Röntgenblitze von Neutronensternen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
23. März 2011
Forscher des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik konnten zusammen
mit Kollegen am Speicherring des Schwerionenforschungszentrums im chinesischen
Lanzhou neue und präzisere Massenmessungen für vier protonenreiche Nuklide
durchführen. Die Ergebnisse erlauben einen Einblick in Kernfusionsprozesse auf
Neutronensternen, die für intensive kosmische Röntgenblitze sorgen.

Künstlerische Darstellung des
Röntgen-Doppelsternpaars im Zentrum des
Kugelsternhaufens NGC 6624. Bild:
Dana Berry / STScI

rp-Prozess auf der Nuklidkarte nahe der
Protonen-Abbruchkante.
Bild: MPI für Kernphysik
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Neutronensterne gehören neben den Schwarzen Löchern zu den
exotischsten Objekten der Astronomie. Sie stehen am Ende der Entwicklung
eines massereichen Sterns, der nach Verbrauch seines nuklearen
Brennstoffs unter seiner eigenen Schwerkraft in einer spektakulären
Supernova zu einem äußerst kompakten Objekt kollabiert: um die zwei
Sonnenmassen konzentrieren sich innerhalb eines Durchmessers von nur
rund 20 Kilometern und die Dichte im Inneren ist so ungeheuer hoch, dass
ein würfelzuckergroßes Stück davon die Massen von einigen Milliarden
Tonnen besitzt.
Wie ihr Name schon sagt, bestehen sie überwiegend aus Kernmaterie, zeigen
aber dennoch wie die meisten Himmelskörper einen differenzierten Aufbau: ein
überwiegend aus Neutronen bestehender Kern - eventuell gar ein innerster Bereich
aus Quarkmaterie - und eine vermutlich kristalline Kruste aus Ionen (überwiegend
Eisen und leichtere Elemente) und Elektronen. Unser Wissen darüber beruht zum
größten Teil auf theoretischen Überlegungen und um diese zu testen sind die
Astrophysiker auf die spärlichen Beobachtungsdaten angewiesen, die uns in
verschiedener Form erreichen.
Von besonderem Interesse sind dabei enge Doppelsternsysteme, die einen
Neutronenstern enthalten, der von seinem Partnerstern dank des geringen Abstands
und seiner hohen Schwerkraft Materie ansaugt. Dabei kommt es zu so genannten
Röntgenstrahlen-Ausbrüchen, welche zu den intensivsten astronomischen
Röntgenquellen zählen. Nach heutigem Verständnis speisen sich diese Ausbrüche
aus thermonuklearen Prozessen auf der Oberfläche des Neutronensterns.
Die hier einfallende Materie aus dem Partnerstern besteht überwiegend aus
Wasserstoff und Helium und bildet unter dem Einfluss der ungeheuren Schwerkraft,
welche einige 100 Millionen mal stärker ist als auf der Erdoberfläche, ein
heißes dichtes Plasma aus Elektronen, Protonen und Heliumkernen. Die Protonen
können mit Kernen aus der Kruste des Neutronensterns fusionieren und so eine
thermonukleare Reaktionskette starten, in der in rascher Folge weitere Protonen
in den Atomkern eingebaut werden. Dieser Vorgang wird rp-Prozess (rapid
proton capture process) genannt und die dabei freiwerdende Energie wird in
Form von Röntgenquanten abgestrahlt.
Allerdings benötigt dieser Fusionsprozess eine bestimmte Aktivierungsenergie,
da zunächst die elektrische Abstoßung zwischen Protonen und Kernen überwunden
werden muss, bis sie sich für einen Einfang nahe genug kommen. Um dieses
thermonukleare Brennen zu zünden ist somit - ähnlich wie bei
Kernfusionsreaktoren - eine kritische Temperatur und Dichte erforderlich und
hierfür muss erst genügend brennbares Material in der Atmosphäre des
Neutronensterns angesammelt verdichtet und aufgeheizt werden. Einige
Neutronensterne zeigen daher periodische Röntgen-Ausbrüche alle paar Stunden
ähnlich einem Geysir.
Ein typischer Ausbruch dauert nur einige Sekunden, zeigt aber zudem ein
gewisses Nachglühen von einigen Minuten Dauer. Um dies besser zu verstehen ist
die Kernphysik gefragt und hier lohnt sich ein Blick auf die Nuklidkarte - dem
"Periodensystem der Atomkerne" - welche die Kerne sortiert nach ihrer Anzahl von
Protonen und Neutronen in einer Tabelle anordnet (siehe Grafik). Die weißen
Pfeile zeigen einen typischen rp-Reaktionsweg: Durch Einfang von Protonen
entstehen neue, schwerere Elemente, die sich wiederum durch radioaktiven
Betazerfall in Richtung des "Tals" der stabilen Nuklide (schwarz) in nahezu
gleich schwere, aber neutronenreichere Nuklide umwandeln können.
