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Nächstgelegenes Schwarzes Loch aufgespürt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
4. November 2022
Mit Unterstützung des ESA-Astrometriesatelliten Gaia
wurde nun das erdnächste bekannte Schwarze Loch entdeckt. Es ist weniger als
1600 Lichtjahre von uns entfernt und umkreist einen Stern, der unserer Sonne
ähnelt. Ganz erklären kann sich das Team die Existenz des ungewöhnlichen Paars
allerdings nicht: Die ermittelten Eigenschaften passen schlecht zu den aktuellen
Theorien.

Künstlerische Darstellung der
relativistischen Lichtablenkungs-Effekte, die man
sehen würde, wenn man das Binärsystem mit dem
Schwarzen Loch aus der Nähe beobachten könnten.
Bild: T. Müller (MPIA), PanSTARRS DR1 (K. C.
Chambers et al. 2016), ESA / Gaia / DPAC (CC
BY-SA 3.0 IGO) [Großansicht] |
Schwarze Löcher sind per Definition schwer zu beobachten: Ihre Masse ist in
einer Region mit extrem kleinem Durchmesser konzentriert, aus welcher die
resultierende extrem starke Schwerkraft nichts entweichen lässt, nicht einmal
Licht. Dennoch sind diese ungewöhnlichen Objekte seit Jahrzehnten ein wichtiger
Teil unseres Bildes vom Universum. Das gilt insbesondere für sogenannte stellare
Schwarze Löcher mit einigen Sonnenmassen, die als Endzustand von sehr
massereichen Sternen auftreten. Nun hat eine Gruppe von Astronomen und
Astronominnen unter der Leitung von Kareem El-Badry vom Max-Planck-Institut für
Astronomie (MPIA) und dem Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics
mit einer neuartigen Methode ein Schwarzes Loch entdeckt, das der Erde so nahe
ist wie kein anderes bislang bekanntes Schwarzes Loch. Die Entdeckung zeigt
allerdings auch Lücken im derzeitigen astronomischen Wissen auf, nämlich dort,
wo es um die Entstehung von Doppelsternsystemen geht.
In unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, gibt es schätzungsweise hundert
Millionen stellare Schwarze Löcher. Aufgrund der grundlegenden Schwierigkeiten
bei der Beobachtung schwarzer Objekte konnte allerdings nur ein geringer Teil
davon bislang nachgewiesen werden. Einige wurden von
Gravitationswellendetektoren aufgespürt, die fast hundert Verschmelzungen
stellarer Schwarzer Löcher gemessen haben, Angaben über die Massen jener Objekte
inklusive. Hinzu kommen einige Dutzend durch Teleskopbeobachtungen nachgewiesene
stellare Schwarze Löcher. Die meisten davon umkreisen einen Begleitstern, der
nahe genug ist, dass die Schwerkraft des Schwarzen Lochs Wasserstoffgas aus dem
Begleitstern in eine sogenannte Akkretionsscheibe ziehen kann, die das Schwarze
Loch umgibt. Das Gas wird dabei heiß genug, um beträchtliche Mengen an
Röntgenstrahlung zu emittieren. Es gibt 20 bekannte "Röntgendoppelsterne" dieser
Art und weitere 50 Kandidaten.
Es gab mehrere Versuche, zusätzlich auch "stille" Schwarze Löcher in
Doppelsternsystemen zu finden (im Englischen "quiescent black holes"), also
Schwarze Löcher ohne solche hellen Akkretionsscheiben. Das Mittel der Wahl waren
dabei Sternspektren, also die regenbogenartige Zerlegung des Sternenlichts.
Solche Spektren enthalten nämlich Informationen über die Bewegung eines Sterns
relativ zu uns. Wir kennen das aus dem Alltag vom Dopplereffekt für Schall: Das
Martinshorn eines Rettungsfahrzeugs klingt für uns höher, wenn das Fahrzeug auf
uns zukommt, und tiefer, nachdem es an uns vorbeigefahren ist. Analog gibt uns
das Licht in Form von Sternenspektren Auskunft darüber, ob (und wie schnell)
sich ein Stern direkt auf uns zu oder von uns wegbewegt.
