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Die vielfältige Chemie in planetenbildenden Scheiben
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
13. April 2023
Mit James Webb haben Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler einen Blick auf die Chemie in den Regionen der Scheiben
um junge Sterne geworfen, in denen sich Gesteinsplaneten bilden. Bereits die
ersten Daten zeigen, dass die Scheiben chemisch vielfältig und reich an
Molekülen wie Wasser, Kohlendioxid und organischen Kohlenwasserstoffverbindungen
sind.

Künstlerische Darstellung einer
planetenbildenden Scheibe um einen jungen Stern. Astronominnen
und Astronomen haben mit dem MIRI-Spektrografen an Bord des
JWST mehrere chemische Verbindungen in den zentralen Regionen
einer ersten Auswahl von planetenbildenden Scheiben um junge
Sterne entdeckt. Die Moleküle bestehen aus mehreren
Kohlenwasserstoffarten wie Benzol und Kohlendioxid, sowie
Wasser und Blausäure. Bild:
ALMA (ESO / NAOJ / NRAO) / MPIA [Großansicht] |
Neue Beobachtungen einer Auswahl von planetenbildenden Scheiben um junge
Sterne, die mit dem Mid-Infrared Instrument (MIRI) an Bord des
James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) gewonnen wurden, vermitteln einen ersten
Eindruck, wie dieses Instrument das Verständnis der Entstehung
von erdähnlichen Planeten verbessern wird. Astronomen und Astronominnen aus elf
europäischen Ländern haben sich im Projekt MINDS (MIRI mid-Infrared Disk Survey)
zusammengeschlossen, um die Bedingungen in den inneren Bereichen solcher
Scheiben zu untersuchen. Dort bilden sich voraussichtlich Gesteinsplaneten aus
dem Gas und dem Staub, aus denen diese Scheiben bestehen.
Die ersten Ergebnisse zeigen nun die Vielfalt dieser Geburtsstätten von
Gesteinsplaneten. Die Scheiben reichen von Umgebungen, die reich an
kohlenstoffhaltigen Verbindungen sind, darunter so komplexe organische Moleküle
wie Benzol, bis hin zu Agglomeraten, die Kohlendioxid und Spuren von Wasser
enthalten. Wie Fingerabdrücke erzeugen diese Chemikalien eindeutig
identifizierbare Merkmale in den Spektren, die bei den Beobachtungen gewonnen
wurden.
"Wir sind beeindruckt von der Qualität der Daten, die MIRI produziert hat",
sagt Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in
Heidelberg. Er ist der leitende Forscher des JWST Guaranteedime
Observation (GTO)Time
Observation (GTO) Programms MINDS. "Dieser Reichtum an Spektrallinien gibt
nicht nur Aufschluss über die chemische Zusammensetzung des Scheibenmaterials,
aus dem sich schließlich Planeten und deren Atmosphären entwickeln. Sie erlaubt
uns auch, die physikalischen Bedingungen wie Dichte und Temperatur in diesen
planetenbildenden Scheiben zu bestimmen, und zwar direkt dort, wo die Planeten
entstehen."
"Wir können jetzt die chemischen Komponenten in diesen Scheiben viel genauer
untersuchen", sagt Sierra Grant, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik (MPE) in Garching. Sie ist die Hauptautorin einer
Studie, in der eine Scheibe um einen jungen massearmen Stern untersucht wird.
"Die warme innere Scheibe um GW Lupcheint ziemlich trocken zu sein. Wir haben
zwar eindeutig Kohlendioxid,scheint ziemlich trocken zu sein. Wir haben
zwar eindeutig Kohlendioxid, Cyanidgasndund Ethinachgewiesen, aber viel weniger
Wasser als erwartet", erklärt Grant.nachgewiesen, aber viel weniger
Wasser als erwartet", erklärt Grant.
Eine Lücke um den Zentralstern, die kein Gas enthält, würde das Fehlen von
Wasser erklären. "Sollte sich dieses Loch bis zwischen die Schneegrenzen von
Wasser und Kohlendioxid erstrecken, würde dies den geringen Wasserdampfgehalt
erklären", sagt Grant. Die Schneelinien kennzeichnen ringförmige Zonen in
unterschiedlicher Entfernung vom Stern, in denen die Temperaturen auf Werte
fallen, bei denen bestimmte chemische Substanzen ausfrieren. Die
Wasserschneelinie liegt näher am Stern als die für Kohlendioxid.
Wenn sich also eine Lücke über die Wasserschneelinie hinaus erstreckt, würde
das Gas außerhalb dieses Bereichs noch Kohlendioxid, aber nur wenig Wasser
enthalten. Jeder Planet, der sich dort bildet, wäre zunächst ziemlich trocken.
Daher könnten kleine eisige Objekte wie Kometen aus dem äußeren Planetensystem
die einzige nennenswerte Quelle für Wasser sein. Wäre hingegen ein Planet, der
mit der Scheibe interagiert, für eine solche Lücke verantwortlich, würde dies
darauf hindeuten, dass der Planet während seiner Entstehung Wasser angesammelt
hat.
Das Team entdeckte auch zum ersten Mal eine viel seltenere Version des
Kohlendioxidmoleküls in einer protoplanetaren Scheibe, die ein Kohlenstoffatom
enthält, das etwas schwerer ist als die viel häufigere Version. Im Gegensatz zum
"normalen" Kohlendioxid, das lediglich die wärmere Scheibenoberfläche erfasst,
kann die Strahlung des schwereren Geschwisters aus tieferen und kühleren
Schichten der Scheibe entweichen. Die Auswertung ergibt Temperaturen von etwa
-75 Grad Celsius in der Nähe der Scheibenmitte bis zu etwa +225 Grad Celsius an
ihrer Oberfläche.