Beide Prozesse stehen in Konkurrenz zueinander, wobei zunächst der
Protoneneinfang schneller erfolgt. Mit zunehmender Protonenzahl, also wachsender
Kernladung wird aber die elektrostatische Barriere größer und damit die Fusion
erschwert und verlangsamt, bis schließlich die Protonen-Abbruchkante erreicht
ist, wo kein zusätzliches Proton mehr gebunden ist. Im Wettbewerb zwischen
Proton-Einfang und Betazerfall bewegt sich somit der rp-Prozess entlang der
Abbruchkante. Von Bedeutung sind dabei Nuklide nahe der Kante, wo der
Einfangprozess langsamer wird als der konkurrierende Betazerfall und der
Reaktionspfad sozusagen einen Umweg nimmt (grüne Pfeile).
Vor solchen Nukliden stehen die Protonen sozusagen in der Warteschlange,
weshalb sie auch "Wartepunkte" genannt werden. Der rp-Prozess stockt hier und
damit auch die Produktion von Röntgenquanten, was zum beobachteten langsameren
Nachglühen beiträgt. Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass die
Reaktionsrate zusätzlich von Dichte und Temperatur der Protonen abhängt, was in
Modellrechnungen aber simuliert werden kann.
Diese Modellrechnungen brauchen aber genaue Informationen über die
Eigenschaften der beteiligten Nuklide - an erster Stelle die Bindungsenergie des
zusätzlichen Protons. Hier hilft den Kernphysikern Einsteins berühmte Formel E =
mc2, nach der Energie und Masse äquivalent sind. Wird ein Proton
eingefangen und dabei Energie als Röntgenquant freigesetzt, so nimmt die Masse
des Kerns etwas weniger als eine Protonenmasse zu.
Forscher um Klaus Blaum und Yuri Litvinov vom Heidelberger
Max-Planck-Institut für Kernphysik haben nun zusammen mit ihren chinesischen
Kollegen und Kooperationspartnern aus Japan, Frankreich und den USA am
Schwerionenforschungszentrum in Lanzhou (China) die Masse von drei Nukliden
(Germanium-63, Arsen-65 und Selen-67) nahe der Protonen-Abbruchkante (gelbe
Quadrate in der Karte) erstmalig und für Krypton-71 mit deutlich besserer
Präzision bestimmt.
Die besondere Herausforderung ist hierbei die kurze Lebensdauer dieser Kerne,
die teilweise nur gut eine Zehntelsekunde beträgt, was die sonst übliche
Präzisionsmassenmessung in Ionenfallen nicht mehr erlaubt. Ein Speicherring
stellt eine Art Rennbahn für Ionen dar, welche darin einige Millionen mal pro
Sekunde umlaufen - innerhalb ihrer Lebensdauer somit einige hunderttausend
Umläufe, was ausreicht, um die - massenabhängige - Umlaufdauer möglichst genau
zu bestimmen. Typischerweise befinden sich dabei nur einige Dutzend Ionen im
Speicherring und die Messungen werden mehrfach wiederholt, um höhere Präzision
zu gewinnen.
Insgesamt dauerte das Experiment etwa zwei Wochen und aus dem Ergebnis der
direkten Massenmessungen der vier Nuklide konnte die jeweilige
Proton-Bindungsenergie bestimmt werden. Für Arsen-65, dessen Mutternuklid
Germanium-64 schon als Kandidat für einen Wartepunkt galt, ergab sich, dass das
Proton gerade eben nicht mehr gebunden ist - es also nur kurzzeitig eingefangen
werden kann. Theoretische Rechnungen konnten mit den neuen Daten zeigen, in
welchen Dichte- und Temperaturbereichen der Einfang langsamer ist als der
konkurrierende Betazerfall, das Isotop also einen wesentlichen Wartepunkt
darstellt.
In einer Simulation für einen Röntgenausbruch zeigte sich aber, dass der rp-Prozess
dennoch überwiegend über Germanium-64 verläuft, also keinen wesentlichen
Wartepunkt darstellt. Die neuen Messungen beseitigten zudem die größten
Unsicherheiten dieser Simulationen und lenken das Augenmerk auf weitere mögliche
Wartepunkte bei schwereren Nukliden. Die Physiker berichten in der Fachzeitschrift Physical Review Letters
über die neuen Ergebnisse.
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