Satellitennavigation für den Zugverkehr
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
9. April 2025
Eine wirkliche Navigationshilfe aus dem All benötigen Züge
zwar nicht, doch können Satelliten helfen, die Position von Zügen auf der
Strecke exakt zu erfassen. Diese Information ist entscheidend für die
Digitalisierung des Zugverkehrs und den damit verbundenen Ausbau von Kapazität
und Leistungsfähigkeit des Schienennetzes. Das Projekt RailGap soll wichtige
Impulse geben.

Um möglichst viele Daten für das RailGap-Projekt
zu sammeln, fuhren entsprechende Sensoren und
Empfänger unter anderem auf einem Wartungszug des
spanischen Schienennetzbetreibers ADIF mit.
Foto: DLR (CC
BY-NC-ND 3.0) [Großansicht] |
Präzise und zuverlässig zu wissen, wo sich Züge befinden, ist eine
grundlegende Voraussetzung, um den Schienenverkehr zu digitalisieren – und damit
die Kapazität und Leistungsfähigkeit des bestehenden Netzes auszubauen. Auch für
das europäische Zugsteuerungssystem ETCS (European Train Control System) und
automatisiertes Fahren sowie generell für das intelligente Management des
Bahnverkehrs ist die genaue Lokalisierung von Zügen wichtig. Dieses Thema stand
auch im Fokus des EU-Projekts "RailGap", in dem europäische
Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammengearbeitet haben. Das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) analysierte für das RailGap-Projekt, wie
sich unter anderem Satellitennavigation für die Lokalisierung von Zügen
einsetzen lässt.
Forschende des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation am Standort
Oberpfaffenhofen haben dazu die Qualität des empfangenen Satellitensignals
untersucht. Denn um Satellitennavigation zuverlässig und sicher für den
Bahnverkehr zu nutzen, muss man wissen, wie gut Satellitensignale sind und
welche Fehlergrößen sie aufweisen. Dabei kann das DLR auf langjährige Erfahrung
aus der zivilen Luftfahrt zurückgreifen: Dort werden Satellitensignale schon
seit Langem für Ortung und Navigation eingesetzt. "Dieses Wissen und Vorgehen
lässt sich allerdings nicht eins zu eins von der Luftfahrt auf den
Schienenverkehr übertragen", erklärt Wissenschaftlerin Anja Grosch, die das
Projekt DLR-seitig betreut hat. Der Grund dafür liegt in der ganz anderen
Empfangsumgebung: "Bahnstrecken sind viel direkter in unsere Umwelt integriert.
Sie führen durch Wälder und mitten durch Städte. Strecken verlaufen auch
unterirdisch oder in Tunneln. Bäume und Gebäude können zum Beispiel
Satellitensignale stören. In Tunneln gibt es teilweise für mehrere Minuten kein
Satellitensignal."
Kommt das Satellitensignal auf die Erde, wird es beispielsweise an Gebäuden
reflektiert. Der Empfänger erhält also eine Mischung beziehungsweise eine
Überlagerung aus dem eigentlichen und einem reflektierten Signal. Die
Wissenschaft nennt dieses Phänomen Mehrwegeausbreitung. Auch die vorwiegend aus
Metall bestehenden Züge sowie die Bahninfrastruktur tragen zur
Mehrwegeausbreitung bei. "Für die Lokalisierung von Zügen ist das eine
Herausforderung. Denn bisher konnte man nicht gut vorhersagen, wie groß der
Einfluss dieses Phänomens ist. Das könnten mehrere Zentimeter oder bis zu
hundert Meter sein", verdeutlicht Grosch.
Zudem ist es selten der Fall, dass alle Signale der zur Verfügung stehenden
Navigationssatelliten dieselbe Mehrwegeausbreitung haben. Deshalb hat das
DLR-Team auch das im RailGap-Projekt unter die Lupe genommen: Es untersuchte,
wie sich die Mehrwegeausbreitung erfassen und am Computer modellieren lässt. Mit
diesen Modellierungen können die Forschenden dann ermitteln, wie groß die
entstehenden Fehler bei der Positionsbestimmung sein können. Das ermöglicht es
festzustellen, wo man mit Satellitennavigation eine für den Schienenverkehr
ausreichend genaue Positionierung erhält und wo zusätzlich andere
Lokalisierungsmethoden notwendig sind.
Um zu diesen Ergebnissen zu kommen, musste das Team zunächst viele Daten
sammeln und untersuchen. Dafür wurden unterschiedliche Sensoren und Empfänger
für globale Satellitennavigationssysteme in mehreren Zügen der
Projektbeteiligten installiert und Daten während des Betriebs aufgezeichnet. Mit
dabei war ein Wartungszug des spanischen Schienennetzbetreibers ADIF (Administrador
de Infraestructuras Ferroviarias) sowie Pendelzüge des italienischen Betreibers
RFI (Rete Ferroviaria Italiana).
Wenn man auf Streckenabschnitten wenige oder keine Signale hat, muss man sich
eine zusätzliche Möglichkeit schaffen: zum Beispiel bei unterirdisch oder in
Tunneln verlaufenden Bahnstrecken. "Hier kann man auf sogenannte
Inertialsensoren zurückgreifen. Mit ihnen kann man den Wegfall von
Satellitensignalen über mehrere Minuten überbrücken", sagt DLR-Wissenschaftlerin
Grosch. Das sind Sensorsysteme, die Beschleunigung und Drehrate messen. Daraus
berechnen sie die relative Position und Richtung, also die Bewegung eines
Objekts im Raum. Inertialsensoren sind inzwischen auch in vielen Smartphones
verbaut.
Für das RailGap-Projekt hat das DLR kommerziell erhältliche Sensoren und
Empfänger genutzt. "Diese haben wir so kombiniert, dass wir ein umfassendes,
mehrschichtiges Sicherheitskonzept für einen Multisensor-Ansatz entwickeln
konnten. Es ermöglicht eine hochgenaue und gegen Störungen von außen robuste
Bestimmung von Lage, Position und Geschwindigkeit eines Zuges unter den
geschilderten Herausforderungen", bilanziert Grosch. Ein Prototyp dieses Systems
fuhr auch auf den Zügen mit und zeigte, dass der Ansatz in der Praxis
funktioniert. In der Fachsprache wird dieser Schritt "Proof of Concept" genannt.
Die DLR-Forschenden sind zuversichtlich, dass sie mit diesem Ansatz eine
horizontale Genauigkeit von deutlich unter einem Meter erreichen können.
Außerdem können sie Sicherheitskorridore – in der Fachsprache
Konfidenzintervalle genannt – für die ermittelten Zugpositionen zuverlässig
berechnen. Diese Sicherheitskorridore sind ein direktes Maß für die hohe
Qualität dieses Ansatzes.
Die Forschungsarbeiten von RailGap unterstützen auch den Aufbau sogenannter
"digitaler Karten" im Bahnbereich. Darunter versteht man ein Verzeichnis mit
Daten zur Infrastruktur, die alle Systeme in einem digitalisierten Bahnbetrieb
nutzen. Dafür ist es wichtig, festzulegen, welche Qualität diese Daten haben und
welche Standards sie erfüllen müssen. Die DLR-Forschung im Bereich der
Satellitennavigation unterstützt hier die Arbeit von Standardisierungsgremien
mit Know-how, wie exakt Positionsdaten bestimmbar sind und welche
Fehlertoleranzen auftreten.
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