Neues Verfahren enttarnt Gammapulsar
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (AEI) astronews.com
5. August 2015
Mithilfe eines neuen Analyseverfahrens haben Astronomen in
den Daten des Gammastrahlenteleskops Fermi einen Gammapulsar aufgespürt,
der bei früheren Suchen unentdeckt geblieben war. Entscheidend für den Erfolg
war die Unterstützung durch die Teilnehmer des Projekts Einstein@home, die ungenutzte
Rechenleistung ihrer Computer für die Suche bereitstellten.

Der Pulsar (künstlerische Darstellung) in der
Bildmitte und seine Umgebung. Der
Supernova-Überrest in der Nähe (magenta) ist
unten links in einer Aufnahme des
Weltraumteleskops Chandra dargestellt, die
Molekularwolken (grün und rot) durch Aufnahmen
von WISE. Für das Fermi-LAT verschmolzen
Supernova-Überrest und Pulsar zu einer einzigen
Quelle, was die Pulsarentdeckung erschwerte.
Bild: Knispel / AEI / DSS /
WISE / Chandra [Großansicht] |
Gammapulsare sind die Überreste der Explosionen, die das stellare Leben
massereicher Sterne beenden. Es handelt sich um schnell rotierende, kompakte
Neutronensterne mit starken Magnetfeldern. Wie kosmische Leuchttürme strahlen
sie Gammaphotonen in einem charakteristischen Muster ab, das sich bei jeder
Umdrehung wiederholt.
Weil aber nur wenige Gammaphotonen detektiert werden, ist es sehr
rechenaufwändig, diesen versteckten Rhythmus in den Ankunftszeiten der Photonen
aufzuspüren. Jetzt hat ein internationales Team unter Leitung von
Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover einen neuen Gammapulsar entdeckt,
der in Daten des Fermi Gamma-ray Space Telescope "versteckt" war. Die
verbesserten, adaptiven Datenanalyse-Methoden und die Rechenleistung des
verteilten freiwilligen Rechenprojekts Einstein@Home waren entscheidend
für den Erfolg.
Bereits seit dem Jahr 2012 hielt man die Gammastrahlenquelle, in der die
Entdeckung erfolgte, für einen Pulsar. Grund dafür war die vom Large Area
Telescope (LAT) an Bord von Fermi beobachtete Energieverteilung
der Gammaphotonen. Mehrere Jahre lang war sie eine der hellsten Quellen im
Fermi-LAT-Katalog ohne bekanntes astronomisches Gegenstück.
"Jeder glaubte, dass die Quelle, die wir nun als PSR J1906+0722 kennen, ein
Pulsar war. Das Schwierige war zu zeigen, dass die Gammaphotonen den
Fingerabdruck der Pulsarrotation aufweisen und ihre Ankunftszeiten diesem
versteckten Rhythmus folgen", erläutert Holger Pletsch, Leiter einer
unabhängigen Forschungsgruppe am AEI.
Die Fermi-LAT-Beobachtungen überspannen inzwischen eine Gesamtzeit von mehr als
sechs Jahren. Für jedes einzelne in dieser Zeit detektierte Gammaphoton mussten
die Wissenschaftler ermitteln, bei welcher der bis zu Milliarden von
Pulsarrotationen das Photon abgestrahlt wurde. Da vorab nur wenig über den
Pulsarrhythmus und die anderen Eigenschaften des Pulsars bekannt ist, müssen
sehr große Parameterbereiche sehr fein durchsucht werden – andernfalls könnte
ein verstecktes Signal unentdeckt bleiben. "Das ähnelt sehr der sprichwörtlichen
Suche nach der Nadel im Heuhaufen - mit dem Unterschied, dass wir vorab nicht
einmal wissen wie genau die Nadel aussieht", vergleicht Colin Clark, Doktorand
in Pletschs Gruppe.
