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Entstand Ryugu in der Nähe des Jupiter?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
30. September 2024
Der Asteroid Ryugu ist von seinem Entstehungsort bis zu
seiner heutigen, erdnahen Umlaufbahn möglicherweise nicht so weit gereist, wie
bisher angenommen. Neue Untersuchungen von Proben, die die Sonde Hayabusa 2
zur Erde gebracht hat, legen nahe, dass Ryugu in der Nähe des Jupiters
entstanden ist. Frühere Studien hatten seinen Ursprung jenseits der Saturnbahn
verortet.
Der erdnahe Asteroid Ryugu misst etwa 900
Meter im Durchmesser.
Bild: JAXA, University of Tokyo, Kochi
University, Rikkyo University, Nagoya University, Chiba
Institute of Technology, Meiji University, Aizu University,
AIST [Großansicht] |
Die nur wenige Gramm schweren Gesteinsproben des Asteroiden Ryugu, welche die
Raumsonde Hayabusa 2 im Dezember 2020 zur Erde brachte, haben schon
einiges mitgemacht. Nach ersten Untersuchungen in Japan reisten einige der
winzigen, tiefschwarzen Körnchen zu Forschungseinrichtungen in aller Welt. Dort
wurden sie unter anderem vermessen, gewogen, chemisch analysiert, Infrarot-,
Röntgen- und Synchrontonstrahlung ausgesetzt. Am Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen prüfen Forschende in welchen
Verhältnissen bestimmte Metall-Isotope in den Proben vorliegen. Als Isotope
bezeichnet die Wissenschaft Varianten desselben Elements, die sich nur durch die
Anzahl der Neutronen im Kern unterscheiden. Untersuchungen dieser Art können
helfen zu verstehen, wo im Sonnensystem Ryugu entstanden ist.
Ryugu zählt zu den erdnahen Asteroiden: Seine Umlaufbahn um die Sonne kreuzt
(ohne Kollisionsgefahr) die der Erde. Forschende gehen jedoch davon aus, dass er
ebenso wie andere erdnahe Asteroiden aus dem Asteroidengürtel zwischen den
Umlaufbahnen von Mars und Jupiter ins innere Sonnensystem "zugereist" ist. Die
eigentlichen Geburtsorte der Asteroidengürtel-Bewohner dürften noch weiter
entfernt von der Sonne außerhalb der Jupiterbahn liegen.
Aufschluss über Ryugus Ursprung und Werdegang können seine
Verwandtschaftsbeziehungen geben. Wie sehr ähnelt er den Vertretern bekannter
Klassen von Meteoriten? Dies sind Bruchstücke von Asteroiden, die sich ihren Weg
aus dem Weltall bis zur Erde gebahnt haben. Die Untersuchungen der vergangenen
Jahre lieferten eine Überraschung: Ryugu fügt sich zwar wie erwartet in die
große Menge der kohlenstoffreichen Meteorite, der kohligen Chondrite, ein.
Detaillierte Untersuchungen seiner Zusammensetzung ordnen ihn jedoch einer
seltenen Gruppe zu: den sogenannten CI-Chondriten, die nach dem tansanischen
Fundort ihres bekanntesten Vertreters auch als Chondrite vom Ivuna-Typ
bezeichnet werden. Neben dem Ivuna-Chondriten selbst wurden bisher nur acht
weitere dieser Sonderlinge entdeckt. Ihre chemische Zusammensetzung gleicht dem
der Sonne; sie gelten deshalb als besonders ursprüngliches Material, das am
äußersten Rand des Sonnensystems entstanden ist. "Bisher sind wir davon
ausgegangen, dass auch Ryugus Entstehungsort außerhalb der Saturnbahn liegt",
erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Timo Hopp, der bereits frühere Untersuchungen zu
Ryugus Isotopenzusammensetzung geleitet hat.