In den letzten Jahren wurden mehrfach Fachartikel veröffentlicht, in denen
die Entdeckung ruhender Schwarzer Löcher vermeldet wurde. Das waren jeweils
Versuche, die Umlaufbahn eines Doppelsterns und die Masse eines unsichtbaren
Begleiters ausschließlich auf Basis der Sternspektren abzuleiten. Bis auf eine
Ausnahme (die Entdeckung des Doppelsternsystems VFTS 243 im Juni 2022, an der
El-Badry als Mitautor beteiligt war) wurden jedoch alle diese Behauptungen durch
Folgestudien relativiert oder sogar widerlegt. Spektren liefern eben nur einen
Teil der Informationen über die Sternbewegung und damit über die Umlaufbahn und
die Masse des Begleiters. Die fehlende Information ist dabei eine entscheidende
Unsicherheits-Quelle – und genau dort verspricht die Gaia-Mission der ESA
Abhilfe.
Bereits seit einigen Jahren hegen Astronomen und Astronominnen die Hoffnung,
dass die Astrometrie-Mission Gaia der ESA einen neuen Weg zur Entdeckung und
Charakterisierung von Schwarzen Löchern in Doppelsternsystemen eröffnen könnte:
indem sie Informationen liefert, die die anhand der Spektren von Sternen
gewonnenen Daten ergänzen. Gaia ist für hochpräzise Messungen von
Sternpositionen ausgelegt. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Bewegung eines
sichtbaren Sterns am Himmel zu dokumentieren, und daraus wiederum lässt sich auf
die Anwesenheit eines unsichtbaren Begleiters schließen. Binärsysteme bei denen
einer der Partner ein schwarzes Loch ist, sind allerdings im Vergleich zur
Gesamtanzahl von Doppel- oder Mehrfachsystemen sehr selten. Daher ist die
Reichweite von Gaia für die Suche ebenso wichtig wie die Genauigkeit:
Hochwertige Daten für mehr als hunderttausend Doppelsternsysteme bieten eine
gute Chance, die Nadel im Heuhaufen zu finden, das Schwarze Loch unter den
vielen normalen Doppelsternsystemen.
Als Mitte Juni 2022 der Gaia-Datensatz 3 (Gaia DR3) veröffentlicht wurde, der
erstmals die Bahndaten der mit Gaia entdeckten Doppelsternsysteme
enthält, machten sich Kareem El-Badry, MPIA-Direktor Hans-Walter Rix und seine
Kollegen direkt daran, die Daten nach möglichen Kandidaten zu durchsuchen. Wo
zwei Objekte einander als Doppelsternsystem umkreisen, beschreibt jedes davon in
der Regel eine kleine Ellipse am Himmel. Gaia DR3 enthält Daten für 168.065
solcher winzigen Ellipsen oder Teile davon. Anhand von Auswahlkriterien, die
besonders geeignet waren, Systeme zu finden, in dem sich ein leuchtender Stern
sowie ein massereicher unsichtbarer Begleiter umkreisen, konnten die Forscher
sechs vielversprechende Kandidaten ausfindig machen. Alle sechs Kandidaten waren
es wert, genauer betrachtet zu werden: mithilfe der
Radialgeschwindigkeitsmessungen, die aus dem Spektrum des Sterns abgeleitet
wurden und die Aufschluss geben über die Bewegung des Sterns direkt auf uns zu
oder von uns weg – also genau jenen Teil, der zu einer Positionsverschiebung am
Himmel noch dazukommt, will man die komplette, dreidimensionale Bewegung des
Sterns dokumentieren.