Weil die räumliche Auflösung des Fermi-LAT begrenzt ist, ist die Himmelsposition
der Quellen nicht genau genug bekannt: ein Versatz in der Position beeinflusst
wie die Ankunftszeiten der Photonen rekonstruiert werden und ob sich die
korrekte Rotationsphase des Pulsars identifizieren lässt. "Wir müssen daher ein
Gitter am Himmel rund um die Position im Fermi-LAT-Katalog absuchen. Um einen
Pulsar nicht zu verfehlen, vergrößern wir das Gitter noch um eine
Sicherheitsmarge", erklärt Clark. "Zudem haben wir unseren Suchalgorithmus
anpassungsfähig gemacht. Selbst wenn die Quelle am Rand des analysierten
Himmelsbereichs liegt, kann der Algorithmus 'weiter wandern' und so den Pulsar
finden."
Tatsächlich war diese adaptive Suchmethode genau das, was nötig war, um das
Rätsel von PSR J1906+0722 zu lösen. Seine Himmelsposition liegt außerhalb des
vom Gitter mit Sicherheitsmarge abgedeckten Himmelsbereichs. Dies ist auch der
Grund, warum frühere, nicht anpassungsfähige Suchen den Pulsar nicht gefunden
haben. Die neuen Methoden sind zudem effizienter: Sie können größere
Parameterbereiche bei gleichbleibender Rechenleistung durchsuchen.
Dennoch ist die erforderliche Rechenleistung für die Suchen enorm: Blinde Suchen
wie diese würden mehrere Dutzend Jahre auf einem normalen Laptop dauern. Eine
weitere entscheidende Zutat für die Entdeckung war daher die Nutzung des
verteilten Rechenprojekts Einstein@Home. Jede Woche "spenden"
Zehntausende von Freiwilligen aus aller Welt dem Projekt ungenutzte Rechenzeit
auf ihren Laptops und PCs. "Wir sind allen Einstein@Home-Freiwilligen
sehr dankbar. Ihre wertvollen Beiträge haben unsere Entdeckung ermöglicht", sagt
Pletsch.
Nach der Entdeckung fern der Katalogposition nahmen die Forscher die Fermi-LAT-Daten
noch einmal ganz genau unter die Lupe, um den Grund für den Versatz zu finden.
Indem sie nur die Gammaphotonen untersuchten, die empfangen wurden während vom
Pulsar selbst keine gepulste Strahlung ankam, konnten sie eine zweite
Gammastrahlungsquelle identifizieren. Der Fermi-LAT-Katalog hatte sie mit dem
Pulsar in eine einzige Quelle zusammengefasst, die neben der wahren
Pulsarposition lag.
"Aus unserer Nachuntersuchung geht hervor, dass die zweite Quelle möglicherweise
die Stoßfront eines anderen Supernova-Überrests ist, die in eine nahegelegene
Molekülwolke rast und dabei Gammastrahlung erzeugt", erklärt Clark. Bei näherer
Betrachtung wurde außerdem klar, dass der Pulsar im Jahr 2009 einen sogenannten
Glitch erlitten hatte. Nach dem Glitch rotierte der Pulsar plötzlich schneller
als zuvor und ist immer noch nicht zur ursprünglichen Drehfrequenz
zurückgekehrt. Diese plötzliche Verschiebung beeinflusste auch die
Ankunftszeiten der Gammaphotonen und erschwerte die Datenanalyse.
Pulsarglitche hängen vermutlich mit Beben in der Kruste der Neutronensterne
zusammen. Ihre Untersuchung könnte daher neue Erkenntnisse über den inneren
Aufbau der kompakten Objekte liefern.
PSR J1906+0722 lässt sich nicht durch Beobachtungen im Radio- oder
Röntgenbereich entdecken, die vor und nach der Entdeckung durchgeführt wurden.
"Dies zeigt wie wichtig diese 'blinden' Pulsarsuchen in den Fermi-LAT-Daten
sind. Nur mit diesen Suchen, die vorab keine genaue Information erfordern,
können wir die anderweitig unsichtbaren Pulsare entdecken. Dies ist ein
wichtiger Beitrag zu einem vollständigeren Blick auf die galaktische
Pulsarpopulation", sagt Pletsch.
Darüber hinaus haben die neuen am AEI entwickelten Methoden - zusammen mit den
kürzlich veröffentlichten "Pass 8"-Fermi-LAT-Daten - diese Blindsuchen
empfindlicher als jemals zuvor gemacht.
Über ihren Fund berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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