HESS
Blauen
Blitze aus dem Kosmos
Redaktion
astronews.com
30. August 2002
In Namibia wird in der kommenden Woche das erste Teleskop des
Gamma-Experiments HESS eingeweiht. Nach Fertigstellung der gesamten Anlage
in zwei Jahren sollen insgesamt vier so genannte Tscherenkow-Teleskope mit
bisher unerreichter Empfindlichkeit Strahlung von fernen Galaxien oder
explodierten Sternen aufspüren.
Jedes Teleskop verfügt über 380 runde Einzelspiegel.
Foto:
HESS-Kollaboration |
Ein neues Fenster zum Weltall öffnet sich in Namibia: Dort, auf der 1800
Meter hoch gelegenen Farm Göllschau, wird am 3. September 2002 das erste von
vier Teleskopen des HESS-Experiments offiziell eingeweiht. Dieses High Energy
Stereoscopic System soll in zwei Jahren komplett sein und die energiereiche
Strahlung von Galaxien oder Supernova-Überresten ergründen. Dabei registrieren
die wabenförmig aufgebauten Spiegel schwache Lichtblitze, die beim Eindringen
von kosmischen Gammaquanten innerhalb der Erdatmosphäre entstehen. An HESS
beteiligen sich mehr als 70 Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich,
England, Irland, Tschechien, Armenien, Namibia und Südafrika. Die Bundesrepublik
ist vertreten durch das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die
Humboldt-Universität Berlin, die Ruhr-Universität Bochum, die Universitäten
Hamburg und Kiel sowie die Landessternwarte Heidelberg. Max-Planck-Gesellschaft
und Bundesforschungsministerium haben für das Projekt zusammen sechs Millionen
Euro aufgewendet und tragen damit rund drei Viertel der Gesamtkosten von 7,6
Millionen Euro.
Angesichts der Jahrtausende langen Geschichte der Astronomie zählen
Beobachtungen im Gammastrahlenbereich des Spektrums zu den jüngsten Zweigen der
Himmelsforschung. Denn dieses extrem energiereiche Licht wird einerseits von der
Erdatmosphäre verschluckt, andererseits lässt es sich mit konventionellen Linsen
oder Spiegeln nicht bündeln. Spezielle Detektoren in Satelliten und
Höhenforschungsraketen registrieren Gammastrahlen mit Energien bis zu einigen
zehn Milliarden Elektronenvolt. Für die Erfassung von Strahlung mit noch höheren
Energien - bis zu einer Billion Elektronenvolt - aus den Herzen aktiver Galaxien
oder von den Resten explodierter Sterne sind diese Instrumente aber ungeeignet.
Um diesen interessanten und bisher wenig erforschten Spektralbereich dennoch
zu studieren, bedienen sich die Astronomen eines Tricks, der ihnen sogar
gestattet, "auf dem Boden" zu bleiben: Ein Gammateilchen aus dem Universum
dringt zwar - zum Glück für das Leben - nicht bis zur Erdoberfläche vor; aber
fliegt es innerhalb der irdischen Atmosphäre an einem Atomkern vorbei, kann es
sich spontan in ein Elektron und in dessen Antiteilchen Positron verwandeln. Auf
seiner Reise durch die Luft gelangt das Paar in die Felder weiterer Atomkerne,
wobei wieder ein Gammaquant entsteht, das dann erneut auf Atomkerne trifft. Auf
diese Weise erzeugt ein einziges kosmisches Gammateilchen quasi im
"Schneeballsystem" ein Kaskade von etwa tausend Sekundärpartikeln.
Innerhalb dieser Luftschauer entsteht so genannte Tscherenkow-Strahlung: Weil
sich das Teilchen schneller bewegt, als es der Lichtgeschwindigkeit in Luft
entspricht, kommt es zu einem "optischen Überschallknall" - einer Stoßwelle, die
für einige Milliardstel Sekunden blaues Licht in Flugrichtung aussendet. Das
geschieht in rund zehn Kilometer Höhe. Auf dem Boden beleuchtet ein solcher
"Tscherenkow-Scheinwerfer" eine Fläche von ungefähr 250 Meter Durchmesser. Das
blaue Licht ähnelt einer Meteorspur, ist für die Beobachtung mit bloßem Auge
allerdings viel zu schwach; dazu müsste die Netzhaut eine Million Mal
empfindlicher sein.
