Auf dem Weg zu Trojanern und Hellenen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
18. Oktober 2021
Am Samstagvormittag ist von Cape Canaveral aus eine
ungewöhnliche NASA-Mission ins Sonnensystem gestartet: Lucy soll
erstmals Trojaner-Asteroiden besuchen, die sich auf der Jupiterbahn befinden.
Sie unterscheiden sich vermutlich deutlich von den Objekten im
Asteroiden-Hauptgürtel und dürften der Forschung viel über die Anfänge des
Sonnensystems verraten.

Start der Mission Lucy am Samstag von Cape
Canaveral aus.
Foto: NASA / Bill Ingalls [Großansicht] |
Asteroiden gelten als Zeitzeugen der Entstehung von Planeten und können
Aufschluss über die Entwicklung der Planeten unseres Sonnensystems geben. Das
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist an der Mission Lucy
wissenschaftlich beteiligt. Die Sonde wird nach einer mehrjährigen Reise zum
ersten Mal sogenannte Trojaner-Asteroiden besuchen. Das sind kleine Planetoiden,
die ihren Platz im Sonnensystem vor über vier Milliarden Jahren in zwei Regionen
auf der Bahn des Jupiter gefunden haben.
Im Gegensatz zu den vielen Hunderttausenden Asteroiden im Hauptgürtel
zwischen Mars und Jupiter wird vermutet, dass es sich bei diesen Körpern in mehr
als 700 Millionen Kilometern Entfernung zur Sonne um Asteroiden handelt, die
ihren Ursprung jenseits der Jupiterbahn haben. "Das macht diese 'Zeitkapseln'
für eine genauere Untersuchung sehr interessant", freut sich Dr. Stefano Mottola
vom DLR-Institut für Planetenforschung auf die Mission, an der er
wissenschaftlich beteiligt ist. "Wir erhoffen uns bedeutende neue Kenntnisse
über die früheste Zeit des Sonnensystems und die Entstehung der Planeten."
Allerdings benötigt das 14-köpfige wissenschaftliche Kernteam dafür einiges
an Geduld. Denn nach dem Start wird Lucy, die "Wunderbare" nach einem
Wort in einem äthiopischen Dialekt und benannt nach dem "Urmenschen", einem drei
Millionen Jahre alten fossilen Skelett, das 1974 in Äthiopien ausgegraben wurde,
auf einer verschlungenen Bahn durch das innere Sonnensystem erst 2027 die
Trojaner-Asteroiden auf der Jupiterbahn erreichen. Zuvor wird sie im April 2025
den vier Kilometer großen Hauptgürtel-Asteroiden Donaldjohanson passieren, der
den Namen von einem der beiden Entdecker des "Urmenschen" Lucy trägt.
Die beim Start etwa anderthalb Tonnen schwere Raumsonde führt drei
wissenschaftliche Instrumente mit sich, mit denen die Zielasteroiden
fotografisch erfasst, sowie ihre chemischen-mineralogische Zusammensetzung und
physikalische Parameter mit verschiedenen Spektrometern ermittelt werden.
Lucy ist die 13. Mission der sehr erfolgreichen NASA-Discovery-Klasse,
spezialisierten und vergleichsweise kleinen und organisatorisch "schlanken"
Raumfahrtmissionen. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Hal Levison und
Cathy Olkin vom Southwest Research Institute in Boulder im
US-Bundesstaat Colorado. Das Goddard Spaceflight Center der NASA in
Greenbelt im US-Bundesstaat Maryland steuert die Mission. Das DLR ist mit Dr.
Stefano Mottola vom Berliner Institut für Planetenforschung als Mitglied des
Wissenschaftsteams von Lucy beteiligt. Mottola wirkte auch maßgeblich
an den Missionen Rosetta, Dawn und Hayabusa2/MASCOT
mit.
"Während der Missionsvorbereitung zu Lucy war mein Schwerpunkt die
Untersuchung der Zielkörper mit erdgestützten Teleskopen, um von ihnen
Lichtkurven zu erhalten", erklärt Mottola eine seiner Aufgaben im Team. "Durch
diese Beobachtungen können wir die Vorbeiflüge optimieren". Im Laufe seiner
Karriere war Mottola an der teleskopischen Entdeckung von Hunderten von
Asteroiden beteiligt. "Außerdem werden wir nach der Ankunft durch Berechnungen
von Körperformen, Bildmosaiken, Atlanten und der Kartierung von Helligkeiten und
Zusammensetzung die Mission begleiten. Aus den Daten der Navigationskameras wird
dann die genaue Gestalt der Asteroiden abgeleitet." Ferner wird Dr. Martin
Pätzold von der Universität Köln, gefördert von der Raumfahrtagentur im DLR,
über die Auswertung des Funkverkehrs (Rot- und Blauverschiebung, also Dehnung
und Stauchung der Funkwellen durch den Doppler-Effekt) Masse und Aufbau der
Asteroiden untersuchen.
