Wichtiger Schritt zu noch genaueren Uhren
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München astronews.com
23. August 2023
Hochpräzise Atomuhren spielen bei der Erforschung der
fundamentalen Eigenschaften unseres Universums eine immer wichtigere Rolle. Noch
genauer wären sogenannte Kernuhren, für deren Entwicklung allerdings bislang
wichtige Grundlagen fehlten. Nun ist ein Forschungsteam einen entscheidenden
Schritt vorangekommen. Die erste Kernuhr könnte noch in diesem Jahrzehnt in
Betrieb gehen.

Präzise Uhren können der Wissenschaft einiges über unser
Universum verraten.
Bild: NASA, ESA, G. Illingworth, D. Magee und
P. Oesch (University of California, Santa Cruz),
R. Bouwens (Leiden University) und das
HUDF09-Team [Großansicht] |
Atomuhren messen Zeit so genau, dass sie in 30 Milliarden Jahren weniger als
eine Sekunde vor- oder nachgehen. Mit sogenannten Kernuhren könnte man die Zeit
noch zuverlässiger messen. Darüber hinaus könnte man grundlegende Phänomene der
Fundamentalphysik mit ihnen untersuchen. "Da geht es buchstäblich um das, was
die Welt im Innersten zusammenhält", sagt Professor Peter Thirolf, Physiker an
der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der bereits seit vielen Jahren
an Kernuhren forscht. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Atomuhren "spüre" diese
Art von Uhr auch Kräfte, die im Atomkern wirken. "Das eröffnet eine ganze Reihe
von Forschungsfeldern, die man mit Atomuhren nie untersuchen könnte", ergänzt
Thirolfs Kollege Dr. Sandro Kraemer, der das Projekt bereits im Rahmen seiner
Promotion an der Katholischen Universität Leuven in Belgien maßgeblich
vorangetrieben hat.
Thirolf und Kraemer gehören zu denjenigen, die ganz vorne mit dabei sind, im
Wettlauf um die Kernzeit. Die beiden Wissenschaftler arbeiten am Lehrstuhl für
experimentelle Physik in Garching. Auf dem Weg zur ersten Kernuhr sind sie als
Teil eines internationalen Teams nun einen bedeutenden Schritt weitergekommen:
Dank eines neuen experimentellen Ansatzes konnte die Anregungsenergie von
Thorium-229 sehr genau charakterisiert werden. Dieser Atomkern soll Taktgeber
zukünftiger Kernuhren werden. Die genaue Kenntnis darüber, welche Frequenz es
für seine Anregung braucht, ist ausschlaggebend dafür, dass das funktionieren
kann.
Für eine Uhr braucht man irgendetwas, das periodisch schwingt und etwas, das
diese Schwingungen zählt. Bei einer Standuhr ist es ein mechanisches Pendel,
dessen "Ticks" und "Tacks" von einem Uhrwerk gezählt werden. Bei Atomuhren gibt
die Atomhülle den Takt vor. Die Elektronen werden angeregt und wechseln zwischen
hohem und niedrigem Energieniveau hin und her. Gezählt wird die Frequenz von
Lichtteilchen, die das Atom aussendet, wenn die angeregten Elektronen wieder
zurück in den Grundzustand fallen.
Bei Kernuhren ist das Grundprinzip sehr ähnlich. Allerdings dringt man hier,
im wahrsten Sinne des Wortes, zum Kern des Atoms vor. Denn auch der kennt
verschiedene energetische Zustände. Würde es gelingen, diese mit einem Laser
gezielt anzuregen und die Strahlung zu messen, die der Kern beim Zurückfallen in
den Grundzustand aussendet, hätte man eine Kernuhr. Das Problem: Von allen
bekannten Atomkernen ist der Wissenschaft nur ein einziger bekannt, mit dem so
etwas machbar wäre: Thorium-229. Und selbst das war lange Zeit reine Theorie.
Was Thorium-229 so besonders macht, ist die Tatsache, dass sich sein Kern mit
einer relativ niedrigen Lichtfrequenz in den angeregten Zustand versetzen lässt,
einer Frequenz, die man mit UV-Lasern noch gerade so hinbekommen könnte. 40
Jahre lang steckte die Forschung fest, weil man zwar vermutete, dass der
Atomkern mit den passenden Eigenschaften existiert, diese Vermutung aber nicht
experimentell bestätigen konnte. Im Jahr 2016 gelang Thirolfs Arbeitsgruppe an
der LMU dann der Durchbruch: Sie konnte den angeregten Zustand des Kerns von
Thorium-229 direkt nachweisen. Damit war der Startschuss für das Rennen um die
Kernuhr gefallen. Inzwischen sind weltweit viele Gruppen an dem Thema
interessiert.
Um eine Uhr zum Laufen zu bringen, müssen Taktgeber und Uhrwerk perfekt
aufeinander abgestimmt sein. Im Falle der Kernuhr bedeutet das, dass man genau
wissen muss, mit welcher Frequenz der Atomkern von Thorium-229 "tickt". Nur dann
kann man Laser entwickeln, die genau diese Frequenz anregen. "Man kann sich das
vorstellen wie bei einer Stimmgabel", erklärt Kraemer. "Der Laser ist das
Musikinstrument, mit dem man versucht, die Frequenz der Stimmgabel Thoriumkern
zu treffen."
