Lösen Photonen das Dunkelmaterie-Rätsel?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
7. Februar 2019
Die Bewegung der Sterne in Galaxien lässt sich nicht
erklären, wenn man lediglich die sichtbare Materie berücksichtigt. Das führte
zur Annahme, dass es zusätzlich eine unsichtbare Materiekomponente
geben muss, die sogenannte Dunkle Materie. Bislang weiß man allerdings nicht, um was es
sich dabei handelt. Ein Forschertrio hat jetzt einmal eine ganz andere Idee
durchgespielt: Könnten Photonen das Rätsel lösen?
Künstlerische Darstellung unserer
Milchstraße: Die Bewegung der Sterne lässt sich
bislang nur durch die Annahme einer zusätzlichen
Massenkomponente erklären - der Dunklen Materie.
Bild: NASA / JPL-Caltech [Großansicht] |
Die Rotation von Sternen in Galaxien wie beispielsweise unserer Milchstraße
ist rätselhaft. Denn eigentlich sollte die Umlaufgeschwindigkeit zum Rand der
Galaxie hin abnehmen. Tatsächlich aber bleibt die Geschwindigkeit der Sterne in
den mittleren und äußeren Bereichen der Galaxien konstant. Der Grund für dieses
Phänomen könnte unsichtbare Materie sein, die eine Schwerkraft ausübt. Aber
obwohl verschiedene Forschungseinrichtungen seit Jahrzehnten danach suchen,
wurde die sogenannte Dunkle Materie bisher nicht gefunden und es ist nicht
bekannt, aus was sie besteht.
Vor diesem Hintergrund sind die Physiker Dmitri Ryutov, Dmitry Budker und
Victor Flambaum Überlegungen nachgegangen, ob vielleicht andere Einflüsse die
Rotationsdynamik von Galaxien erklären könnten. Sie untersuchten dazu, welche
hypothetische Wirkung die Masse von Photonen, also Lichtteilchen, ausüben würde.
Prof. Dr. Dmitri Ryutov, vor Kurzem am Lawrence Livermore National
Laboratory in den Ruhestand getreten, ist Experte für Plasmaphysik und hat
für seine Verdienste auf diesem Gebiet 2017 den Maxwell-Preis für Plasmaphysik
der American Physical Society erhalten. Auf Ryutov geht die in der
Fachwelt allgemein akzeptierte obere Grenze für die Masse des Photons zurück.
Weil diese Masse extrem klein ist, wird sie bei der Betrachtung von Atom- und
Kernprozessen normalerweise ignoriert. Aber selbst eine verschwindend kleine
Photonmasse könnte, so die Überlegungen, eine Wirkung auf große,
astrophysikalische Phänomene ausüben.
Bei einem Aufenthalt in Mainz haben Ryutov, sein Gastgeber Prof. Dr. Dmitry
Budker vom Helmholtz-Institut Mainz (HIM) und Prof. Dr. Victor Flambaum, Fellow
am Gutenberg Forschungskolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU),
diesen Ansatz verfolgt: Wie kann die extrem geringe Photonmasse Einfluss auf
Galaxien nehmen? Der grundlegende Mechanismus für die Überlegungen bezieht sich
auf die zusätzlichen Zentripetalkräfte, die durch elektromagnetische Feldstärken
infolge des sogenannten Proca-Mechanismus zustande kommen.
"Der Effekt, den wir hier theoretisch untersuchen, ist also nicht ein Effekt
aufgrund zusätzlicher Schwerkraft", erklärt Budker. Der hier diskutierte Effekt
könnte, so der Forscher, parallel zu den Wirkungen der Dunklen Materie
auftreten. Er könnte sogar – bei gewissen Annahmen – die Notwendigkeit von
Dunkler Materie für die Beschreibung von Rotationskurven vollständig überflüssig
machen.
Die Rotationskurven geben die Beziehung zwischen der Umlaufgeschwindigkeit
der Sterne zu ihrer Entfernung vom Zentrum der Galaxie wieder. "Wir gehen von
einer bestimmten Photonmasse aus und können zeigen, dass diese Masse ausreichen
würde, um in einer Galaxie zusätzliche Kräfte zu erzeugen, die in etwa groß
genug sind, um die Rotationskurven zu erklären", unterstreicht Budker. "Das war
für uns ein außerordentlich spannendes Ergebnis."
Die Physiker gingen aber noch weiter. Sie haben sich die Bildung von
Protosternen angeschaut und bemerkt, dass ihre Theorie noch andere Implikationen
hat. Langlebige, leichte Sterne mit einer Masse von wenigen Sonnenmassen – also
auch unsere Sonne – hätten nach dieser Theorie hoch elliptische Umlaufbahnen.
"Diese Vorhersage stimmt offensichtlich nicht mit den Beobachtungen überein, das
heißt wir können nicht alles erklären."
Der Effekt der Proca-Kräfte kann also, so die Forscher, nur für einen Teil
der Besonderheiten, die bei den Rotationskurven zu sehen sind, verantwortlich
gemacht werden. "Wir sehen die Photonmasse derzeit nicht als die Lösung für das
Rotationskurven-Problem. Aber sie könnte ein Teil der Lösung sein", fasst Budker
zusammen. "Wir möchten eine offene Geisteshaltung bewahren, solange wir noch
nicht wissen, was die Dunkle Materie wirklich ist."
Über ihre Untersuchung berichtet das Trio jetzt in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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