Das Antiteilchen des Neutrinos
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
8. Februar 2011
Durch einen präzisen Massenvergleich von Isotopen gelang es Teilchenphysikern
jetzt neue Informationen über einen äußerst seltenen Kernumwandlungsprozess zu
gewinnen. Dieser könnte helfe, die Frage zu klären, ob das Neutrino sein eigenes
Antiteilchen ist. Dies hätte weitreichende
Konsequenzen für die Teilchenphysik und die Kosmologie.
Eine Waage für
schwere Atome: In der SHIPTRAP werden
Gadolinium-152-Ionen abgebremst und mit
elektrischen und magnetischen Feldern in einer
Penning-Falle auf eine Kreisbahn gezwungen.
Michael Block vom GSI-Helmholtzzentrum Darmstadt
überprüft die Spannungen an den Elektroden der
Falle. Ein supraleitender Magnet in der weißen
Trommel erzeugt das nötige Magnetfeld.
Foto: Gabi Otto / GSI-Helmholtzzentrum
Darmstadt [Großansicht] |
Eine der Grundfragen der Kosmologie ist, warum es nach dem Urknall mehr
Materie als Antimaterie gab, so dass außer bloßer Strahlung überhaupt
etwas übrig geblieben ist, um Galaxien, Sterne, Planetensysteme,
Lebewesen und schließlich unsere eigene Existenz zu ermöglichen. Das
theoretische Verständnis hierzu ist mit den Eigenschaften von Neutrinos
verbunden, jenen elektrisch neutralen Teilchen, die mit der übrigen
Materie nur sehr schwach wechselwirken und diese nahezu ungehindert
durchdringen.
Man weiß auch, dass es drei Sorten von Neutrinos gibt, die eine - wenn auch
sehr kleine - voneinander verschiedene Masse besitzen, was unter anderem zur
Folge hat, dass sie sich ineinander umwandeln können (ein Prozess, den die
Wissenschaftler als Neutrino-Oszillationen bezeichnen). Unbekannt sind aber noch
die absoluten Werte der Neutrinomassen und man weiß auch nicht, ob Neutrinos ihre
eigenen Antiteilchen sind.
Teilchen mit einer solchen Eigenschaft nennt man Majorana-Fermionen, benannt nach dem italienischen Physiker Ettore
Majorana, der nicht nur durch seine Beiträge zur theoretischen
Teilchenphysik, sondern auch durch sein mysteriöses Verschwinden im Jahr
1938 in die Geschichte einging. Solche Teilchen müssten elektrisch
neutral sein, denn das jeweilige Antiteilchen trüge anderenfalls die
entgegengesetzte Ladung und wäre dadurch unterscheidbar. Wegen der
grundsätzlichen Konsequenzen der Majorana-Eigenschaft für die
Teilchenphysik und Kosmologie bemühen sich Forscher intensiv darum, diese
experimentell zu testen.
Ein möglicher Nachweis wäre die Beobachtung des neutrinolosen Doppel-Betazerfalls, wonach seit
Kurzem im
GERDA-Experiment im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor unter
Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) gesucht wird. Hier zerfallen
normalerweise zugleich zwei Neutronen eines Germanium-Atomkerns in zwei
Protonen unter Aussendung zweier Elektronen und zweier Antineutrinos.
Als Majorana-Fermion kann aber das Antineutrino aus dem Zerfall des
einen Neutrons als Neutrino von dem anderen Neutron gleich wieder
verschluckt werden, so dass nur die beiden Elektronen beobachtet würden.
Ein solcher neutrinoloser Prozess ist sehr unwahrscheinlich und es
bedarf eines großen experimentellen Aufwandes, um ihn überhaupt aus der
Fülle von Hintergrundereignissen zu isolieren. Es gibt aber noch einen
weiteren Zerfallsprozess, bei welchem umgekehrt zwei Elektronen aus der
Atomhülle von zwei Protonen des Kerns quasi verschluckt werden, welche
sich dabei in zwei Neutronen umwandeln und zwei Neutrinos aussenden. Die Forscher sprechen hier vom Doppeleinfang und hätte das
Neutrino die Majorana-Eigenschaft, wäre auch der neutrinolose
Doppeleinfang möglich.
Allerdings ist ein solcher Zerfall noch wesentlich unwahrscheinlicher als der neutrinolose Doppelbetazerfall und somit sein Nachweis
praktisch aussichtslos - mit einer Ausnahme, auf die Forscher am Genfer CERN
bereits in den 1980er Jahren hingewiesen haben: Wenn die Zerfallsenergie, also
die Energiedifferenz zwischen Anfangs- und Endzustand dieses
Kernprozesses sehr klein ist, würde eine resonante Verstärkung um viele
Zehnerpotenzen erfolgen.
Resonanzen sind uns aus der Musik geläufig und der
Instrumentenbauer wie der geübte Sänger nutzt sie, um einen tragfähigen
Klang zu erzeugen. Mit Hilfe eines Resonanzeffekts, so hoffen die
Physiker, könnte quasi auch der praktisch unhörbar leise Ton des neutrinolosen Doppeleinfangs im lauten Konzert der Materie nachweisbar
werden. Wie aber misst man nun Energiedifferenzen so genau, dass man
über diese Möglichkeit eine Aussage machen kann?
Hier hilft den
Forschern um Klaus Blaum und Sergey Eliseev die von Einstein formulierte
Äquivalenz von Masse und Energie - ausgedrückt in der berühmten Formel E=mc2. Im Prinzip brauchen sie nur Mutter- und Tochternuklid des in
Frage kommenden Prozesses auf die Waage zu legen. Dies versuchten die
Wissenschaftler nun mit einem Gadolinium-Isotop mit der Massenzahl 152 (Gd-152), welches über
Doppeleinfang neutrinolos in das Samarium-Isotop Sm-152 zerfallen könnte.
Dies funktioniert aber nur, wenn bei dem Zerfall überhaupt Energie frei wird,
worüber bisherige Messungen keine zuverlässige Auskunft gaben.
Die
Gruppe von Klaus Blaum hat nun in Kooperation mit Forschern von der
Universität Heidelberg und acht weiteren Instituten an der
SHIPTRAP-Apparatur des GSI-Helmholtzzentrums in Darmstadt die Massen von
Gd-152 und Sm-152 mit bisher nicht erreichter Präzision bestimmt. Hierzu wurde
die kreisende Bewegung einfach geladener Gd- bzw. Sm-Ionen im Magnetfeld einer
speziellen Ionenfalle vermessen und aus der daraus gewonnenen Massendifferenz
auf die gesuchte Energiedifferenz zwischen Mutter- und Tochternuklid
geschlossen.
Mit Hilfe von zusätzlichen theoretischen Rechnungen etwa über die Bindungsenergie der Elektronen
gelang es, einen aussagekräftigen
Wert für die Wahrscheinlichkeit des neutrinolosen Doppeleinfangs zu
gewinnen. Als Zerfallsenergie ergab sich ein eindeutig
positiver Wert. Die daraus
resultierende resonante Verstärkung gegenüber dem Zerfall des
Eisen-Isotops Fe-54 als Bezugspunkt beträgt fast sieben Zehnerpotenzen.
Mit der Größenordnung von 1026 Jahren ist die berechnete
Halbwertszeit die kürzeste unter den bekannten neutrinolosen
Einfangprozessen. Gadolinium-152 könnte damit nach Ansicht der
Wissenschaftler ein
vielversprechender Kandidat für zukünftige Untersuchungen sein.
Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in einem Fachartikel in der
Zeitschrift Physical Review Letters.
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