Überlebenskünstler im Weltraumtest
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
23. Juli 2014
Mit einem Progress-Raumfrachter sollen in der Nacht auch
zwei besondere Überlebenskünstler zur Internationalen Raumstation ISS reisen:
Blaualgen und Biofilme. Von Experimenten mit diesen widerstandfähigen Organismen
versprechen sich die Forscher neue Erkenntnisse über das Leben im All. Auch
Marsbedingungen sollen nachgebildet werden.

Die
Cyanobakterien, die das DLR mit dem Experiment
BIOMEX zur ISS schickt, haben bereits auf der
Erde ihre Lebensfähigkeit unter simulierten
Marsbedingungen unter Beweis gestellt - dieses
Bild zeigt mit Fluoreszenz gefärbte lebende
Zellen nach einer Marssimulation.
Bild: DLR [Großansicht] |
Sie sind zäh, widerstandsfähig und können an den unwirtlichsten Orten auf der
Erde überleben - und nun sollen sie dies auch unter Weltraumbedingungen unter
Beweis stellen: Am 23. Juli 2014 starten Blaualgen (Cyanobakterien der Gattung
Nostoc) und Biofilme (Deinococcus geothermalis) um 23.44 Uhr MESZ mit einem
Progress-Raumfrachter zur Internationalen Raumstation ISS.
Bei einem Weltraumausstieg - voraussichtlich am 18. August - werden die
Proben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an der Außenseite
der ISS in die Anlage EXPOSE-R2 eingesetzt. Dann soll mit den Experimenten
BIOMEX (Biology and Mars-Experiment) und BOSS (Biofilm Organisms
Surfing Space) untersucht werden, ob die Organismen beispielsweise
ultraviolette Strahlung, kosmische Strahlung, Temperaturschwankungen und
simulierte Marsbedingungen überstehen und somit auch auf anderen Planeten
überleben könnten.
Dr. Jean-Pierre de Vera vom DLR-Institut für Planetenforschung hat seine
Probanden für die Weltraumreise selbst in der Antarktis gesammelt und sie
anschließend in seiner Marssimulationskammer getestet: "Die Cyanobakterien sind
extrem überlebensfähig - zumindest auf der Erde." Auch in den Anlagen des
DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin wurden die Bakterien ausgiebig
unter Strahlung und Vakuum auf die Probe gestellt. Jetzt folgt mit dem
Experiment BIOMEX der nächste Schritt, der die Probanden mit dem starken
Überlebenswillen ins All bringt. Mehrere hundert Proben - darunter auch
Urbakterien, Algen, Flechte, Pilze und Moose weiterer nationaler und
internationaler beteiligter Partner - werden dort über ein Jahr lang an der
Außenseite der ISS verbringen.
Mikrobiologe und Planetenforscher de Vera lässt dabei an der ISS
Marsbedingungen entstehen. Zwei marsähnliche Böden hat er dafür gemeinsam mit
dem Naturkundemuseum Berlin zusammengemischt: Zum einen entstand so aus Ton und
Sedimenten ein Boden, der die Epoche simuliert, als es auf dem Mars noch Flüsse
und Seen gab; zum anderen verwendete das Team Vulkanasche, um die Epoche des
Vulkanismus auf dem Mars zu simulieren. Dabei stützten sich die Wissenschaftler
auf Daten, die unter anderem von den Marsrovern vor Ort über die mineralischen
Bestandteile des Mars geliefert wurden.
Um herauszufinden, ob der Marsboden für die Organismen oder gar für einige
Zellbestandteile einen Schutz vor der Weltraumstrahlung bietet, werden die
Bakterienproben und biologischen Substanzen in den Versuchsanlagen
unterschiedlich stark in dieses Material eingebettet. Zudem schafft eine
Begasung mit Kohlendioxid eine künstliche Marsatmosphäre für die Probanden in
der Versuchsanlage.
