Kosmisches Neutrino mit Rekordenergie
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der RWTH Aachen astronews.com
4. August 2015
Wissenschaftlern ist es gelungen, mit dem
Neutrino-Observatorium IceCube in der Antarktis das höchstenergetischste jemals
gemessene Neutrino zu beobachten. Für die Forscher ist der Fund ein wichtiger
Schritt zur Lösung einer der großen Rätsel der modernen Physik: Aus welchen
Quellen stammt die hochenergetische kosmische Strahlung?

Die IceCube-Zentrale an der
Scott-Amundsen-Station am Südpol.
Bild: Felipe Pedreros,
IceCube/NSF [Großansicht] |
Die Erde wird kontinuierlich von kosmischer Strahlung bombardiert - mit
Teilchen, deren Energien bis zu zehnmillionenfach größer sind als sie in
Teilchenbeschleunigern, wie beispielsweise dem Large Hadron Collider
(LHC), auf der Erde erzeugt werden können. Obwohl diese zumeist aus Atomkernen
bestehende Strahlung schon vor mehr als hundert Jahren entdeckt wurde, sind ihre
astronomischen Quellen immer noch unbekannt.
Die Lösung dieses Rätsel gehört zu den wichtigsten Aufgaben der modernen Physik.
Zur Lösung haben Physiker schon vor mehr als 50 Jahren vorgeschlagen, nach
kosmischen Neutrinos zu suchen, weil diese ungestört auf geradem Weg durch das
Universum fliegen und ihre Existenz zudem eng mit der Produktion der kosmischen
Strahlung verknüpft wäre.
Ihre Messung jedoch stellt eine große Herausforderung dar, da dazu extrem große
Detektoren benötigt werden. Nach mehreren Jahrzehnten der Detektorentwicklung
und sechsjähriger Bauzeit wurde im Jahr 2010 das Neutrino-Observatorium IceCube
am Südpol fertiggestellt. Hier arbeiten heute 310 Wissenschaftler einer
internationalen Kollaboration von 44 Instituten aus 12 Ländern unter der Leitung
der University of Wisconsin.
IceCube ist der weltweit größte Neutrinodetektor. Etwa ein
Kubikkilometer des antarktischen Eises wurden dafür in einer Tiefe zwischen anderthalb
und zweieinhalb Kilometern mit ultra-sensitiven Lichtsensoren ausgestattet. Diese
können das schwache Lichtsignal messen, das bei einer Neutrino-Wechselwirkung
mit dem Eis entsteht. Bereits in den Messdaten der ersten Jahre konnte ein
kosmisches Neutrinosignal entdeckt werden.
Physiker der IceCube-Kollaboration haben nun mit Hilfe zusätzlicher
Daten von nun insgesamt sechs Jahren Messzeit die vorherigen Messungen deutlich
verbessert. Die gemessenen Daten bestehen aus mehreren Milliarden
aufgezeichneten Leucht-Ereignissen, die zumeist eine Art Hintergrundrauschen und
nicht auf Neutrinos zurückzuführen sind.
Daraus wurde mit ausgefeilten Analysemethoden eine beeindruckende Auswahl von
340.000 Ereignissen extrahiert, die auf Wechselwirkungen von Myon-Neutrinos
zurückgeführt werden können. Diese Neutrinos stammen zu ihrer überwiegenden Zahl
nicht aus dem Kosmos, sondern sind bei Wechselwirkungen der kosmischen Strahlung
mit der Erdatmosphäre entstanden.
Eines der Ereignisse sticht heraus: Es ist ein extrem hochenergetisches
Neutrino, dessen Ursprung mit hoher Wahrscheinlichkeit außerhalb unseres
Sonnensystems liegt. "Bei dem Ereignis handelt es sich um ein Neutrino-induziertes
Myon, dass über einen Kilometer durch das instrumentierte Detektorvolumen
fliegt", erläutert Leif Rädel, Wissenschaftler der RWTH Aachen und Entdecker des
Ereignisses. "Auf seinem Weg durch den Detektor verliert es eine Energie von
circa 2,6 PeV, was einer erwarteten Myonenergie von vier bis fünf PeV
entspricht. Das heißt, dass die Neutrinoenergie sogar noch größer gewesen sein
muss."
Das Elektronenvolt, abgekürzt eV, ist eine Einheit der Energie, die in
der Teilchenphysik häufig verwendet wird. PeV bezeichnet dabei ein
Petaelektronenvolt, also eine Billiarde Elektronenvolt.
"Diese hohe Energie bricht nicht nur den Weltrekord der von IceCube im
Jahr 2013 beobachteten Neutrinoenergie von 2,2 PeV. Diesmal ist es eine lange
Spur, deren Richtung mit einer Genauigkeit von besser als 1 Grad gemessen werden
kann", ergänzt Mitentdecker Sebastian Schoenen, ebenfalls von der RWTH. "Daher
kann nach astronomischen Quellen in der Herkunftsrichtung des Ereignisses
gesucht werden."
Professor Dr. Christopher Wiebusch, Leiter der Aachener Gruppe, fasst zusammen:
"Unsere Gruppe hat sich auf diese Suche nach hochenergetischen Spuren
spezialisiert. Bereits die Analyse der ersten Daten zeigte Hinweise auf ein
kosmisches Neutrinosignal. Hierfür wurde die Aachener Physikerin Anne Schukraft
mit dem Hertha-Sponer-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG)
ausgezeichnet. Dies hat uns darin bestärkt, die Analysemethoden ständig zu
verbessern. Dieser Erfolg ist eine große Belohnung für viele Jahre harte
Arbeit."
Professorin
Dr. Olga Botner von der Universität im schwedischen Uppsala, die internationale Sprecherin der IceCube-Kollaboration, blickt in die
Zukunft: "Die Beobachtung dieses multi-PeV Myon-Neutrinos bedeutet einen
weiteren Schritt in der Erforschung des Universums bei hohen Energien. Da
Myon-Neutrinos eine sehr gute Richtungsauflösung besitzen, bringt uns die
Entdeckung dem Lösen des Rätsels der Quellen der höchstenergetischen kosmischen
Strahlung näher." Zwar sei das Ereignis durch eine an der RWTH Aachen
entwickelte Analyse entdeckt worden, die Begeisterung über den Fund werde
jedoch von der gesamten Kollaboration geteilt.
Über die Beobachtung des höchstenergetischsten jemals gemessenen Neutrinos
berichtete das IceCube-Team heute auf der 34th
International Cosmic Ray Conference im niederländischen Den Haag.
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