Riesiges Ozonloch über der Arktis erwartet
Redaktion /
idw / Pressemitteilung des Karlsruher Instituts für Technologie astronews.com
15. März 2011
Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie
(KIT) erwarten in den kommenden Wochen ein Ozonloch von bislang nie beobachteter
Größe über der Arktis. Mit Hilfe des im KIT entwickelten Instruments MIPAS auf
dem europäischen Umweltsatelliten ENVISAT wurde
jetzt ein Phänomen beobachtet, das in dieser Ausprägung bisher nur über dem
Südpol auftrat.

Das Bild vom 9.
März 2011 zeigt einen sehr stark reduzierten
Ozongehalt in der Stratosphäre über der Arktis
(violett und blaue Farben entsprechen sehr
geringen Ozonkonzentrationen). Der Ozonabbau hat
erst vor kurzem begonnen und wird sich in den
nächsten Wochen weiter beschleunigen, solange der
polare Wirbel stabil bleibt.
Bild: Dr. A. Dudhia, University of Oxford
/ KIT |
Satellitenmessungen und Modelle zeigen in diesem Winter einen ungewöhnlich
stabilen Luftwirbel über dem Nordpol, der für enorme Windstärken und sehr kalte
Temperaturen sorgt. In diesem arktischen Wirbel finden spezielle chemische
Prozesse statt, die zu einem sehr schnellen katalytischen Ozonabbau führen,
sobald das erste Sonnenlicht auf die polare Atmosphäre fällt. Ein
vergleichsweise großer, stabiler und bis ins Frühjahr anhaltender Wirbel wurde
bislang nur über der Antarktis beobachtet. Ein Zusammenhang mit dem
vergleichsweise milden Winter und dem Klimawandel liegt nahe, erfordert aber
weitere, genauere Untersuchungen.
"Wissenschaftler des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT
bereiten schon seit Anfang Februar stratosphärische Ballonmessungen auf der
ESRANGE-Basis in Kiruna (Nordschweden) vor", erklärt Professor Dr. Johannes
Orphal, Leiter des IMK, Bereich Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung.
"Bislang konnten die Höhenballons wegen der in diesem Jahr extremen Winde noch
nicht starten. Diese schwierigen Messungen werden aber in den nächsten Wochen
viele spannende Details über die in diesem Jahr sehr ungewöhnliche Atmosphäre
über dem Nordpol enthüllen." An der Messkampagne sind zahlreiche Wissenschaftler
aus Deutschland, Frankreich, Russland und den Niederlanden sowie die
französischen Agenturen CNES und CNRS beteiligt.
Das sogenannte Ozonloch, eine starke Abnahme der Ozonschicht in der mittleren
Atmosphäre in Höhen zwischen 10 und 50 Kilometern, ist ein atmosphärisches
Phänomen, das Mitte der 1980er Jahre entdeckt wurde. In voller Ausprägung trat
es bisher nur über der Antarktis auf, wo sich in den meisten Jahren ein sehr
stabiler Polarwirbel, eine Kaltluftströmung, die um den Südpol kreist,
ausbildet. Innerhalb dieses Wirbels herrschen sehr tiefe Temperaturen, die eine
Voraussetzung für die Entstehung des Ozonlochs sind. Eine weitere Voraussetzung
ist Chlor, das durch katalytische Prozesse für den Ozonabbau verantwortlich ist.
Durch die von Menschen eingesetzten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) ist der
Chlorgehalt in der mittleren Atmosphäre in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts stark angestiegen und wurde erst durch das Montreal-Protokoll 1989
eingedämmt.
Bei den tiefen Temperaturen im Polarwirbel entstehen in der Stratosphäre polare
stratosphärische Wolken (PSCs). An den Kristallen dieser Wolken wird Chlor aus
so genannten Reservoirgasen, in denen es normalerweise chemisch inaktiv
gespeichert ist, befreit und steht dann in reaktiver Form zur Verfügung. Sobald
nach dem Polarwinter die Sonne aufgeht, setzt mit Hilfe von UV-Strahlung der
katalytische Ozonabbau ein. Über dem Nordpol bildet sich normalerweise kein
stabiler Polarwirbel aus, da die ungleichmäßige Landverteilung die Strömungen
stört. Deshalb gibt es auch keine ausreichend tiefen Temperaturen für die
Entstehung der PSCs und damit weniger reaktives Chlor.
In diesem Winter ist die Situation anders: Erstmals hat sich ein über einen
langen Zeitraum stabiler Polarwirbel auch über dem Nordpol ausgebildet. Damit
sind die Temperaturverhältnisse mit dem Südpol vergleichbar, es entstehen PSCs
und damit reaktives Chlor. Die Wissenschaftler erwarten ein Ozonloch, das in
seinen Ausmaßen mit dem Ozonloch über dem Südpol vergleichbar sein könnte, zumal
es derzeit noch keine Hinweise gibt, dass der Polarwirbel zusammenbricht. Ob die
starke Ausprägung des Polarwirbels in diesem Jahr ein zufälliges Ereignis ist
oder mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist derzeit noch offen. Hierfür sind
umfangreiche Modellrechnungen notwendig.
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