Die jüngsten Analysen der Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
zeichnen nun ein anderes Bild. Das Team hat erstmals untersucht, in welchen
Verhältnissen Nickel-Isotope in vier Proben des Asteroiden Ryugu und sechs
Proben kohliger Chondrite vorliegen. Dabei bestätigte sich zwar die enge
Verwandtschaft zwischen Ryugu und den CI-Chondriten. Doch die Vorstellung vom
gemeinsamen Geburtsort am Rand des Sonnensystems ist längst nicht mehr zwingend.
Was war passiert? Bisher hatten Forschende kohlige Chondrite als Mischungen
von drei "Zutaten" verstanden, die sich in Querschnitten sogar mit dem bloßen
Auge erkennen lassen. Eingebettet in feinkörniges Gestein drängen sich dicht an
dicht sowohl runde, millimetergroße, als auch kleinere, unregelmäßig geformte
Einschlüsse. Die unregelmäßigen Einschlüsse sind das erste Material, das in der
heißen Gasscheibe, die einst um die Sonne kreiste, zu festen Klümpchen
kondensierte. Später entstanden die runden silikatreichen Chondren. Unterschiede
in der Isotopenzusammensetzung zwischen CI-Chondriten und anderen Gruppen
kohliger Chondrite führten Forschende bisher auf unterschiedliche
Mischungsverhältnisse dieser drei Zutaten zurück. So bestehen etwa CI-Chondriten
überwiegend aus feinkörnigem Gestein, ihre Geschwister sind deutlich reicher an
Einschlüssen.
Doch wie das Team in der aktuellen Veröffentlichung beschreibt, passen die
Ergebnisse der Nickel-Messungen nicht in dieses Schema. Die neuen Rechnungen
zeigen nun, dass sich die Messergebnisse nur durch eine vierte Zutat erklären
lassen: kleinste Eisen-Nickel-Körnchen, die sich im Laufe der
Asteroidenentstehung ebenfalls angelagert haben müssen. Im Fall von Ryugu und
den CI-Chondriten muss dieser Vorgang besonders effizient gewesen sein. "Bei der
Entstehung von Ryugu und den CI-Chondriten einerseits und den anderen Gruppen
kohliger Chondrite andererseits müssen offenbar völlig unterschiedliche Prozesse
am Werk gewesen sein", fasst Fridolin Spitzer vom MPS zusammen.
Nach Ansicht der Forschenden begannen sich etwa zwei Millionen Jahre nach der
Entstehung des Sonnensystems die ersten kohligen Chondrite zu bilden. Angezogen
von der Schwerkraft der noch jungen Sonne machten sich Staub und erste feste
Klümpchen vom äußeren Rand der Gas- und Staubscheibe auf den Weg ins innere
Sonnensystem, trafen dabei jedoch auf ein Hindernis: den gerade entstehenden
Jupiter. Außerhalb seiner Umlaufbahn häuften sich besonders die schweren und
größeren Bröckchen an – und wuchsen so zu kohligen Chondriten mit ihren vielen
Einschlüssen heran. Gegen Ende dieser Entwicklung nach etwa zwei Millionen
Jahren gewann ein anderer Prozess die Überhand: Unter dem Einfluss der Sonne
verdunstete außerhalb der Jupiterbahn nach und nach das ursprüngliche Gas – und
reicherte dort vor allem Staub und Nickel-Eisen-Körnchen an. Dies war die
Geburtsstunde der CI-Chondrite.
"Die Ergebnisse haben uns sehr überrascht. Wir mussten völlig umdenken –
nicht nur in Bezug auf Ryugu, sondern auch in Bezug auf die gesamte Gruppe der
CI-Chondrite", so Dr. Christoph Burkhardt vom MPS. Die CI-Chondriten stellen
sich nun nicht mehr als entfernte, sonderbare Verwandte der übrigen kohligen
Chondrite vom äußersten Rand des Sonnensystems dar, sondern eher als jüngere
Geschwister, die möglicherweise in derselben Region, aber später und durch einen
anderen Prozess entstanden sind. "Die aktuelle Untersuchung zeigt, wie
entscheidend Laboruntersuchungen dazu beitragen können, die
Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems zu entschlüsseln", so Prof. Dr.
Thorsten Kleine, Direktor der Abteilung für Planetenwissenschaften am MPS.
Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
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