"So können wir herausfinden, ob die dünne Atmosphäre und die Bodenschichten
auf dem Mars schützen und dieser Planet somit für Leben geeignet ist", sagt Dr.
Jean-Pierre de Vera. "Wir können damit ebenfalls feststellen, ob die getesteten
weltraum-stabilen Zellfragmente als eindeutige Spuren von Leben in Frage kommen.
Wäre das der Fall, so könnte dies die zukünftige Suche nach Leben auf dem Mars
unterstützen." Die weltraum-stabilen, biologischen Stoffe könnten bei weiteren
Missionen zur Marserkundung als Bezugsstoffe für die dort verwendeten
Instrumente dienen.
Dr. Petra Rettberg vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin setzt im
Experiment BOSS auf andere Überlebenskünstler, deren Lebensweise auf der Erde
allgegenwärtig ist und auch schon einmal dort vorkommt, wo man sie nicht finden
möchte, beispielsweise in Wasserleitungen oder im Duschkopf: "Biofilme gehören
zu den ältesten Organismengemeinschaften auf der Erde, die wir heute nachweisen
können, und haben vermutlich auch auf anderen Planeten gute Überlebenschancen,"
sagt Dr. Rettberg.
Die Erfolgsstrategie des ausgewählten Organismus Deinococcus geothermalis:
Das Bakterium lebt in einer Form von vielen Zellschichten, die von einer
selbstproduzierten extrazellulären umgeben sind und schützt sich auf diese Weise
vor schädlichen äußeren Einflüssen. Immer wieder setzte die Strahlenbiologin ihr
Versuchsobjekt gezielt extremen Temperaturen aus, lagerte es wochenlang im
Vakuum oder bestrahlte die Organismen mit einer starken UV-Lampe. Die Probanden
überlebten.
Im All sollen sie nun erstmals die Bedingungen des freien Weltraums und
simulierte Marsbedingungen erleben, die durch unterschiedliche Filter über den
Proben, eine künstliche Marsatmosphäre sowie Marsdruck im Orbit erzeugt werden.
Parallel werden dieselben Organismen in Form von Einzelzellen untersucht, um den
Schutzeffekt der Matrix zu ermitteln. Europäische und amerikanische
Kooperationspartner beteiligen sich mit anderen Arten biofilm-bildender
Organismen, um die zu erwartenden Erkenntnisse verallgemeinern zu können.
Die Experimente, die das DLR mit internationalen Teams als zwei von vier
Experimenten in der EXPOSE-Anlage der ISS betreibt, werden den Wissenschaftlern
Aufschluss darüber geben, welche Organismen im Weltraum oder auf dem Mars
überhaupt Überlebenschancen haben. Die Resultate der Weltraumexperimente sind
wichtig, um die Entstehung von Leben im Sonnensystem zu erklären: "Die
Überlebenskünstler im All könnten das Leben von einem Himmelskörper zum nächsten
transportiert haben", sagt Planetenforscher de Vera.
Auch die Suche nach Leben auf anderen Planeten könnte einfacher werden: "Mit
den unterschiedlichen Bedingungen und Varianten, die wir an der Außenseite der
ISS testen, können wir viel genauer definieren, wo man auf anderen Planeten wie
dem Mars nach Leben suchen müsste", sind sich Rettberg und de Vera einig.
Mindestens ein Jahr werden die Probanden den harschen Weltraumbedingungen
ausgesetzt und spätestens im August 2016 wieder zur Erde zurücktransportiert.
Für die Wissenschaftler am Boden beginnt dann die detaillierte Auswertung,
welcher Organismus sich als besonders überlebensfähig erweist, welche Strategie
den meisten Schutz im Weltall bietet und welche Biosubstanzen als Bezugsstoffe
für die Suche nach Leben auf dem Mars dienen könnten.
Update (24. Juli 2014): Der Progress-Raumfrachter
ist, wie geplant, um 23.44 Uhr MESZ gestartet und hat die ISS noch in der Nacht
erreicht.
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