Überraschendes von aktiven Galaxienkernen
von Stefan Deiters astronews.com
9. August 2011
Aktive Galaxienkerne sind im Grunde genommen alle gleich. Ihre unterschiedliche Erscheinungsform erklärt sich, so zumindest das
weitgehend akzeptierte Modell, nur durch verschiedene
Blickwinkel auf die entfernten Objekte. Beobachtungen einer großen Anzahl aktiver
Galaxien mit dem Gammastrahlenteleskop Integral stellen nun aber Teile
dieser Theorie infrage.
So sollte ein aktiver Galaxienkern nach dem
Einheitsmodell aussehen.
Bild: ESA/NASA, das AVO Projekt und Paolo
Padovani
Eine unterschiedlich hohe
Konzentration von absorbierenden Wolken könnte
die Integral-Daten erklären.
Bild:
ESA / AOES Medialab und Adrian Zsilavec /
Michelle Qualls / Adam Block / NOAO / AURA / NSF
(NGC 4258); George Seitz / Adam Block / NOAO /
AURA / NSF (NGC 4941) [Großansicht] |
Im Zentrum nahezu aller massereichen Galaxien verbirgt sich ein
supermassereiches Schwarzes Loch. Dieses
Schwarze Loch ist in der Regel inaktiv, verschlingt also nur relativ wenig
Material aus seiner unmittelbaren Umgebung. Bei einigen Schwarzen Löchern ist das
allerdings anders: Sie verschlingen Unmengen an Gas und Staub. Und während
dieses Material in die Schwerkraftfalle strömt, erhitzt es sich auf extreme
Temperaturen, so dass die Zentren solcher Galaxien hell aufleuchten - so hell,
dass sie manchmal sogar die sie umgebende Galaxie überstrahlen und auch noch in
großer Entfernung auszumachen sind. Man nennt sie "aktive Galaxienkerne".
Astronomen haben zwar in der Vergangenheit eine Reihe von ganz
unterschiedlich aussehenden aktiven Galaxienkernen entdeckt, doch glauben sie,
dass es sich im Grunde genommen immer um dieselben Objekte handelt: Rund um das supermassereiche Schwarze Loch befindet sich eine
sogenannte Akkretionsscheibe, aus der das Material in die Schwerkraftfalle
strömt. Dieser innere Bereich ist dann von einem breiten Ring aus Gas und Staub
umgeben, der Teile der von der Scheibe ausgehenden Strahlung absorbiert. Je
nachdem, unter welchem Blickwinkel man nun auf ein solches Objekt schaut, sieht man
ganz unterschiedliche Erscheinungsformen des aktiven Galaxienkerns.
Doch dieses vereinheitlichte Modell wird durch Daten des
Gammastrahlen-Weltraumteleskops Integral der europäischen Weltraumagentur ESA
jetzt in Frage gestellt: "Nach dem Einheitsmodell sollten alle aktiven
Galaxienkerne in harten Röntgenwellenlängen das gleiche Verhalten zeigen,
unabhängig davon, was in anderen Wellenlängenbereichen passiert", erklärt
Claudio Ricci, ein Doktorand an der Universität in Genf, der auch Hauptautor
eines Fachartikels in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics ist, in dem die
Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt werden. "Die Absorption in dem Ring wird
für Photonen mit zunehmender Energie immer geringer und sollte für die Objekte
in unserer Untersuchung im harten Röntgenstrahlenbereich, in dem Integral
beobachtet hat, keinerlei Effekt haben."
Ricci und seine Kollegen analysierten die Daten von insgesamt 165 aktiven
Galaxienkernen, die in den ersten acht Jahren der Integral-Mission von
dem Weltraumteleskop in ganz verschiedenen Energiebereichen beobachtet worden
waren und die zudem ein unterschiedliches Absorptionsverhalten bei niedrigen Energien
zeigten. In höheren Energien hatten die Astronomen nicht damit gerechnet,
Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen erkennen zu können. Doch sie erlebten eine Überraschung.
Bei Quellen, deren Strahlung niedriger Energie stärker absorbiert wurde,
stellten die Wissenschaftler einen Überschuss von Emissionen in höheren
Energiebereichen fest. Diese Strahlung zeigte die Signatur von Röntgenstrahlen,
die von neutralem Wasserstoff in den dichten Wolken um das Schwarze Loch und die Akkretionsscheibe reflektiert wurde. Es könnten also die gleichen Wolken
sein, die auch für die Absorption in niedrigeren Energien verantwortlich waren.
"Eine deutlich stärkere Reflexion bei bestimmten Klassen von aktiven
Galaxienkernen weist darauf hin, dass sich die Bedingungen in diesen Objekten
unterscheiden", erläutert Roland Walter, der verantwortliche Wissenschaftler des
Integral-Teams am Data Centre for Astrophysics der Universität in Genf.
"Die Diskrepanz bei den hochenergetischen Emissionseigenschaften verschiedener
Typen von aktiven Galaxienkernen wird in den gegenwärtigen Modellen nicht
berücksichtigt. Das bedeutet, dass einige Details einer Überarbeitung bedürfen."
Zwar ist nach Ansicht der an der Untersuchung beteiligten Astronomen die
Grundannahme, dass sich im Zentrum der aktiven Galaxienkerne ein
supermassereiches Schwarzes Loch befindet, weiterhin richtig. Nur dürfte
die Verteilung des absorbierenden Materials rund um den Zentralbereich nicht so
gleichförmig sein, wie bislang unterstellt. Das Material könnte sich etwa in Wolken
rund um den Kern befinden, wobei eine unterschiedliche Konzentration dieser
Wolken für ein unterschiedliches Reflexionsverhalten sorgen würde.
Die Entdeckung von Röntgenreflexionen in aktiven Galaxienkernen könnte noch ein
ganz anderes astrophysikalisches Rätsel lösen helfen, das des kosmischen
Röntgenstrahlen-Hintergrunds. Dabei handelt es sich um eine äußerst schwache
diffuse Röntgenstrahlung, die aus allen Bereichen des Röntgenhimmels kommt. Man
erklärt sie durch die Röntgenabstrahlung von nicht auflösbaren aktiven Galaxien
im Verlauf der Geschichte des Universums.
Mit Integral hatte man ursprünglich gehofft, die Quellen dieser diffusen Strahlung
aufspüren zu können, doch die Beobachtungen halfen nicht, hinter das Mysterium
zu kommen.
Im Gegenteil: Die festgestellte Intensität war deutlich höher als man eigentlich gedacht
hatte. Eventuell könnte aber die von Ricci und seinen Kollegen entdeckte
reflektierte Röntgenstrahlung ausreichen, um den noch fehlenden Anteil zu
erklären. Ein über
30-jähriges Rätsel wäre damit gelöst.
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