Suche nach seltenem Betazerfall
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Excellence Cluster "Universe" astronews.com
6. April 2017
Warum gibt es im Universum mehr Materie als Antimaterie? Die
Ursache dafür vermuten Physiker in den Eigenschaften des Neutrinos: Die
Elementarteilchen könnten ihre eigenen Antiteilchen sein. Wenn dies aber so ist,
müsste es einen sehr seltenen radioaktiven Zerfall geben, den neutrinolosen
doppelten Betazerfall. Mit dem Experiment GERDA soll er nachgewiesen werden.
Blick von unten in das GERDA-Experiment: Zu
erkennen sind die Faserhülle des
Flüssigargon-Vetos und der Kupferkopf, an dem die
Aufhängung mit Germanium-Detektoren befestigt
wird.
Foto: V. Wagner/GERDA Collaboration [Großansicht] |
Neutrinos sind sehr schwer nachzuweisende Teilchen. Sie spielen eine wichtige
Rolle in Prozessen in der Sonne, bei Supernova-Explosionen und der Entstehung
der ersten Elemente im Universum. Die Erforschung ihrer Eigenschaften hat unser
Verständnis dieser Elementarteilchen deutlich erweitert – wie etwa die vier
Nobelpreise für Neutrino-Forschung belegen.
Eine grundlegende Frage ist allerdings noch offen: Sind Neutrinos sogenannte
Majorana-Teilchen, also ihre eigenen Antiteilchen? In diesem Fall müsste ein
neutrinoloser doppelter Betazerfalll existieren. Die theoretische Physik liefert
dafür starke Argumente, und auch das Fehlen von Antimaterie im Universum ließe
sich auf die Majorana-Natur des Neutrinos zurückzuführen.
Der "normale" doppelte Betazerfall ist ein seltenes Ereignis. Dabei zerfallen
zwei Neutronen gleichzeitig in zwei Protonen, zwei Elektronen und zwei
Antineutrinos. Er wurde bei einigen Kernen wie Germanium-76 nachgewiesen, bei
denen kein einfacher Beta-Zerfall möglich ist. Die Elektronen und Antineutrinos
verlassen den Kern, wobei sich nur die Elektronen nachweisen lassen. Dagegen
verlassen beim neutrinolosen doppelten Betazerfall keine Neutrinos den Kern und
die Summe der Energien der Elektronen entspricht einem gut bekannten Wert.
Dessen Messung ist der entscheidende Nachweis dieses Zerfalls.
Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen für unser Verständnis der
Elementarteilchen und der Kosmologie gibt es weltweit rund ein Dutzend
Experimente, die mit unterschiedlichen Techniken und Isotopen nach dem
neutrinolosen doppelten Betazerfall suchen. Das GERDA-Experiment ist eines der
führenden Experimente auf diesem Gebiet und wird von einem europäischen
Forschungsverbund durchgeführt. Es befindet sich im Untergrundlabor
Laboratori Nazionali del Gran Sasso der italienischen Forschungseinrichtung
INFN.
GERDA arbeitet mit hochreinen Germaniumdetektoren, die mit dem Isotop
Germanium-76 angereichert sind. Germanium ist gleichzeitig das Material für die
Quelle des Zerfalls und für den Detektor zum Nachweis. Außerdem werden nur
wenige zusätzliche Materialien benötigt; das führt zu einem geringen Untergrund
und einer hohen Nachweiseffizienz. Die ausgezeichnete Energieauflösung der
Detektoren und die neuartigen experimentellen Techniken haben zu einer bisher
unerreichten Unterdrückung von Störereignissen geführt.
Da die Halbwertszeit für den neutrinolosen doppelten Betazerfall-Zerfall um
viele Größenordnungen größer ist als das Alter des Universums, ist die
Reduzierung von Untergrundereignissen entscheidend für die
Nachweisempfindlichkeit des Experiments. Die Germaniumdetektoren werden in einem
64 Kubikmeter großen Behälter betrieben, der mit flüssigem Argon mit einer
Temperatur von minus 186 Grad Celsius gefüllt ist. Dieser befindet sich in einem
590 Kubikmeter großen Tank mit hochreinem Wasser. Dieser Aufbau wird vom
Bergmassiv des Gran Sasso vor kosmischer Strahlung abgeschirmt.
Das verwendete Argon und Wasser eignen sich gut zur Abschirmung der
natürlichen Radioaktivität der Umgebung. Aufgrund ihrer Reinheit tragen sie
selbst nur geringfügig zum Untergrund bei. Die Instrumentierung mit
lichtempfindlichen Detektoren in beiden Flüssigkeiten bietet weitere
Möglichkeiten für die Identifizierung von Untergrund. Mittels dieser
Innovationen konnten Untergrundereignisse so weit reduziert werden, dass GERDA
nun das erste Untergrund-freie Experiment auf diesem Gebiet ist.
In den ersten fünf Monaten der Messlaufzeit wurde kein neutrinoloser
doppelter Betazerfall registriert, woraus sich eine neue untere Grenze für die
Halbwertszeit des Zerfalls von 5x1025 Jahre ableiten lässt. Bis zum
Ende der Messungen im Jahr 2019 sollte sich im entscheidenden Energiebereich
kein Untergrundsignal zeigen und sich die Messempfindlichkeit auf 1026
Jahre erhöhen. GERDA ist somit bestens gerüstet, das Signal eines neutrinolosen
doppelten Betazerfalls zu messen, das sich durch eine geringe Anzahl von
Ereignissen im erwarteten Energiebereich zeigen würde.
GERDA ist ein europäischer Zusammenschluss von über 100 Physikerinnen und
Physikern aus Deutschland, Italien, Russland, der Schweiz, Polen und Belgien. In
Deutschland sind die Technische Universität Dresden, die Max-Planck-Institute
für Kernphysik und für Physik, die Technische Universität München sowie die
Eberhard-Karls-Universität Tübingen beteiligt.
Über die Fortschritte beim GERDA-Experiment berichtet das Team in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift Nature erschienen ist.
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