Jubiläum für Plasmaexperimente
Redaktion
/ Pressemitteilungen des DLR astronews.com
28. Januar 2010
Kleines Jubiläum auf der ISS: In diesen Tagen läuft die 25. Experimentserie
zur Physik komplexer Plasmen auf der Internationalen Raumstation. Die
Experimentieranlage hat außerdem jetzt einen festen Platz im neuen russischen
Forschungsmodul Poisk erhalten, das im November vergangenen Jahres
an die ISS angedockt hatte.
Der neueste Zuwachs auf der ISS ist das
russische Modul MIM-2, genannt "Poisk" (Suche).
Darin ist nun die Experimentanlage PK-3 Plus für
die Untersuchung komplexer Plasmen untergebracht.
Foto: NASA |
Vom 27. bis 29. Januar 2010 startet der russische Kosmonaut Oleg
Kotov die 25. Experimentserie zur Physik komplexer Plasmen auf der
Internationalen Raumstation ISS. Das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) hat sowohl die Entwicklung der Experimentanlagen als
auch die Forschung finanziell unterstützt. Zum Jubiläum ist die
Plasma-Experimentieranlage PK-3 Plus von ihrem bisherigen Platz zwischen
den russischen Stationsteilen Zarya und Zvesda in das
kleine russische Forschungsmodul MIM-2 mit dem Namen Poisk
(Suche) umgezogen, das seit November 2009 an die ISS angedockt ist.
Damit wurde auch gleichzeitig die Betriebszeit von PK-3 Plus um zwei
Jahre bis Ende 2011 verlängert.
An ihrem alten Platz musste PK-3 Plus ebenso wie die Vorgängeranlage PKE-Nefedov,
die von 2001 bis 2005 ihren Dienst auf der ISS versah, zwischen den
Experimentserien abgebaut und verstaut werden. Mit dem Umzug ins neue ISS-Modul
hat die Experimentieranlage nach fünf Betriebsjahren ein dauerhaftes Heim auf
der Raumstation gefunden. Dies spart zukünftig wertvolle Kosmonauten-Zeit. Zeit,
die in Forschung und Wissenschaft investiert werden kann. Auch die
Verschleißteile der Anlage, wie Schläuche, Verschlüsse und Verbindungen werden
durch die dauerhafte Installation geschont. Pro Jahr führen die Wissenschaftler
regelmäßig zwei bis drei Experimentserien durch.
Plasmen sind elektrisch geladene Gase und gelten neben Feststoff, Flüssigkeit
und Gas als der vierte, der ungeordnetste Aggregatzustand der Materie. Sie sind
der Stoff, aus dem Blitze und Polarlichter bestehen. In unserem Alltag lassen
sie Plasmalampen und Leuchtstoffröhren glühen. Komplexe Plasmen, enthalten im
Gegensatz zu einfachen Plasmen zusätzlich Staubpartikel. In den Experimenten auf
der ISS wird das Plasma eines Edelgases, Argon oder Neon, in einem elektrischen
Feld zwischen zwei Elektroden erzeugt.
In dieses werden Partikel aus Kunststoff injiziert, die nur wenige Mikrometer
Durchmesser besitzen. Die Teilchen laden sich im Plasma mit gleichem Vorzeichen
auf. Ihr Bestreben, dann einen möglichst großen Abstand voneinander einzunehmen,
führt zu ihrer strukturellen Ordnung bis hin zur Ausbildung einer
Kristallstruktur, die der vieler Metallen gleicht und die als "Plasmakristall"
bezeichnet wird. Durch Änderung des elektrischen Feldes und des Gasdrucks in der
Plasmakammer können die Wissenschaftler den Plasmakristall schmelzen und
erstarren lassen und so Aggregatübergänge untersuchen.
