Ein hocheffizientes Triebwerk, viel Platz für Instrumente, präzise Leistung
und ein guter Preis. So stellt sich SMART-1 dar, die Mondsonde der ESA,
die in der Nacht vom 27. zum 28. September gestartet wird. SMART-1 ist
wesentlich kleiner, kostengünstiger und in vieler Hinsicht leistungsstärker als
herkömmliche Raumfahrzeuge. Ihr Geheimnis liegt in den neuen Technologien, die
an Bord getestet werden sollen und die die Raumfahrzeuge der Zukunft
entscheidend mitgestalten werden. Das Raumfahrtabenteuer dieses Sommers hält
jedoch nicht nur die Ingenieure in Atem. Auch die Wissenschaftler warten
gespannt auf SMART-1 - die erste europäische Mission zum Mond.
SMART-1 bildet den Auftakt zu einer Reihe von Missionen, die dem
Nachweis von Schlüsseltechnologien für künftige Raumfahrzeuge dienen (astronews.com
bereichtete). SMART steht für "Small Missions for Advanced Research in
Technology" - kleine Missionen für fortschrittliche Technologieforschung.
Mit SMART-1 sollen vor allem eine neue Antriebstechnik, der so genannte
"solarelektrische" Antrieb, und die Miniaturisierung von Raumfahrzeugen und
Instrumenten erprobt werden. Gebündelt haben diese beiden bahnbrechenden
Technologien ein Raumfahrzeug mit revolutionären Eigenschaften hervorgebracht:
Es ist kleiner, leichter, kann mehr wissenschaftliche Instrumente mitführen und
benötigt weniger Treibstoff, was die Missionskosten beträchtlich senkt.
Der Grundgedanke von SMART-1 ist, einer futuristischen Philosophie den
Weg zu bereiten, deren Motto lauten könnte: "mehr Wissenschaft für weniger
Geld". Obgleich es sich um das erste Vorhaben dieser Art handelt, wurde
SMART-1 in weniger als vier Jahren zu nur 110 Millionen Euro entwickelt,
einem Fünftel der Kosten einer herkömmlichen Wissenschaftsmission der ESA. Der
Preis schließt den Start und Betrieb der Sonde sowie ein Dutzend
wissenschaftlicher Experimente mit ein. Diese drastische Kostensenkung wurde zum
Teil durch neue Managementmethoden wie die Verkleinerung der Projektteams sowohl
in der ESA als auch in der Industrie erzielt, zum Teil aber auch durch die
innovativen Merkmale der Sonde, wie die Miniaturisierung und die neuartige
Bauweise.
Giuseppe Racca, der ESA-Projektleiter für SMART-1 erklärt: "Unser
Trick? Nun, eine kurze Entwicklungszeit bedeutet bereits weniger Kosten. Dank
ihrer kleinen Größe - eine der Missionsanforderungen zur Erprobung
miniaturisierter Geräte - kann sich die Sonde außerdem den Ariane-Start mit zwei
weiteren Passagieren, zwei kommerziellen Nutzlasten, teilen. Und da wir an kein
bestehendes Konzept gebunden waren, konnten wir viel innovativer und
erfinderischer sein. Das neue elektrische Konzept von SMART-1 hat es uns
beispielsweise ermöglicht, die Systemtests um ein Vielfaches zu vereinfachen."
SMART-1 mutet fast wie ein Spielzeug an - es bringt gerade 367
Kilogramm auf die Waage und findet in einem Würfel mit 1 Meter Durchmesser Platz
(die entfalteten Solarzellenflügel haben eine Spannweite von 14 Meter) -, ist
jedoch in der Lage, hochwertigste wissenschaftliche und technologische Daten zu
sammeln. Ebenso fortschrittlich ist die bei SMART-1 angewandte
Industriepolitik. SMART-1 ist ein gutes Beispiel einer ESA-Mission, bei
der ein vergleichsweise kleines Unternehmen wie die Swedish Space Corporation
(SSC) als Hauptauftragnehmer ausgewählt wurde. "Ausschlaggebend für unsere
Entscheidung waren die Erfahrung von SSC bei höchst erfolgreichen Projekten auf
nationaler Ebene und das Ziel der ESA, in Europa zu einer ausgewogenen
Industrielandschaft beizutragen", sagt Niels Jensen von der ESA-Direktion für
Industriefragen und Technologieprogramme.
Der solarelektrische Antrieb, eine der neuen Technologien im Mittelpunkt der
SMART-1-Mission, ist eine auf so genannten Ionentriebwerken beruhende
Antriebstechnik. Ein Ionentriebwerk stößt auf seiner Rückseite einen steten
Strom positiv geladener Teilchen - Ionen - aus, wodurch nach dem Rückstoßprinzip
ein Schub nach vorn erzeugt wird. Der von diesen Triebwerken benötigte
elektrische Strom wird von Sonnenzellenpaneelen erzeugt - daher auch die
Bezeichnung "solarelektrischer Antrieb".
Seit Jahrzehnten arbeiten Ingenieure an Ionentriebwerken, erst vor kurzem
jedoch konnten Hindernisse wie die unzureichende Stromzufuhr aus den
Sonnenzellenpaneelen überwunden werden. Bei jüngeren Missionen wurden
Ionentriebwerke in erster Linie zur Bahn- und Lageregelung eingesetzt. Im Falle
des ESA-Telekommunikationssatelliten Artemis haben Ionentriebwerke
unlängst sogar die Rettung der Mission ermöglicht (astronews.com berichtete).