Und hier kommt nun HESS ins Spiel: Jedes Teleskop besitzt einen Durchmesser
von 12 Metern, wobei jeweils 380 runde Einzelspiegel eine Licht sammelnde Fläche
von 108 Quadratmetern bilden. Im Brennpunkt des Teleskops sitzt eine
elektronische Kamera mit 960 Fotoröhren, die in einem Rahmen von 1,4 Meter
Durchmesser montiert sind. Die Kamera, deren Elektronik in Frankreich gebaut
wurde, erlaubt Belichtungszeiten von nur einer Hundertmillionstel Sekunde. Das
Akronym HESS spielt auf den österreichischen Physiker Viktor Franz Hess (1883
bis 1964) an, der in zehn Ballon-Aufstiegen zwischen 1911 und 1913 die kosmische
Strahlung entdeckte und dafür im Jahr 1936 den Nobelpreis für Physik erhielt.
Im Gegensatz zu einem konventionellen Fernrohr liefert ein
Tscherenkow-Teleskop keine direkten Bilder eines Himmelsobjekts, sondern
zeichnet nur die Luftschauer in der Erdatmosphäre auf. Um daraus das Abbild
einer Gammaquelle zu erzeugen, kombiniert bei der HESS-Anlage ein Computer bis
zu vier Aufnahmen und bestimmt die Position sowie die Energie des Luftschauers.
Ergebnis ist ein Punkt auf einer Himmelskarte. Aber erst viele auf diese Weise
produzierten Punkte ergeben schließlich das Bild einer Galaxie oder eines
Supernovaüberrests. Gammastrahlung ist nicht thermisch, das heißt, sie wird -
anders als sichtbares Licht - nicht in heißen Himmelskörpern wie der Sonne
erzeugt. Vielmehr entsteht sie unter außergewöhnlichen physikalischen
Bedingungen, wie sie bei Sternexplosionen, in der Nachbarschaft von Schwarzen
Löchern oder im Zentrum aktiver Milchstraßensysteme herrschen.
Das Fischen nach Gammaquanten ist langwierig, weil sie in einer wesentlich
niedrigeren Rate auf die Erde prasseln als zum Beispiel optische Photonen. Daher
müssen die Teleskope für mehrere Stunden auf ein und denselben Ort am Firmament
gerichtet sein - mitunter betragen die Beobachtungszeiten einige tausend
Stunden. Um das schwache blaue Leuchten aufzeichnen zu können, wird HESS in
mondlosen Nächten betrieben. Pro Nacht können die Astronomen bis zu einem
Dutzend unterschiedlicher Objekte anvisieren. Erfassen alle vier Teleskope einen
Blitz gleichzeitig, ist eine stereoskopische Beobachtung möglich. Dazu bilden
die Instrumente - die übrigens wetterfest und durch keinerlei Kuppel oder
Gebäude geschützt sind - die Ecken eines Quadrats mit 120 Meter Kantenlänge.
HESS soll die Empfindlichkeit der bisher existierenden Tscherenkow-Teleskope
verzehnfachen. Dabei steht die Anlage "im friedlichen Wettbewerb mit anderen
ähnlichen Einrichtungen in Australien, in den USA und auf den Kanarischen
Inseln", wie Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, betont. HESS
sei ein schönes Beispiel "effizienter internationaler wissenschaftlicher
Arbeit". Das Konzept für das Projekt entstand im Jahr 1996 am Heidelberger
Max-Planck-Institut für Kernphysik. Die internationale Kooperation wurde im
Januar 1998 begründet. Eineinhalb Jahre später stand die Farm Göllschau im
Khomas-Hochland von Namibia als Standort fest. Dort begannen im August 2000 die
Bauarbeiten. Im Mai 2002 war das erste der vier Teleskope fertig gestellt, das
jetzt offiziell eingeweiht wurde. Die übrigen drei befinden sich derzeit noch im
"Rohbau".
Auf dem zehn Quadratkilometer großen Gelände, das die Max-Planck-Gesellschaft
von einem Farmer gepachtet hat, entstanden neben den Teleskopen ein
Kontrollzentrum, Werkstätten sowie ein Wohngebäude für Wissenschaftler und
technisches Personal. HESS ist für die Region außerordentlich wichtig: Partner
sind unter anderem die Universität Namibia in Windhuk und die
Potchefstroom-Universität in Südafrika.
Und schon vor dem Start wurde dem Experiment ein besondere Ehre zu Teil: Die
namibische Regierung hat eine Briefmarke mit dem Motiv des HESS-Experiments
herausgegeben.
|