Das Besondere ist hierbei, dass diese Vorgänge viel langsamer ablaufen als
bei "normalen" Stoffen und die Positionsänderung jedes einzelnen Staubpartikels
mit der Kamera verfolgt werden kann. Die Wissenschaftler sehen direkt in die
Materie hinein. So können sie unter anderem die Wechselwirkung der Teilchen
untereinander bei der Ausbreitung von Wellen, turbulenten Strömungen und der
Entmischung verschiedener Teilchensorten beobachten. Die dafür notwendigen,
großen dreidimensionale, komplexe Plasmen können nur in Schwerelosigkeit
realisiert werden. Denn unter dem Einfluss der Erdschwerkraft fallen die
Staubteilchen nach unten, und das komplexe Plasma bildet nur eine dünne Schicht.
Aus den in Schwerelosigkeit gewonnenen wissenschaftlichen Daten sind bis dato
mehr als 40 international anerkannte Veröffentlichungen in Fachjournalen
entstanden.
Mit den Experimenten unter Schwerelosigkeit konnte nachgewiesen werden, dass
komplexe Plasmen der Klasse der weichen Materie zugeordnet werden können. Dazu
gehören auch Kolloide, Gele und Granulate. Sie bestehen aus Molekülen,
Partikeln, Tröpfchen oder Gasblasen im Milli- bis Nanometer-Bereich, die fein in
einer Flüssigkeit oder einem Gas verteilt sind. Im Alltag begegnet uns weiche
Materie überall: Milch, Schaum, Zahncreme und Sand gehören dazu. Gemeinsam ist
ihnen, dass sie sich wie ein Festkörper oder wie eine Flüssigkeit verhalten
können. Sand kann zum Beispiel wie Wasser in ein Gefäß fließen und dessen Form
annehmen, aber ein großer schwerer Stein liegt auf Sand wie auf einer festen
Oberfläche und sinkt nicht ein. Die Physik der weichen Materie und vor allem die
Vorhersagbarkeit von Eigenschaften zur Entwicklung von Designermaterialien sind
daher hochaktuell für viele Industriezweige.
Aus der Geräteentwicklung für den Weltraum und die Experimenten hat sich ein
hoch interessanter Spin-Off für die Medizin ergeben, nämlich die Entwicklung der
so genannten "Plasmafackel". Hierbei handelt es sich um ein kleines
medizinisches Gerät, mit dem kalte Plasmen zur Sterilisation und Therapie
chronischer, Antibiotika-resistenter Wunden erzeugt werden können. Es wird
bereits in einer klinischen Studie an mehr als 100 Patienten getestet.
Jede Experimentserie zur Physik komplexer Plasmen enthält in der Regel drei
zirka 90-minütige Experimentläufe, die an drei hintereinander liegenden Tagen
durchgeführt werden. Entwickelt und durchgeführt wird das Forschungsprogramm vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching und dem
Institut für Hochenergiedichten (JIHT) der russischen Akademie der
Wissenschaften in Moskau.
Bevor es soweit war, legten die Wissenschaftler von MPE und JIHT die
Versuchsabläufe fest, schrieben die neue Experiment-Software und testeten sie im
Trainingsmodell der Experimentanlage in Moskau. Erst dann konnte sie zur ISS
geschickt und von den Kosmonauten implementiert werden. Bevor die Experimente
starten können, muss etwa zwei Tage lang die Luft aus der Plasmakammer
herausgepumpt werden. So wird ein Vakuum erzeugt, bevor das Experiment-Gas und
die Teilchen eingefüllt werden können.
Die Experimente laufen in der Regel automatisch ab, zur Kontrolle werden am
Beginn kurze Videosequenzen übertragen. Besonders diffizile Experimente führen
die Kosmonauten manchmal auch manuell im Sprechkontakt mit den Wissenschaftlern
durch. Die Einstell- und Kontroll-Daten der Experimentieranlage werden schnell
via E-Mail von der ISS ins russische Raumfahrtkontrollzentrum ZUP in Moskau
übertragen, auf die Videodaten müssen die Forscher noch warten. Die Festplatten
werden erst mit der nächsten Sojus-Kapsel zusammen mit den Kosmonauten zurück
zur Erde gebracht.
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