Detaillierter Blick auf einen alten Überriesen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
26. Januar 2011
Warum ist ein alter Überriese von einer Staubscheibe umgeben, wie man sie sonst
nur bei einem neugeborenen Stern erwarten würde? Dank eines aus der
Radioastronomie stammenden Analyseverfahrens hat ein internationales
Astronomenteam nun eine Antwort gefunden: Der Stern könnte einen bislang
unentdeckten Begleiter haben.
Ein Stern in allen Dimensionen: 3D-Bilder von HD
62623, aufgenommen mit dem VLT-Interferometer
(oben) im Vergleich mit einem Modell für eine
rotierende Gasscheibe um den Stern (unten). Die
Insert-Bilder verdeutlichen die Gaskinematik,
also die dritte Dimension in Ergänzung von Länge
und Breite. Die blaue Farbe zeigt Gas, das sich
auf den Beobachter zu bewegt, die rote Farbe Gas,
das sich vom Beobachter entfernt. Der Radius des
inneren Gasrings von etwa zwei Millibogensekunden
entspricht ungefähr dem 1,3-fachen Abstand
zwischen Erde und Sonne (1,3 AE); der im Bild
sichtbare äußere Staubring hat einen Radius von
rund vier AE. Der Stern HD 62623 ist 2.100
Lichtjahren von der Erde entfernt.
Bild: F. Millour et al. / MPIfR
|
Der heiße Überriese HD 62623 ist ein exotisches Objekt. Im
Unterschied zu seinem Zwilling Deneb im Sternbild Schwan - er gehört
derselben Spektralklasse an und bildet zusammen mit Wega und Atair das
bekannte Sommerdreieck am Nordhimmel - wird HD 62623 von einer dichten
und komplex aufgebauten Scheibe aus Plasma und Staub umgeben.
Bei heißen Überriesen handelt es sich um sehr leuchtkräftige Sonnen.
Ihre Strahlung ist so intensiv, dass die energiereichen Photonen einen
starken Sternwind hervorrufen. Ein solcher Sternwind würde jedoch
verhindern, dass sich in der Nachbarschaft des Sterns eine Staubscheibe
formt. Wie also kann sie existieren?
Um die Prozesse besser zu verstehen, durch die Staub in der unwirtlichen
Umgebung überhaupt entstehen kann, ist es unbedingt erforderlich, nicht
nur die geometrische Anordnung von Gas und Staub nahe der Zentralquelle
zu entflechten, sondern auch deren Bewegungen. "Mithilfe unserer
Interferometrie-Beobachtungen haben wir ein dreidimensionales Bild von
HD 62623 gewonnen, dessen Auflösung der eines virtuellen
130-Meter-Teleskops entspricht", sagt Florentin Millour vom Observatoire
de la Côte d'Azur, der Erstautor einer Untersuchung, die jetzt in der
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheint. "Diese
Auflösung ist um eine Größenordnung höher als jene, die sich an den
derzeit größten optischen Fernrohren mit Spiegeldurchmessern von acht
bis zehn Metern erzielen lässt."
Um dies zu erreichen, arbeiteten die Forscher mit einem System namens
Amber, das am Very Large Telescope Interferometer (VLTI) in
Chile eingesetzt wird. Sie konnten die Qualität ihrer Daten entscheidend
verbessern, indem sie eine aus der Radioastronomie bekannte
Analysetechnik nutzten, die sogenannte Selbstkalibrations-Methode. Die
daraus erhaltenen Bilder vereinen räumliche Information mit
Geschwindigkeitsinformation und ergeben mit zwei räumlichen und einer
Geschwindigkeitskoordinate ein dreidimensionales Bild.
Damit zeigen die Aufnahmen nicht nur die Struktur der Materie in der
unmittelbaren Umgebung des Sterns, sondern auch deren Bewegung. Diese
kinematische Information hat in den Daten bisher gefehlt. "Unser neues
3D-Bild lokalisiert den Bereich der Staubbildung in der unmittelbaren
Umgebung von HD 62623 mit hoher Genauigkeit und zeigt außerdem die
Rotation des Gases um den Zentralstern", erklärt Anthony Meilland vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie. "Diese Rotation folgt den
Keplerschen Gesetzen - ganz analog zur Bewegung der Planeten um die
Sonne."
Die Ursache für die rotierende Gasscheibe ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit ein naher Begleitstern mit ungefähr derselben Masse
wie die Sonne. Wegen seiner mehr als tausendfach geringeren Leuchtkraft
gegenüber HD 62623 lässt sich ein solcher Begleiter nicht direkt
nachweisen; seine Existenz verrät sich aber durch die Materielücke
zwischen Gasscheibe und zentralem Stern. Mit einem solchen Begleiter
wären die exotischen Eigenschaften von HD 62623 gut zu erklären. In
unserer Milchstraße gibt es bereits einen ähnlichen Fall: den von einem
komplexen Nebel umgebenen alten Riesenstern Eta Carinae am südlichen
Firmament.
Die neue 3D-Bildtechnik entspricht der bekannten
Integralfeld-Spektroskopie. Im Gegensatz dazu ermöglicht sie jedoch eine
15-fach höhere Winkelauflösung, die der Auffindung von detaillierten
Strukturen in den Bildern zugute kommt. Die Integralfeld-Spektroskopie
erlaubt es, aus jedem Pixel Informationen über die Natur des Gases und
die dort herrschenden Geschwindigkeiten herauszulesen. Außerdem messen
die Astronomen zusätzlich für jeden Punkt in dem Bild auch die
Geschwindigkeit entlang der Sehlinie auf uns zu oder von uns weg.
"Mit dieser Leistungsfähigkeit erlaubt VLTI die Beobachtung einer ganzen
Reihe von Himmelsobjekten, die so kompakt sind, dass sie auch von den
größten Einzelteleskopen nicht mehr aufgelöst werden können", so Millour.
"Damit können wir die Untersuchung von Scheiben oder Jets bei jungen
Sternen angehen, oder auch die Zentralregionen aktiver Galaxien ins
Visier nehmen."
Das Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen
Südsternwarte (ESO) kann die Strahlung verschiedener Teleskope auf dem
Gipfel des Paranal in Chile kombinieren - etwa die der
VLT-Hauptteleskope mit je 8,2 Metern Durchmesser oder die der vier
Hilfsteleskope mit einem Durchmesser von 1,8 Metern. Der
Astronomical Multi-BEam Recombiner (Amber) ist eines der
Wissenschaftsinstrumente am VLTI - ein interferometrisches Instrument,
das die Strahlen von drei Einzelteleskopen miteinander verbindet und im
nahinfraroten Spektralbereich zwischen einem und 2,5 Mikrometer
arbeitet. Es wurde an mehreren europäischen Instituten entwickelt, unter
anderem am Observatoire de la Côte d'Azur und am
Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.
|