Der Natur des Neutrinos auf der Spur
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
20. Februar 2012
Ist das Neutrino sein eigenes Antiteilchen? Diese faszinierende
Eigenschaft ließe sich durch den Nachweis einer bestimmten Variante des Betazerfalls
beweisen. Neue präzise Messungen der Zerfallsenergie von Palladium-110
lassen dieses Isotop nun als vielversprechenden Kandidaten für
entsprechende Experimente erscheinen.
Illustration des Doppelbetazerfalls, bei dem
zwei Neutronen in einem Atomkern in je ein Proton
zerfallen. Links der gewöhnliche
Doppelbetazerfall unter Aussendung zweier
Neutrinos (hellgrau), rechts der neutrinolosen
Doppelbetazerfall: Das Neutrino aus einem der
beiden Neutronen wird als Antineutrino wieder
eingefangen und verschmilzt unter Aussendung des
zweiten Elektrons mit dem anderen Neutron zu
einem weiteren Proton.
Bild: MPIK |
In der Neutrinophysik spielt der Betazerfall eine wichtige Rolle. Schon
26 Jahre vor der ersten Beobachtung eines Neutrinos schlug Wolfgang
Pauli 1930 in einem Brief dessen Existenz vor, insbesondere deswegen,
weil die Energie der beim Betazerfall freigesetzten Elektronen ein
kontinuierliches Spektrum zeigt und somit bei Gültigkeit des
Energiesatzes ein weiteres Teilchen die Überschussenergie aufnehmen
müsste. Beim Betazerfall eines Atomkerns wandelt sich ein Neutron unter
Aussendung eines Elektrons und eines Antineutrinos in ein Proton um.
Dabei bleibt die Zahl der Leptonen, zu denen Elektronen und Neutrinos
zählen, erhalten, da Antiteilchen negativ gezählt werden.
Neutrinos haben eine Reihe bemerkenswerter Eigenschaften: Sie sind
elektrisch neutral und wechselwirken mit der übrigen Materie nur sehr
schwach, so dass sie diese nahezu ungehindert durchdringen. Unbekannt
sind aber noch die Absolutwerte der Neutrinomassen und die Frage, ob
Neutrinos sogenannte Majoranateilchen und damit ihre eigenen
Antiteilchen sind. Letzteres hat grundsätzliche Konsequenzen für die
Teilchenphysik und Kosmologie und daher unternehmen Forscher große
Anstrengungen, dies experimentell zu testen.
Ein möglicher Nachweis der Majorana-Eigenschaft wäre die Beobachtung des
neutrinolosen doppelten Betazerfalls. Normalerweise entstehen dabei aus
zwei Neutronen zwei Protonen sowie zwei Elektronen und zwei
Antineutrinos, die den Kern verlassen. Ist aber das Neutrino mit seinem
Antiteilchen identisch, so kann es nach der Entstehung beim Zerfall des
einen Neutrons vom anderen Neutron gleich wieder verschluckt werden, so
dass nur die beiden Elektronen ausgesendet werden und praktisch die
volle Zerfallsenergie mit sich tragen. Ein solcher neutrinoloser Prozess
ist sehr unwahrscheinlich. Die Forscher rechnen mit Halbwertszeiten, die
das Alter des Universums um viele Größenordnungen übersteigen.
Um ihn also überhaupt zu beobachten, bedarf es eines geeigneten
Radionuklids in ausreichender Menge und eines großen experimentellen
Aufwandes, um genau diesen Zerfall aus der Fülle von
Hintergrundereignissen zu isolieren. Ein Beispiel für einen solchen
Versuch ist das GERDA-Experiment im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor.
Untersucht wird dort das Germanium-Isotop mit der Massenzahl 76. Neben
Germanium-76 gibt es aber noch einige wenige weitere Nuklide, die als
Kandidaten für die Suche nach dem neutrinolosen Doppelbetazerfall in
Frage kommen könnten: darunter Palladium-110.
Eine Eingangsgröße in die Berechnung der Halbwertszeit ist die beim
Zerfall freigesetzte Energie. Nach Einsteins Formel E=mc2 ist
diese Energie äquivalent zur Massendifferenz von Mutter- und
Tochternuklid des Zerfalls (zuzüglich der doppelten Elektronenmasse).
Die ISOLTRAP-Kollaboration hat nun mit ihrem Penningfallen-Massenspektrometer
am CERN die Massendifferenz von Palladium-110 und seinem Tochternuklid
Cadmium-110 mit bisher nicht erreichter Genauigkeit ermittelt.
Hierzu wurde die kreisende Bewegung einfach geladener Palladium- und
Cadmium-Ionen im Magnetfeld einer speziellen Ionenfalle vermessen und
aus der daraus gewonnenen Massendifferenz die gesuchte Zerfallsenergie
zu 2017,85 keV (+/- 0,64 keV) bestimmt. Das neue Ergebnis liegt 14 keV
über dem bisherigen Wert; zugleich konnte die Unsicherheit gegenüber dem
besten früheren Wert um fast das 20-fache verringert werden. Der Zerfall
wird neben der freigesetzten Energie entscheidend durch die
Kernstrukturen von Ausgangs- und Tochterkern bestimmt, die sich
berechnen lassen.
Aus diesen Eingangsdaten ergibt sich die Halbwertszeit für den
gewöhnlichen Doppelbetazerfall von Palladium-110 zu 1,5x1020
Jahren. Anschaulich bedeutet diese astronomisch hohe Zahl, dass in einem
Kilogramm Palladium-110 pro Tag etwa 70 gewöhnliche Doppelbetazerfälle
auftreten. Die Halbwertszeit für den neutrinolosen Doppelbetazerfall
hängt zusätzlich von der Neutrinomasse ab, für die bislang nur eine
obere Grenze bekannt ist. Mit den derzeit diskutierten Werten für die
Neutrinomasse ergeben sich 5x1024 bis 1x1025 Jahre
- das wären bei 100 Kilogramm Palladium-110 rund 40 bis 80 neutrinolose
Doppelbetazerfälle pro Jahr.
Trotz dieser kleinen Zahl rückt damit Palladium-110 aufgrund seines
recht hohen Vorkommens (gemessen an der Weltjahresproduktion das
Dreifache von Germanium-76) in den engeren Kreis vielversprechender
Kandidaten für Studien zum doppelten Betazerfall und der Suche nach der
Neutrinomasse, zumal aufgrund der hohen Genauigkeit der neuen
Massenbestimmung der Suchbereich der elektronischen Energien für diese
Ereignisse stark eingeschränkt werden konnte.
Für einen möglichen zukünftigen Detektor mit Palladium-110 müssen
freilich weitere Voraussetzungen erfüllt sein, die nicht Gegenstand der
aktuellen Untersuchungen waren. Hierzu sind vor allem noch Fragen der
radiochemischen Reinigung, Detektionsverfahren und Kontrolle von
Hintergrundereignissen zu klären, die wie bei anderen
Neutrino-Experimenten eine erheblich technische Herausforderung
darstellen.
An den Messungen waren Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik
in Heidelberg, der Universitäten von Dresden und Greifswald sowie des
Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt beteiligt. Die
Wissenschaftler berichteten über ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift
Physical Review Letters.
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