Würde man alle möglichen Frequenzen mit verschiedenen Lasern ausprobieren,
wäre man ewig beschäftigt. Ganz abgesehen davon, dass Laser im entsprechenden
UV-Lichtspektrum erst noch aufwändig entwickelt werden müssen. Um den Bereich,
in dem die Schwingungsfrequenz von Thorium-229 liegt, näher einzugrenzen,
nutzten die Forscher deshalb einen anderen Weg. "Die Natur ist manchmal gnädig
und bietet uns verschiedene Möglichkeiten an", sagt Thirolf. Der angeregte
Zustand des Thoriumkerns lässt sich nämlich nicht nur durch Anregung mit einem
Laser herstellen. Er entsteht auch, wenn radioaktive Kerne zu Thorium-229
zerfallen. "Wir fangen also sozusagen bei den Großeltern und Urgroßeltern von
Thorium an."
Diese Zerfallsvorfahren heißen Francium-229 und Radium-229. Beide findet man
nicht einfach in der Natur. Man muss sie künstlich herstellen. Und das ist
derzeit nur an sehr wenigen Orten auf der ganzen Welt überhaupt möglich. Einer
davon ist das ISOLDE-Labor an der Europäischen Organisation für Kernphysik
(CERN) in Genf. Es ermöglichte den Forschern den alchimistischen Traum, ein
Element in ein anderes zu verwandeln. Dazu werden Urankerne mit extrem stark
beschleunigten Protonen regelrecht zerschossen, wodurch verschiedene neue Kerne
entstehen – unter anderem Francium und Radium. Diese zerfallen in sehr kurzer
Zeit zum radioaktiven Mutterkern von Thorium-229: Actinium-229.
Kraemer, Thirolf und ihre internationalen Kollegen betteten dieses aufwendig
hergestellte Actinium in spezielle Kristalle ein. Dort zerfällt das Actinium zu
Thorium im angeregten Zustand. Wenn das Thorium in den Grundzustand
zurückspringt, sendet es die Lichtteilchen aus, deren Frequenz für die
Entwicklung der Kernuhr so ausschlaggebend ist. Sie nachzuweisen, ist aber gar
nicht so trivial. "Wenn die Kerne nicht genau an den richtigen Stellen im
Kristall sitzen, haben wir keine Chance", meint Kraemer. "Die Elektronen in der
Umgebung würden dann die Energie absorbieren und es gelangt nichts nach draußen,
was wir messen können." Bisherige Versuche, bei denen Uran statt Actinium ins
Kristallgitter eingebracht wurde, sind an diesem Problem gescheitert.
"Beim Zerfall von Uran-233 zu Thorium-229 entsteht ein Rückstoß, der alles im
Kristall durcheinanderbringt", erklärt Thirolf. Der Zerfall von Actinium zu
Thorium richtet hingegen sehr viel weniger Schaden an, weswegen die Forscher für
die neue Studie diesen aufwändigen Weg in Zusammenarbeit mit CERN wählten. Der
Aufwand hat sich gelohnt: Mit ihrer neuen Methode konnte das Team die Energie
des Zustandswechsels sehr genau bestimmen. Sie zeigten zudem, dass eine Kernuhr
mit Thorium, das in einen Kristall eingebettet wird, realisierbar ist. Solche
festkörperbasierten Uhren hätten gegenüber anderen Ansätzen den Vorteil, dass
sie deutlich schneller zu Messergebnissen führen würden, weil sie mit einer
größeren Anzahl von Atomkernen arbeiten.
"Wir kennen jetzt die ungefähre Wellenlänge, die wir brauchen", sagt Thirolf.
Basierend auf den neuen Erkenntnissen soll die exakte Übergangsenergie nun immer
weiter eingegrenzt werden. Der nächste Schritt sieht vor, mit einem Laser eine
Anregung zu schaffen. Im Anschluss kann man die Frequenz mit präziseren Lasern
immer weiter eingrenzen. Damit das nicht so lange dauert, sucht man die Nadel im
Heuhaufen nicht mit einer Pinzette, sondern mit einem Rechen. Dieser Rechen
heißt "Frequenzkamm" und wurde von Thirolfs LMU-Kollegen Professor Theodor
Hänsch entwickelt, der dafür 2005 den Nobelpreis erhielt. Man kann damit
hunderttausende Wellenlängen gleichzeitig abtasten, bis man die richtige
gefunden hat.
Noch immer liegen einige Herausforderungen auf dem Weg zur Kernuhr. Das
Thorium-Isomer muss noch besser verstanden, Laser entwickelt, Theorien
ausgetüftelt werden. "Aber es lohnt sich, dranzubleiben", findet Thirolf. "Das
Projekt eröffnet langfristig so vielfältige neue Anwendungsmöglichkeiten, dass
es sich lohnt großen experimentellen Aufwand zu betreiben", fügt Kraemer hinzu.
Zu diesen Möglichkeiten zählen neben der Forschung an der Fundamentalphysik auch
praktische Anwendungen. Mit einer Kernuhr könnte man kleinste Veränderungen im
Gravitationsfeld der Erde erkennen, wie sie bei tektonischen
Plattenverschiebungen oder bevorstehenden Vulkanausbrüchen auftreten.
Mit den neuen Erfolgen ist das Ziel in greifbare Nähe gerückt. Bereits
in weniger als zehn Jahren könnte es erste Prototypen geben. "Vielleicht
schaffen wir es noch bis 2030, rechtzeitig zur Neudefinition der Zeit", hoffen
die beiden Physiker. Bis dahin wird nämlich neu definiert, was eine Sekunde ist.
Dabei kommen modernste Atomuhren zum Einsatz – und vielleicht auch bereits die
ersten Kernuhren.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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