Bislang kein Hinweis auf Majorana-Eigenschaft
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Kernphysik astronews.com
17. Juli 2013
Mithilfe eines technisch aufwendigen Experiments in einem
Untergrundlabor in Gran Sasso versuchen Wissenschaftler herauszufinden, ob
Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind. Nach Abschluss der ersten Phase
stellten die Forscher nun ihre Ergebnisse vor: Bislang gibt es keinen Hinweis
auf die gesuchte Eigenschaft der Neutrinos.
Das Modell des GERDA-Experiments zeigt den
schalenartigen Aufbau, bei dem zur Unterdrückung
störender Signale aus der Umgebung von außen nach
innen immer reinere Materialien eingesetzt sind.
Die Germaniumdioden im Inneren des mit 64.000
Liter flüssigem Argon mit einer Temperatur von
minus 186 Grad Celsius gefüllten Kryostaten sind
vergrößert dargestellt.
Bild: MPIK |
Neutrinos sind neben Photonen die häufigsten Teilchen im Universum. Sie
werden oft "Geisterteilchen" genannt, weil sie extrem selten mit Materie
wechselwirken. Daher sind sie ein unsichtbarer, aber bedeutender Bestandteil des
Universums und könnten etwa genauso viel zur Masse wie alle anderen bekannten
Formen von Materie beitragen; dabei bewegen sie sich mit nahezu
Lichtgeschwindigkeit über phantastische Entfernungen. Außerdem haben ihre
winzigen Massen wichtige Folgen für die Strukturen im Universum, und sie sind
die treibende Kraft bei der Explosion von Supernovae.
Ihre bemerkenswerteste und wichtigste Eigenschaft aber wurde von Ettore
Majorana in den 1930er Jahren vorgeschlagen: Im Gegensatz zu allen anderen
Teilchen, aus denen die uns umgebende Materie besteht, könnten sie ihre eigenen
Antiteilchen sein. Mithilfe von GERDA (GERmanium Detector Array) Experiment, das
im Untergrundlabor Laboratori Nazionali del Gran Sasso des Istituto
Nazionale di Fisica Nucleare in Italien betrieben wird, wollen
Wissenschaftler klären, ob dies tatsächlich der Fall ist und zudem die Masse der
Neutrinos bestimmen.
GERDA untersucht so genannte Doppelbeta-Zerfallsprozesse des
Germanium-Isotops Ge-76 mit und ohne Emission von Neutrinos – letzterer ist eine
Konsequenz der Majorana-Eigenschaft. Beim normalen Betazerfall zerfällt ein
Neutron in einem Kern in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino. Für
Kerne wie Ge-76 ist dieser Zerfall energetisch verboten, aber die gleichzeitige
Umwandlung von zwei Neutronen unter Emission zweier Neutrinos ist möglich und
wurde kürzlich von GERDA mit bisher unerreichter Präzision gemessen.
Es handelte sich um einen der seltensten jemals beobachteten Zerfälle mit
einer Halbwertszeit von etwa 2 mal1021 Jahren - das rund
100-milliardenfache Alter des Universums. Falls Neutrinos Majorana-Teilchen,
also ihre eigenen Antiteilchen sind, sollte der Doppelbetazerfall ohne Emission
von Neutrinos ebenfalls stattfinden, und zwar mit einer noch geringeren Rate. In
diesem Fall wird das Antineutrino des einen Betazerfalls vom zweiten
beta-zerfallenden Neutron als Neutrino absorbiert, was nur möglich ist, wenn
Neutrino und Antineutrino identisch sind.
Bei GERDA sind Germaniumkristalle zugleich Quelle und Detektor des Zerfalls.
Natürliches Germanium enthält nur rund acht Prozent Ge-76, das man deshalb um
mehr als das 10-fache anreicherte, bevor daraus die speziellen Detektorkristalle
gezogen wurden. Die sprichtwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist eine
Kleinigkeit gegenüber dem Nachweis des Doppelbetazerfalls, weil die
Radioaktivität der Umgebung milliardenfach stärker ist. Die Detektorkristalle
für GERDA und die sie umgebenden Teile wurden daher sehr sorgfältig ausgewählt
und verarbeitet.
Zur Beobachtung des äußerst seltenen Prozesses sind außerdem sehr ausgefeilte
Techniken erforderlich, um den Hintergrund von kosmischen Teilchen, natürlicher
Radioaktivität der Umgebung und sogar dem Experiment selbst weiter zu
unterdrücken. Den Wissenschaftlern gelingt dies, indem sie die Detektoren in der
Mitte einer riesigen "Thermoskanne" betreiben, die mit extrem reinem flüssigem
Argon gefüllt, mit hochreinem Kupfer ausgekleidet und von einem mit Reinstwasser
gefüllten Tank von 10 Meter Durchmesser umgeben ist. Der ganze Aufbau befindet
sich zudem unter 1400 Metern Gestein.
Erst die Kombination all dieser innovativen und bahnbrechenden Techniken
ermöglichte es, das "Hintergrundrauschen" auf ein rekord-tiefes Niveau zu
senken. Im Herbst 2011 starteten die Messungen mit zunächst acht Detektoren von
der Größe einer Getränkedose und jeweils etwa zwei Kilogramm Gewicht; später
kamen fünf weitere Detektoren neuer Bauart hinzu. Bis vor kurzem war der
Signalbereich in den Daten ausgeblendet und die Physiker konzentrierten sich auf
die Optimierung des Verfahrens zur Datenanalyse. Jetzt hat das Experiment aber
seine erste Phase abgeschlossen.
Die sorgfältige Analyse ergab kein Signal des neutrinolosen
Doppelbetazerfalls in Ge-76, was zu der weltbesten Untergrenze für dessen
Lebensdauer von 2,1 mal 1025 Jahren führt. Zusammen mit den
Ergebnissen anderer Experimente schließt dieses Resultat eine frühere
Behauptung, ein Signal gefunden zu haben, aus. Damit bleibt zwar die Frage
derzeit noch offen, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind, die neuen
Resultate dürften aber trotzdem schon interessante Konsequenzen für das Wissen
über Neutrinomassen, Erweiterungen des Standardmodells der
Elementarteilchenphysik, astrophysikalische Prozesse und Kosmologie haben.
In einem nächsten Schritt sollen nun zusätzliche neu hergestellte Detektoren
eingesetzt und damit die Menge von Ge-76 in GERDA verdoppelt werden. Sobald
einige weitere Verbesserungen zur noch stärkeren Hintergrundunterdrückung
umgesetzt sind, soll eine zweite Messphase folgen.
GERDA ist eine europäische Kollaboration, die Wissenschaftler aus 16
Forschungsinstituten oder Universitäten in Deutschland, Italien, Russland, der
Schweiz, Polen und Belgien umfasst. In Deutschland sind die Max-Planck-Institute
für Kernphysik in Heidelberg und für Physik in München, die Technische
Universität München, die Universität Tübingen und die Technische Universität
Dresden beteiligt. Die Max-Planck-Gesellschaft ist wesentlicher Geldgeber des
Projekts; die Universitäten werden vom BMBF und der DFG unterstützt.
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