Bei den Trojanern handelt es sich um eine besondere Gruppe von Asteroiden,
kleine Körper bis zu 250 Kilometer Durchmesser, die in Regionen angesiedelt
sind, die auf der Jupiterbahn dem Planeten in einem festen Abstand vorauslaufen
beziehungsweise nachfolgen. Es sind die Positionen im Raum eines
Zweikörpersystems – wie hier eben Sonne und Jupiter –, an denen sich Anziehungs-
und Fliehkräfte die Waage halten. Die insgesamt fünf Punkte, von Lagrange-1 (L1)
bis Lagrange-5 (L5), sind nach dem italienisch-französischen Astronomen und
Mathematiker Joseph-Louis de Lagrange (1736-1813) benannt. Zwei dieser
Lagrange-Punkte, L4 und L5, sind immer stabil und bilden ein gleichschenkliges
Dreieck mit 60-Grad-Winkeln zu Sonne und Jupiter.
In der realen Welt befinden sich die Trojaner beziehungsweise Hellenen nicht
genau auf diesen beiden Punkten, sondern umkreisen sie in unterschiedlichen
Entfernungen, sodass sie quasi eine Wolke von Asteroiden bilden. Heute sind
knapp zehntausend dieser Objekte bekannt, es werden aber, wie im
Asteroiden-Hauptgürtel, bis zu einer Million von ihnen vermutet. Diese sind aber
wegen ihrer dunklen Oberfläche und geringen Größe sehr schwer mit Teleskopen zu
entdecken.
Die Internationale Astronomische Union (IAU) hat noch eine weitere Anleihe
bei der Ilias, der berühmten antiken Sage des Homer, die den Kampf um Troja zum
Inhalt hat, genommen: Sie bezeichnete die dem Jupiter vorauslaufenden Asteroiden
als Lager der "Hellenen" mit den Namen der griechischen Helden. Dementsprechend
wurden die hinterherlaufenden Asteroiden als "Trojaner" benannt, mit den Namen
der Heroen aus der kleinasiatischen Stadt. Da inzwischen alle in der Ilias
auftauchenden Namen an Trojaner-Asteroiden vergeben sind, werden neu entdeckte
Körper von der IAU jetzt nach modernen "Helden" benannt, großen Athleten der
Olympischen und Paralympischen Spiele der Neuzeit.
Es ist das erste Mal, dass Körper, die an Lagrange-Punkten entlang einer
Planetenbahn um die Sonne kreisen, Besuch von einer Raumsonde bekommen. Jupiter
selbst spielt bei der Mission keine Rolle: Er wird in beiden Missionsphasen
viele hundert Millionen Kilometer von Lucy entfernt sein. In der
Planetenforschung hatten die Trojaner-Asteroiden seit Jahren als neues Ziel
höchste Priorität: Die Forscher vermuten, dass diese Trojaner im Gegensatz zu
den Hauptgürtel-Asteroiden weniger mit den Körpern des inneren Sonnensystems
gemein haben, sondern mehr mit den äußeren Regionen unseres Planetensystems.
Denn mit Jupiter, dem größten Planeten des Sonnensystems, beginnt das Reich der
Gasplaneten und ihrer Eismonde.
Noch weiter von der Sonne entfernt, jenseits des Neptun, erstreckt sich das
Ursprungsgebiete der Kometen, jenen Körpern aus Staub und Eis, die ebenfalls
eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems eine
Rolle spielten. Es ist die Zone der "transneptunischen Objekte", zu denen auch
Pluto gezählt wird. So wie die Hauptgürtel-Asteroiden Reste der Bildung der vier
erdähnlichen Planeten sind, dürften die Jupiter-Trojaner Überbleibsel des
Ausgangsmaterials der äußeren Planeten sein, mit Ursprüngen in ganz
unterschiedlichen Sonnenentfernungen.
Am Ziel angekommen im Reich der L4-Asteroiden, den "Hellenen", wird Lucy
die Asteroiden Eurybates (August 2027) mit dem erst letztes Jahr vom Lucy-Team
entdeckten Mond Queta, Polymele (September 2027), Leucus (April 2028) und Orus
(November 2028) aus der Nähe untersuchen. Anschließend wird Lucy wieder
zurück ins innere Sonnensystem zur Erde gelenkt – ein Novum in der Geschichte
der Raumfahrt. Dort wird die Raumsonde mithilfe eines sogenannten
"Gravity-Assist-Manövers" zum L5-Punkt gelenkt, wo Lucy im "Trojanerlager" den
Asteroiden Patroclus mit seinem binären Begleiter Menoetius erreichen wird. Die
nominelle Mission ist dann zu Ende, doch wenn noch Treibstoff und für den
Missionsbetrieb notwendige Ressourcen vorhanden sind, könnte die Mission
verlängert werden: Lucy würde dann nochmal zur Erde zurückkehren um am
Ende des Jahrzehnts erneut in die Asteroidenwolke am L4-Punkt zu fliegen.
Anmerkung der Redaktion: Nach Angaben der NASA ist Lucy
nach dem Start in einem stabilen Zustand. Beide Solarzellenpaneele haben sich
entfaltet und liefern Energie. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass ein
Paneel nicht richtig eingerastet ist. Aktuell sei dadurch die Sicherheit der
Sonde aber nicht beeinträchtigt. Man will nun die Situation weiter analysieren
und dann weitere Schritte planen, mit der die Entfaltung der Paneele
abgeschlossen werden kann.
|