Lebenserhaltungssysteme mit Cyanobakterien
Redaktion
/ Pressemitteilung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen astronews.com
16. Februar 2021
Eine astronautische Mars-Mission würde auch ein ausgefeiltes Konzept für die
Versorgung der Astronautinnen und Astronauten erfordern. Ein Forschungsteam hat
nun einen möglichen Weg aufgezeigt: Cyanobakterien vermehren sich auch unter
Mars-Bedingungen hervorragend und könnten damit eine Basis für biologische
Lebenserhaltungssysteme darstellen.
![Behälter](../../../bilder/2021/2102-013.jpg)
Behälter mit marsähnlicher Atmosphäre, in
dem als Teil von Atmos Cyanobaktierien wachsen.
Foto: ZARM / Universität Bremen [Großansicht] |
Zum Mars fliegt ein Raumfahrzeug je nach Planetenkonstellation mindestens
neun Monate. Neben der langen Anreisezeit machen es zudem die hohen
Sicherheitsaspekte und Transportkosten schwierig, Astronautinnen und Astronauten
auf dem Mars kontinuierlich mit lebenserhaltenden Verbrauchsmaterialien zu
versorgen. Für eine langfristige Explorationsmission müssen also die Ressourcen
auf dem Mars produziert und recycelt werden.
Eine Lösung dafür wären biologische Systeme, genauer bioregenerative
Lebenserhaltungssysteme (BLSS). Mit einem BLSS auf Basis von Cyanobakterien
könnte die Crew auf lokale Ressourcen zurückgreifen und damit die Abhängigkeit
von der Erde stark reduzieren, so Humboldt-Stipendiat Cyprien Verseux vom
Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der
Universität Bremen. Bekannt sind Cyanobakterien vor allem als Blaualgen, die im
Sommer unsere Seen befallen.
Die Bakterien, die zu den ältesten Lebewesen unserer Erde gehören, passen sich
vielen Extrembedingungen gut an und wachsen, indem sie Stickstoff und
Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen und dem Wasser durch z. B. Landwirtschaft
zugeführte Nährstoffe entziehen. Wenn im Sommer die Rahmenbedingungen für die
fälschlicherweise als Algen bezeichneten Bakterien ideal sind, vermehren sich
die Bakterien. Wenn die Konzentration zu hoch ist, sind einige Arten für den
Menschen ungesund, da sie bei Kontakt mit der Haut Allergien auslösen können.
Auf dem Mars kommt allerdings ihr volles Potential zum Tragen, da sie durch
Photosynthese Sauerstoff produzieren – ein für den Menschen überlebenswichtiges
und außerhalb der Erdatmosphäre rares Gut. Diese Fähigkeit findet man zwar bei
fast allen Pflanzen, aber Cyanobakterien können darüber hinaus auf Basis der
Nährstoffe wachsen, die auf dem Mars vorhanden sind. Gespeist mit Marsgestein
und -atmosphäre eignen sie sich als die Grundlage für ein cyanobakterien-basiertes
Lebenserhaltungssystem (CyBLiSS).
Um sich Cyanobakterien auf anderen Planeten zunutze zu machen, wird zunächst
im Labor erforscht, wie sie auf unterschiedliche Umgebungsbedingungen reagieren:
Es muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen marsähnlichen Bedingungen (die
den Bau und Betrieb eines Kultivierungssystems erleichtern würden) und
Bedingungen, die das Wachstum von Cyanobakterien am besten unterstützen.
Atmos (Atmosphere Tester for Mars-bound Organic Systems) ist ein
atmosphärengesteuerter Unterdruck-Photobioreaktor, der im Laboratory for
Applied Microbiology (LASM) am ZARM entwickelt wurde. Mithilfe von
Atmos arbeitete das Forschungsteam in den letzten Monaten daran, die
optimalen atmosphärischen Bedingungen für das Wachstum der Cyanobakterien der
Gattung Anabaena sp zu bestimmen und dabei zugleich die technische Umsetzbarkeit
auf dem Mars zu berücksichtigen.
