Neuronales Netz analysiert verschmelzende Schwarze Löcher
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
2. Mai 2023
Ein interdisziplinäres Team hat einen Algorithmus
entwickelt, der seine eigenen Berechnungen der Eigenschaften verschmelzender
Schwarzer Löcher umgehend überprüft und sein Resultat gegebenenfalls korrigiert.
Die Methode liefert dabei sehr genaue Informationen über die gemessenen
Gravitationswellen - ideal für die im Mai beginnende Messkampagne von
Gravitationswellen-Detektoren.
Ausschnitt aus einer numerischen Simulation der
Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher.
Bild: N. Fischer, H. Pfeiffer, A. Buonanno
(Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik),
Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration [Großansicht] |
Wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen, rasen die dabei
abgestrahlten Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Treffen
sie irgendwann auf die Erde, können große Detektoren in den USA (LIGO), in
Italien (Virgo) und in Japan (KAGRA) die Signale auffangen. Durch Vergleich der
Messdaten mit theoretischen Vorhersagen können die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler dann die Eigenschaften der Schwarzen Löcher bestimmen, z. B.
Größe, Eigendrehimpuls, Ausrichtung, Position am Himmel und Entfernung von der
Erde.
Ein Forschungsteam der Abteilung für Empirische Inferenz des
Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Tübingen und der
Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in
Potsdam hat jetzt ein sich selbstkontrollierendes Deep-Learning-System
entwickelt, das sehr präzise Informationen aus Gravitationswellenmessungen
herausfiltert. Dabei überprüft das System selbst seine eigenen Vorhersagen über
die Parameter der verschmelzenden Schwarzen Löcher – im wahrsten Sinne des
Wortes ein tiefes neuronales Netz mit doppeltem Boden. 42 gemessene
Gravitationswellen verschmelzender Schwarzer Löcher wurden mit dem Algorithmus
erfolgreich analysiert: Beim Vergleich mit rechenintensiven Standardalgorithmen
waren die Ergebnisse nicht zu unterscheiden.
Die Forschenden verwenden das von ihnen entwickelte tiefe neuronale Netz
namens DINGO (Deep INference for Gravitational-wave Observations) zur Analyse
der Daten. DINGO wurde darauf trainiert, die Gravitationswellenparameter aus den
Messdaten auszulesen. Mit vielen Millionen simulierter Signale verschieden
zusammengesetzter Doppelsysteme lernte das Netzwerk, echte, d. h. tatsächlich
gemessene, Gravitationswellendaten zu interpretieren.
Ob das tiefe neuronale Netz die Informationen korrekt ausliest, ist
allerdings auf den ersten Blick nicht erkennbar. Ein Nachteil herkömmlicher Deep-Learning-Systeme
ist nämlich, dass sie Ergebnisse liefern, die selbst dann plausibel klingen,
wenn sie falsch sind. Deswegen haben die Forschenden des MPI-IS und des AEI den
Algorithmus um eine Kontrollfunktion erweitert. "Wir haben ein Netz mit
doppeltem Boden entwickelt: Zunächst berechnet der Algorithmus aus der
gemessenen Gravitationswelle die Eigenschaften der Schwarzen Löcher. Aus diesen
berechneten Parametern wird ein Gravitationswellensignal simuliert, und
anschließend mit der gemessenen Gravitationswelle verglichen. Das tiefe
neuronalen Netz kann also seine eigenen Resultate gegenchecken und im
Zweifelsfall korrigieren", erklärt Maximilian Dax, Doktorand der Abteilung für
Empirische Inferenz am MPI-IS.
Der Algorithmus kontrolliert sich so selbst und ist dadurch deutlich
zuverlässiger als bisherige Methoden des maschinellen Lernens. Und nicht nur
das: "Überraschenderweise entdeckten wir, dass der Algorithmus oftmals in der
Lage ist, ungewöhnliche Ereignisse zu erkennen, nämlich echte Daten, die nicht
mit unseren theoretischen Modellen übereinstimmen. Diese Informationen können
für die schnelle Kennzeichnung von Daten genutzt werden, die genauer untersucht
werden sollen", so Stephen Green, ehemals Wissenschaftler am AEI, der jetzt an
der Universität Nottingham forscht.
"Wir liefern Garantien für die Genauigkeit unserer Machine-Learning-Methode –
etwas, das es sonst im Forschungsfeld Deep Learning fast nie gibt. Damit wird es
für die wissenschaftliche Gemeinschaft attraktiv, den Algorithmus für die
Analyse der Gravitationswellendaten einzusetzen", sagt Alessandra Buonanno,
Direktorin der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische
Relativitätstheorie am AEI. Und Bernhard Schölkopf, Direktor am MPI-IS, fügt
hinzu: "Heute analysiert DINGO Gravitationswellendaten – aber solch eine sich
selbst kontrollierende und korrigierende Methode ist auch für andere
wissenschaftliche Anwendungsbereiche interessant, bei denen es entscheidend ist,
die Richtigkeit von 'Black-Box'-Methoden neuronaler Netze überprüfen zu können."
Die Forschungsarbeit wurde im Fachjournal Physical Review Letters
veröffentlicht.
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