Faszinierende Einblicke in ein Doppelsternsystem
von Stefan Deiters astronews.com
7. Dezember 2011
Durch das Zusammenschalten von vier Teleskopen des
Paranal Observatory der europäischen Südsternwarte ESO in Chile sind
Astronomen jetzt faszinierende Einblicke in ein Doppelsternsystem in rund 900
Lichtjahre Entfernung gelungen. Die Sterne umkreisen einander in so geringem
Abstand, dass ein Stern den anderen offenbar kannibalisiert.

Die neuen VLTI-Beobachtungen des Systems SS
Leporis. Die Bilder der Sterne wurden
nachträglich entsprechend ihrer Temperatur
eingefärbt.
Bild: ESO / PIONIER / IPAG [weitere
Bilder] |
Die heute vorgestellten Beobachtungen gelangen den Astronomen durch die
Kombination von vier Teleskopen des Paranal Observatory der
europäischen Südsternwarte ESO zu einem virtuellen Teleskop mit einem
Durchmesser von 130 Metern und einer Auflösung, die 50-mal besser ist als die
des Weltraumteleskops Hubble. Für dieses als Interferometrie
bezeichnete Verfahren nutzten die Wissenschaftler jedoch nicht die vier großen
Teleskope des Very Large Telescope, sondern deren
1,8-Meter-Hilfsteleskope sowie das für das VLT Interferometer (VLTI) neu entwickelte
Instrument PIONIER.
"Wir können nun das Licht von vier VLT-Teleskopen kombinieren und extrem
scharfe Bilder schneller erstellen als es zuvor möglich war", freut sich Nicolas
Blind vom Institut de Planétologie et d’Astrophysique de Grenoble, der
Erstautor eines Fachartikels, in dem die Beobachtungen beschrieben werden. "Die
Bilder sind so scharf, dass man darauf nicht nur erkennen kann, wie die Sterne
umeinander kreisen, sondern auch die Größe des größeren Partners messen kann."
Ziel der Beobachtungen war das rund 900 Lichtjahre entfernte System SS
Leporis im Sternbild Hase. Es besteht aus zwei Sternen, die sich alle 260 Tage
einmal umkreisen. Der Abstand der Sterne ist dabei kaum größer als der Abstand
zwischen Sonne und Erde. Da es sich bei dem größeren und kühleren der beiden
Sterne aber um einen aufgeblähten Riesenstern handelt, muss es fast zwangsläufig
zu Wechselwirkungen zwischen den beiden Sonnen kommen: So kannibalisiert bei SS
Leporis offenbar der kleinere und heißere Begleiter den größeren Stern und
dürfte schon ungefähr die Hälfte von dessen Masse abgezogen haben.
"Wir wussten, dass es sich hier um ein ungewöhnliches Doppelsternsystem
handelt und dass Material von einem Stern zum anderen hinüberströmt", erläutert
Henri Boffin von der ESO. "Es hat sich aber jetzt gezeigt, dass die Art und
Weise, wie dieser Massentransfer abläuft, sich komplett von bisherigen Modellen
dieses Prozesses unterscheidet. Der 'Biss' des Vampirsterns ist sehr viel
sanfter, dafür aber äußerst effektiv."
Dank der Schärfe der neuen Beobachtungen lässt sich nämlich erkennen, dass
der Riesenstern offenbar kleiner ist als zuvor angenommen. Das macht es
schwerer, den Massentransfer vom Riesenstern zu seinem Begleiter zu erklären.
Die Astronomen vermuten nun, dass das Material nicht von einem zum anderen Stern
strömt, sondern vom Riesenstern als stellarer Wind ins All abgestoßen und dann
vom kleineren Stern eingefangen wird.
"Diese Beobachtungen demonstrieren eindrucksvoll die neuen
Schnappschuss-Möglichkeiten des Very Large Telescope Interferometer",
so Jean-Philippe Berger von der ESO, der auch an der Studie beteiligt war. "Sie
bereiten den Weg für viele weitere faszinierende Untersuchungen von
wechselwirkenden Doppelsternen."
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