Eine Reihe von Angaben zu Radialgeschwindigkeiten erhielten die Forschenden
bereits in Form von in astronomischen Archiven vorhandenen Spektraldaten. Und
weil Radialgeschwindigkeiten und Himmelspositions-Verschiebungen sozusagen zwei
Seiten derselben Medaille sind, konnten sie die mithilfe von Gaia
rekonstruierten Sternumlaufbahnen durch die Radialgeschwindigkeits-Werte bereits
auf die Probe stellen. Drei Kandidaten, bei denen die verfügbaren
Radialgeschwindigkeitsdaten der Gaia-Rekonstruktion der Doppelsterne
widersprachen, waren damit aus dem Rennen. Ein weiterer Kandidat fiel heraus,
weil die beste rekonstruierte Umlaufbahn nur sehr schlecht zu den Gaia-Daten
passte – und einer Umlaufzeit entsprochen hätte, die so lang ist, dass Gaia
sie gar nicht erst hätte messen können sollen. Ein fünfter Kandidat ist derzeit
noch im Rennen, aber wartet auf ergänzende Spektralmessungen.
Bei dem verbleibenden Kandidatenobjekt, Gaia DR3 4373465352415301632, das die
Forscher "Gaia BH1" tauften, passte dagegen alles zusammen: Alle verfügbaren
Daten waren wechselseitig stimmig. Um zusätzliche Gewissheit zu erlangen,
führten die Astronomen weitere gezielte Beobachtungen von Gaia BH1 durch: mit
dem 6,5-Meter-Magellan-Clay-Teleskop, dem 8,1-Meter-Gemini-Nord-Teleskop, dem
10-Meter-Keck-I-Teleskop und – für den Löwenanteil der neuen Datenpunkte – mit
dem 2,2-Meter-ESO/MPG-Teleskop, welches das MPIA am La Silla-Observatorium der
ESO betreibt. Alles spricht dafür: Gaia BH1 ist ein System mit einem
unsichtbaren Objekt mit einer Masse von rund zehn Sonnenmassen, welches einen
sonnenähnlichen Stern mit einer Umlaufzeit von 185,6 Tagen umkreist. Der Abstand
zwischen Stern und Begleiter entspricht in etwa dem durchschnittlichen Abstand
zwischen Erde und Sonne. Würde es sich bei dem 10-Sonnenmassen-Objekt um einen
anderen Stern handeln, wäre dieser zwangsläufig viel heller als sein Begleiter.
Stattdessen zeigen weder die Gaia-Daten noch Folgebeobachtungen Licht eines
solchen zweiten Sterns.
Damit ist Gaia BH1 ein hervorragender Kandidat für ein Schwarzes Loch – und
zwar mit einer Entfernung von rund 1560 Lichtjahren von der Erde für das bei
weitem erdnächste Schwarze Loch, das Astronomen und Astronominnen bisher
gefunden haben, weniger als halb so weit entfernt wie der bisherige
Rekordhalter. Die Gaia-Daten waren entscheidend für die neue Entdeckung.
"Hunderte von Forschern haben an der Erstellung der Datenprodukte gearbeitet,
mit deren Hilfe wir das schwarze Loch Gaia BH1 gefunden haben. Diese Entdeckung
gehört nicht nur uns, sondern auch der gesamten Gaia-Kollaboration", so El-Badry.
Statistisch gesehen ist der Umstand, dass dieses Schwarze Loch uns so nahe ist,
ein starkes Indiz dafür, dass es in der gesamten Galaxie zahlreiche ähnliche
Systeme geben sollte. Was "zahlreich" genau bedeutet, ist allerdings nicht so
einfach zu sagen. Das Team um El-Badry schätzt jedoch, dass die nächste große
Gaia-Datenveröffentlichung, DR4, die nicht vor Ende 2025 erwartet wird, die
Entdeckung von Dutzenden ähnlicher Systeme ermöglichen sollte.