Leben scheint Kohlenstoff zu benötigen, um komplexe Verbindungen zu bilden.
Während einfache kohlenstoffhaltige Moleküle wie Kohlenmonoxid (CO) und
Kohlendioxid (CO2) die meisten planetenbildenden Scheiben
durchdringen, ist die reichhaltige Kohlenwasserstoffchemie der Scheibe um den
jungen Stern J160532 recht ungewöhnlich. "Das Spektrum der Scheibe um den
massearmen Stern J160532 zeigt das Vorkommen von warmem Wasserstoffgas und
Wasserstoff-Kohlenstoff-Verbindungen bei Temperaturen um 230 Grad Celsius", sagt
Benoît Tabon, CNRS-Forscher am Institut d’Astrophysique
Spatiale der Universität
Paris-Saclay.
Das stärkste spektrale Signal stammt von heißem Ethingas (auch bekannt als
Acetylen), dessen Moleküle jeweils aus zwei Kohlenstoff- und zwei
Wasserstoffatomen zusammengesetzt ist. Weitere ebenso warme Gase organischer
Moleküle sind Diacetylen (Butadii) und Benzol, die beide zum ersten Mal in
einer protoplanetaren Scheibe nachgewiesen wurden, und wahrscheinlich auch
Methan. Dieser Befund deutet darauf hin, dass diese Scheibe mehr Kohlenstoff als
Sauerstoff enthält. Eine solche Mischung in der chemischen Zusammensetzung
könnte auch die Atmosphären von Planeten beeinflussen, die sich dort bilden. Im
Gegensatz dazu scheint Wasser fast nicht vorhanden zu sein. Stattdessen könnte
das meiste Wasser in den eisigen Felsbrocken der kälteren äußeren Scheibe
eingeschlossen sein, wo es mit diesen Beobachtungen nicht nachweisbar ist.
Neben Gas ist auch festes Material ein typischer Bestandteil protoplanetarer
Scheiben. Ein Großteil davon besteht aus Silikatkörner, im Grunde feiner Sand.
Sie wachsen von Nanopartikeln zu zufällig strukturierten, mikrometergroßen
Gebilden heran. Wenn sie erhitzt werden, können sie Kristalle bilden. Eine
Arbeit, die von einem Team unter der Leitung von Ágnes Kóspál (MPIA und Konkoly-Observatorium
in Budapest) veröffentlicht wurde und die nicht Teil des MINDS-Programms ist,
zeigt, wie solche Kristalle in die Gesteinsbrocken gelangen können, aus denen
schließlich Gesteinsplaneten entstehen. Wissenschaftler finden solche Kristalle
auch in Kometen und der Erdkruste.
Das Team entdeckte Kristalle wieder, die vor Jahren in der Scheibe um den
regelmäßig ausbrechenden Stern EX Lup entdeckt wurden, der sich gerade von einem
kürzlichen Ausbruch erholte. Er lieferte die notwendige Wärme für den
Kristallisationsprozess. Nach einer Zeit der Abwesenheit tauchten diese
Kristalle nun wieder in ihren Spektren auf, wenn auch bei viel niedrigeren
Temperaturen und damit in größerer Entfernung vom Stern. Das deutet darauf hin,
dass wiederholte Ausbrüche für die Herstellung einiger Bausteine von
Planetensystemen notwendig sein könnten.
Diese Ergebnisse würden wieder einmal zeigen, so die Forschenden, dass das
JWST ein neues goldenes Zeitalter in der astronomischen Forschung einläutet. Die
Ergebnisse seien bereits in diesem frühen Stadium bahnbrechend. "Wir freuen uns
auf weitere Neuigkeiten vom JWST", erklärt Henning. Insgesamt soll das
MINDS-Programm die Scheiben von 50 jungen, massearmen Sternen ins Visier nehmen.
"Wir sind sehr gespannt auf die Vielfalt, die wir finden werden."
"Indem wir die zur Interpretation der Spektren verwendeten Modelle
verfeinern, werden wir auch die vorliegenden Ergebnisse verbessern. Schließlich
wollen wir die Möglichkeiten von JWST und MIRI voll ausschöpfen, um diese
Geburtsstätten der Planeten zu untersuchen", fügt Inga Kamp hinzu, eine
MINDS-Mitarbeiterin und Wissenschaftlerin am Kapteyn Astronomical Institute
der Universität Groningen in den Niederlanden.
Es ist besonders lohnend, die
Entstehung von Planeten in der Umgebung von Sternen mit sehr geringer Masse zu
erforschen, d. h. von Sternen, die etwa fünf bis zehn Mal weniger massereich
sind als die Sonne. Gesteinsplaneten sind um diese Sterne überreichlich
vorhanden, und viele potenziell lebensfreundliche Planeten wurden bereits
entdeckt. Daher verspricht das MINDS-Programm, einige der wichtigsten Fragen
über die Entstehung von erdähnlichen Planeten und vielleicht die Entstehung des
Lebens zu klären.
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Grant, S. et al.
(2023): MINDS. The detection of 13CO2 with JWST-MIRI indicates
abundant CO2 in a protoplanetary disk, ApJL, 947, L6
Tabone, B. et al.
(2023): A rich hydrocarbon chemistry and high C to O ratio in the
inner disk around a very low-mass star, Nature Astronomy
(arXiv.org-Preprint)
Kóspál, A. et
al. (2023): JWST/MIRI Spectroscopy of the Disk of the Young Eruptive Star EX Lup in
Quiescence, ApJL, 945, L7
Max-Planck-Institut für Astronomie
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