|
Sternenbeben enthüllt inneren Aufbau
Redaktion / MPG
astronews.com
27. April 2006
Astronomen haben mithilfe von Messungen des
Röntgensatelliten Rossi X-Ray Timing Explorer die Dicke der Kruste eines
Neutronensterns bestimmt. Nach den neuen Messungen ist die Kruste von Neutronensternen bis zu 1,5
Kilometer stark und so dicht gepackt, dass ein Teelöffel dieser Materie auf der
Erde 10 Millionen Tonnen wiegen würde.
Oberflächenmuster für verschiedene
Verwindungsoszillationen, die möglicherweise durch den
Hyperflare angeregt wurden. Die Farbcodierung kennzeichnet
die Stärke der Schwingungen. Bilder: Max-Planck-Institut
für Astrophysik
|
Ein amerikanisch-deutsches Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts
für Astrophysik und der NASA hat mit Hilfe von Messungen des Rossi X-Ray
Timing Explorer, eines Röntgensatelliten der NASA, die Dicke der Kruste
eines Neutronensterns bestimmt. Neutronensterne sind die dichtesten Objekte, die
im Universum existieren, mit bislang nicht bekannten Eigenschaften in ihrem
Inneren. Nach den neuen Messungen, die die Forscher am vergangenen Montag auf
der Jahrestagung der American Physical Society in Dallas, USA,
vorgestellt haben, ist die Kruste von Neutronensternen bis zu 1,5 Kilometer
stark und so dicht gepackt, dass ein Teelöffel dieser Materie auf der Erde 10
Millionen Tonnen wiegen würde.
Diese Messung ist die erste ihrer Art und wurde durch eine starke Explosion
auf einem Neutronenstern im Dezember 2004 ermöglicht. Von dieser Explosion
ausgelöste Vibrationen enthüllten bisher unbekannte Details über den Aufbau von
Neutronensternen. Das dabei verwendete Verfahren ähnelt der Seismologie, die den
Aufbau der Erdkruste und des Erdinneren mit Hilfe seismischer Wellen erforscht,
die von Erdbeben und Explosionen ausgelöst werden.
Das neuartige Verfahren erlaubt es nun, das Innere eines Neutronensterns -
eines bisher unerforschten und verborgenen Gebiets - zu untersuchen. Dort sind
Druck und Dichte so hoch, dass im Zentrum des Neutronensterns möglicherweise
exotische Teilchen zu finden sind, die sonst nur zum Zeitpunkt des Urknalls
existiert haben.
Dr. Anna Watts vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Garching hat
dieses Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit Dr. Tod Strohmayer vom NASA
Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland, USA, durchgeführt.
"Diese Explosion war die stärkste jemals beobachtete ihrer Art. Wir vermuten,
dass sie den Stern durchgeschüttelt und ihn praktisch wie eine Glocke zum
Klingen gebracht hat", so Strohmeyer. "Obwohl die durch die Explosion erzeugten
Vibrationen schwach sind, geben sie ganz genaue Hinweise darauf, woraus diese
merkwürdigen Sterne bestehen. Wie bei einer Glocke hängen die Schwingungen im
Neutronenstern davon ab, wie die Wellen durch Schichten verschiedener Dichte
laufen, die elastisch oder fest sein können."
Ein Neutronenstern ist der Überrest aus dem Kernbereich eines Sterns, dessen
Gesamtmasse einst ein Vielfaches der Masse unserer Sonne betrug. Er enthält
ungefähr die 1,4-fache Masse der Sonne, die allerdings in einer Kugel von
lediglich 20 Kilometern Durchmesser zusammengepresst ist. Die beiden
Wissenschaftler haben einen Neutronenstern namens SGR 1806-20 untersucht, der
etwa 40.000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Schütze liegt. Dieses
Objekt gehört zu einer bestimmten Art von stark magnetisierten Neutronensternen,
die Magnetare genannt werden.