Nachdem die Trägerrakete ihn in einer zu niedrigen Umlaufbahn abgesetzt hatte,
konnte Artemis dank der Schubkraft seines Ionenantriebs, der ursprünglich
nur für Korrekturmanöver vorgesehen war, langsam, aber sicher auf seine
Einsatzposition gehievt werden.
Beginnend mit SMART-1, dem ersten europäischen Raumfahrzeug, bei dem
ein Ionentriebwerk als Hauptantrieb eingesetzt wird, können die enormen Vorteile
eines solchen Systems nun voll genutzt werden. Ionentriebwerke haben einen sehr
hohen Wirkungsgrad: Sie liefern pro Kilogramm Treibstoff rund zehn Mal mehr
Impuls. Dadurch kann die auf dem Raumfahrzeug mitgeführte Treibstoffmenge
beträchtlich reduziert werden, was wiederum Platz und Startgewicht für
wissenschaftliche Instrumente freisetzt. Ionentriebwerke machen es künftig
möglich, sehr weite Strecken in kürzerer Zeit zurückzulegen, und ebnen damit den
Weg für die Exploration der Tiefen des Universums. Als entscheidender Vorteil
für Missionen, die eine sehr genaue Ausrichtung des Raumfahrzeugs erfordern,
gewähren diese Triebwerke zudem eine hochpräzise Lageregelung.
All diese interessanten Eigenschaften sind darauf zurückzuführen, dass
Ionentriebwerke einen sehr sanften Schub erzeugen. SMART-1 beschleunigt
nur 0,2 Millimeter pro Sekunde, was der Gewichtskraft einer Postkarte
entspricht. Deshalb ist der solarelektrische Antrieb auch nicht für den Start
von der Erdoberfläche aus geeignet - er funktioniert nur im Vakuum. Sehr ferne
Ziele aber stellen für ihn kein Hindernis dar. Im Gegensatz zu herkömmlichen
chemischen Raketenantrieben, die nur ein paar Minuten brennen, können
Ionentriebwerke jahrelang funktionieren - oder zumindest so lange, wie sie von
den Sonnenzellen mit Strom versorgt werden. Insbesondere auf Reisen zu
entlegenen Planeten macht sich da die Ausdauer der Schildkröte bezahlt.
Daher werden gerade die langen interplanetaren Missionen mit hohem
Energiebedarf den größten Nutzen aus einem solarelektrischen Hauptantriebssystem
ziehen. Herkömmliche Raumfahrtsysteme brauchen für derartige Langstreckenflüge
enorme Vorräte an chemischem Treibstoff. Für wissenschaftliche Instrumente
bleibt da kaum Platz. Um Treibstoff zu sparen, müssen sie zudem zahlreiche
Manöver unter Nutzung des Gravitationsbeschleunigungseffekts ausführen, die die
Flüge um so länger und komplexer machen. Ein solarelektrischer Antrieb hingegen
benötigt erheblich weniger Treibstoff an Bord, wodurch Platz für Instrumente
gespart und auf komplexe Flugmanöver verzichtet werden kann. Auf kurzen
Strecken, wie beispielsweise von der Erde zum Mond, kommen diese Vorteile
allerdings nicht zum Tragen.
Weshalb wird das Ionentriebwerk von SMART-1 dann gerade auf einem Flug zum
Mond erprobt? Dafür gibt es drei Gründe. Erstens ist der Mond ein
wissenschaftlich hochinteressantes Ziel. Zweitens kann SMART-1 die Kosten
für den Start mit der Trägerrakete Ariane-5 mit anderen Passagieren
teilen, die ebenfalls auf die Übergangsbahn zum geostationären Orbit (GTO)
befördert werden. Und nicht zuletzt ist die spiralförmige Flugbahn, auf der
SMART-1 sich dann von der GTO zum Mond "emporschraubt", besonders lang und
anspruchsvoll. Sie bietet also ausreichend Gelegenheit, das Ionentriebwerk unter
Bedingungen, die einer Mission in die Tiefen des Weltraums in nichts nachstehen,
auf Herz und Nieren zu prüfen.
Das Abenteuer von SMART-1 beginnt am Samstag, den 27. September 2003 um
20.02 Uhr Ortszeit (Sonntag, den 28. September um 01.02 Uhr MESZ) mit dem Start
der Trägerrakete Ariane-5 von Europas Raumflughafen in Kourou
(Französisch-Guayana). Bereits der Flug ist ein Erlebnis - die Ingenieure werden
erstmalig Gelegenheit haben, die Leistung der neuen Technologie im Einsatz zu
prüfen. Für alle wissenschaftlich Interessierten wird es im Dezember 2004 so
richtig spannend, wenn SMART-1 den Mond erreicht. Dann werden die
wissenschaftlichen Instrumente uns neue Anhaltspunkte über den Ursprung des
Monds liefern, nach etwaigen Spuren von Wasser suchen und die Möglichkeit eines
ständigen menschlichen Außenpostens auf dem Mond ausloten.