"Ich habe in den letzten vier Jahren nach einem System wie Gaia BH1
gesucht und dabei alle möglichen Methoden ausprobiert – aber keine davon hat
funktioniert. Umso mehr freue ich mich, dass diese Suche jetzt endlich
erfolgreich war," so El-Badry rückblickend. "Dieses Projekt ist auch deshalb so
aufregend, weil unser Erfolgschancen zunächst völlig unklar waren. Die
theoretischen Abschätzungen dafür, wie viele Objekte wir mit Gaia
würden finden können, unterschieden sich um viele Größenordnungen. Ein einziges
Objekt analysieren zu können ist schon einmal ein großer Fortschritt gegenüber
der Situation, in der wir noch kein einziges solches Objekt hatten. Jetzt müssen
wir dieses Objekt so gut wie irgend möglich verstehen und uns gleichzeitig auf
die deutlich größeren Stichproben in zukünftigen Gaia-Datenveröffentlichungen
vorbereiten."
Gaia BH1 ist ein spektakulärer, aber gleichzeitig auch ein rätselhafter Fund.
Es ist alles andere als einfach zu erklären, wie ein solches System überhaupt
entstehen konnte. Der Vorgängerstern, der später zum Schwarzen Loch wurde,
müsste eine Masse von mindestens 20 Sonnenmassen gehabt haben. Daraus folgt
zwingend, dass seine Lebensdauer sehr kurz gewesen sein muss, in der
Größenordnung von wenigen Millionen Jahren. Wären beide Sterne gleichzeitig
entstanden, hätte sich dieser massereiche Stern in einen Überriesen verwandelt,
der sich aufbläht und sich bis weit über die gemeinsame Umlaufbahn der Sterne
hinaus in den Weltraum erstreckt, bevor der andere Stern überhaupt die Zeit
gehabt hätte, ein richtiger ("Hauptreihen"-)Stern mit Wasserstoff-Kernfusion im
Kern zu werden. Es ist überhaupt nicht klar, wie der massereiche Stern diese
Episode in einer Weise überlebt haben könnte, dass er am Ende trotzdem noch so
normal aussieht, wie es die Beobachtungen des Systems zeigen. Alle theoretischen
Modelle, die ein Überleben zulassen, sagen voraus, dass der massereiche Stern
auf einer viel engeren Umlaufbahn hätte landen müssen, als dies tatsächlich
beobachtet wird.
Damit bleiben noch eher ungewöhnliche Entstehungsszenarien übrig. Die beiden
ursprünglichen Sterne könnten sich beispielsweise als Teil eines Sternhaufens
gebildet haben. Zu Beginn wären sie in diesem Szenario wesentlich weiter
voneinander entfernt gewesen, so dass die Überriesenphase des massereichen
Sterns die Entwicklung des zweiten Sterns nicht gestört hätte. Enge Begegnungen
des Systems mit weiteren Sternen des Haufens könnten die Umlaufbahn dann später
auf ihre heutige, viel kleinere Größe verändert haben. Alternativ ist möglich,
dass das System gar nicht aus zwei, sondern aus drei Komponenten besteht: Zwei
massereiche Sterne anstelle von einem, die eng umeinander umlaufen, und
zusätzlich noch der Stern mit einer einzigen Sonnenmasse, der das massereiche
Paar in einem größeren Abstand umkreist.
Die beiden massereichen Sterne könnten sich in solch einer Situation
gegenseitig daran hindern, zu Überriesen zu werden. Das 10-Sonnenmassen-Objekt
wäre dann nicht ein einzelnes Schwarzes Loch, sondern ein Paar sich eng
umkreisender Schwarzer Löcher. Da die Gravitation eines solchen doppelten
Schwarzen Lochs etwas anders auf den masseärmeren Stern wirken würde als bei
einem einzelnen Schwarzen Loch, könnten zukünftige genauere Beobachtungen diese
Möglichkeit bestätigen oder ausschließen.
Über ihre Entdeckung berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
erscheinen wird.
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