viertlängste aller bekannten Systeme. Er könnte sich in
Zukunft als Prüfstand für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erweisen.
Andere der nun entdeckten Pulsare scheinen ihre Radioemission für einige Minuten
oder Stunden abzuschalten. "Dieses Phänomen wurde bereits zuvor beobachtet, es
ist jedoch noch nicht vollständig verstanden. Weitere Untersuchungen können
unser Verständnis der Vorgänge im Magnetfeld der Pulsare verbessern, die zur
Entstehung der Radiostrahlung führen", so Eatough.
Neben diesen besonderen Objekten ist für Astronomen aber auch die Entdeckung
der "normalen" Pulsare wichtig. Die Parkes-Multibeam-Pulsar-Durchmusterung
wird häufig als Referenz für Computersimulationen der gesamten Pulsar-Population
unserer Galaxie genutzt. Erst wenn alle in den Beobachtungsdaten verborgenen
Pulsare entdeckt wurden, lassen sich präzise Schlüsse auf die Gesamtheit der
Pulsare in unserer Milchstraße ziehen.
"Unsere Entdeckungen beweisen, dass verteilte Rechenprojekte wie
Einstein@Home eine sehr wichtige Rolle in der modernen datenbasierten Astronomie
spielen", sagt Bruce Allen, Direktor von Einstein@Home und Direktor am AEI. "Wir
erwarten, dass verteiltes Rechnen für die astronomische Datenanalyse zukünftig
noch wichtiger werden wird. Bei Einstein@Home sind wir außerdem bestens auf die
zunehmende Mobilität der Rechenkraft vorbereitet", so Allen. Seit kurzem können
Freiwillige nämlich nicht nur die Rechenkraft auf ihren Computern zur Verfügung
stellen, sondern auch mit ihren Android-Smartphones und -Tablets bei der Suche
nach unbekannten Radiopulsaren helfen (astronews.com
berichtete).
"In einem der nächsten Projekte möchten wir die Rechenkraft von Einstein@Home
nutzen, um neu gewonnene Daten unseres hochempfindlichen Radioteleskops bei
Effelsberg nach Pulsaren in extrem engen Doppelsternsystemen zu durchsuchen",
blickt Michael Kramer, Direktor am MPIfR, in die Zukunft. Solche Systeme
ermöglichen Tests der allgemeinen Relativitätstheorie, weil sich deren Effekte
bei zwei sehr schweren Objekten, die in dichtem Abstand umeinander kreisen,
besonders deutlich zeigen. Kramer ist auf die Suche schon gespannt: "Wer weiß,
welche Überraschungen dabei auf uns warten."
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