Am 27. Dezember 2004 ereignete sich auf der Oberfläche von SGR 1806-20 eine
Explosion mit noch nie da gewesener Stärke (astronews.com berichtete). Sie war
die hellste jemals außerhalb unseres Sonnensystems beobachtete Explosion. Die
Explosion, auch "Hyperflare" genannt, wurde durch eine plötzliche Veränderung im
gewaltigen Magnetfeld des Sterns verursacht, wodurch die Kruste aufgesprengt und
wahrscheinlich ein gewaltiges Sternbeben ausgelöst wurde. Dieses Ereignis wurde
von einer Vielzahl von Weltraum-Observatorien beobachtet, unter anderem auch vom
Rossi Explorer der NASA, der das dabei abgestrahlte Röntgenlicht
aufzeichnete.
Strohmayer und Watts glauben, dass die Oszillationen auf Verwindungsschwingungen
der gesamten Sternkruste zurückzuführen sind. Solche Vibrationen sind den bei
Beben auf der Erde gemessenen S-Wellen ähnlich, die wie eine Welle entlang eines
Seiles laufen. Die beiden Wissenschaftler, die für ihre Studien Messdaten von
Dr. Gian Luca Israel vom italienischen Nationalen Institut für Astrophysik
benutzten, konnten mehrere neue Vibrationsfrequenzen in dem Hyperflare
identifizieren.
Watts und Strohmayer bestätigten anschließend ihre Messungen mit Hilfe des
NASA Ramaty High Energy Solar Spectroscopic Imager, einem Satelliten zur
Sonnenbeobachtung, der auch den Hyperflare aufgezeichnet hatte. Sie entdeckten
dabei erstmals Hinweise auf eine hochfrequente Oszillation von 625 Hertz, die
von Wellen stammen könnte, welche sich senkrecht in die Kruste hinein
ausbreiten.
Die große Zahl von Frequenzen, die mehr einem Akkord als einem einzelnen Ton
gleichen, ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Tiefe der
Neutronensternkruste abzuschätzen. Dies ist möglich durch den Vergleich der
Frequenzen von Wellen, die sich entlang der Sternkruste bewegen, mit jenen, die
sich radial durch die Kruste hindurch ausbreiten. Der Durchmesser eines
Neutronensterns ist nicht genau bekannt. Wenn man aber den geschätzten Wert von
etwa 20 Kilometern annimmt, wäre seine Kruste ungefähr eineinhalb Kilometer
dick. Diese aus den gemessenen Frequenzen abgeleitete Zahl stimmt wiederum gut
mit theoretischen Modellen überein.
Mit der Sternbeben-Seismologie dürften sich viele weitere Eigenschaften von
Neutronensternen bestimmen lassen. Strohmayer und Watts analysierten auch die
Daten von Rossi zu einem schwächeren Hyperflare eines anderen Magnetars (SGR
1900+14) aus dem Jahr 1998. Sie fanden auch dort die verräterischen
Oszillationen. Allerdings waren diese nicht stark genug, um die Krustendicke zu
bestimmen.
Mit der Messung der Röntgenstrahlung bei anderen starken
Neutronenstern-Explosionen könnten künftig noch weitere Geheimnisse dieser
Objekte gelüftet werden, zum Beispiel die Frage nach dem Zustand der Materie in
ihrem Innern. Möglicherweise existieren dort nämlich freie Quarks. Solche Quarks
sind die elementarsten Bausteine von Protonen und Neutronen und unter normalen
Umständen immer eng aneinander gebunden. Ein Nachweis von ungebundenen Quarks
würde helfen, die wahre Natur von Materie und Energie zu verstehen. Denn bei
Experimenten auf der Erde kann man die zur Entdeckung von ungebundenen Quarks
notwendigen hohen Energien nicht erzeugen, auch nicht mit den größten
Teilchenbeschleunigern,.
"Neutronensterne sind fantastische Laboratorien, um Physik unter
Extrembedingungen zu untersuchen", so Watts. "Wir würden gerne einmal einen
solchen Stern aufbrechen, doch da dies wohl leider nicht möglich sein wird, sind
Magnetar-Hyperflares vermutlich die beste Möglichkeit, die uns für solche
Beobachtungen bleibt."
|
|
|
|