Die Erdatmosphäre setzt sich aus Stickstoff (78 %) und Sauerstoff (21 %)
sowie jeweils einem kleinen Anteil an Argon und Kohlenstoff zusammen. Die
Marsatmosphäre hingegen besteht zwar aus den gleichen Stoffen, setzt sich aber
nahezu gegensätzlich zusammen, da sie hauptsächlich aus Kohlenstoff (95 %) und
nur kleinen Anteilen von Stickstoff und Argon besteht, sowie nur Spuren von
Sauerstoff enthält. In Atmos wurden nun in verschiedenen Durchläufen
die Anteile der Gase sowie der Umgebungsdruck verändert und die entsprechende
Entwicklung der Bakterien beobachtet. Ziel der Untersuchungen war es, sich so
weit wie möglich der Marsatmosphäre anzunähern, während gleichzeitig noch ein
starkes Wachstum der Cyanobakterien erhalten bleibt.
Als Ergebnis ihrer Forschung der letzten Monate erhielt das Forschungsteam
vielversprechende Antworten: Hauptsächlich konnten sie nachweisen, dass sich die
Cyanobakterien hervorragend vermehrten, wenn sie einer Atmosphäre ausgesetzt
sind, die der Marsatmosphäre nicht unähnlich ist – und zwar sowohl im Hinblick
auf die Gase (4 % Kohlenstoff; 96 % Stickstoff) als auch dem atmosphärischen
Druck (100 hPa). Das erreichte Wachstum hat die Erwartungen sogar deutlich
übertroffen. Dies ist insofern vielversprechend, als dass es die
technisch-logistische Umsetzung eines auf der Marsoberfläche befindlichen
CyBLiSS erheblich erleichtert.
Zum einen, da dann der Druckunterschied zwischen Innen- und Außenseite des
Photobioreaktors nur gering ist und somit weniger hohe Ansprüche an die Statik
der Konstruktion gestellt werden. Zum anderen, weil es möglich wäre, die
benötigte Gasphase mit minimaler Verarbeitung aus der lokalen Atmosphäre zu
erzeugen. Sonstige fehlende Nährstoffe für das Wachstum der Bakterien können
ebenfalls vor Ort aus Marsgeröll (Regolith) gewonnen werden: Das Team zeigte,
dass die Cyanobakterien in der modifizierten Atmosphäre in Wasser auf einem
simulierten Marsboden ohne zusätzliche Nährstoffe wachsen konnten.
Als weiteres Forschungsergebnis haben die Untersuchungen der entstandenen
Biomasse gezeigt, dass diese als Substrat für nachfolgende Module von
Lebenserhaltungssysteme geeignet ist, um auf dem Mars weitere Ressourcen zu
generieren.
Das Forschungsteam vom ZARM freut sich darüber, dass die atmosphärischen
Bedingungen, die die technische und logistische Machbarkeit von Cyanobakterien-Kultursystemen
auf dem Mars verbessern, die von der Biologie diktierten Anforderungen erfüllen
können. Damit rückt die Umsetzung eines CyBLiSS weiter ins Zentrum der
potentiellen Mars-Lebenserhaltungssysteme bei zukünftigen Mars-Missionen.
Mit diesen ersten Ergebnissen beginnt die Arbeit im LASM allerdings erst so
richtig. In den nächsten Monaten werden Verseux und sein Team das CyBLiSS-Design
verfeinern, um sowohl die Fähigkeiten, Cyanobakterien auf dem Mars zu züchten,
als auch ihre Verwendung zur Produktion von Nährstoffen für biologische
Organismen in nachfolgenden BLSS-Modulen zu verbessern.
Über ihre Studie berichtete das Team in einem Fachartikel, der jetzt in der
Zeitschrift Frontiers Microbiology erschienen ist.
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